Die Zeugen des Verfassungsgerichtshofs zu den Unregelmäßigkeiten bei der Bundespräsidentenwahl zeigen gravierende Mängel auf. Die brisantesten Aussagen im Überblick.

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Vom höchsten Gericht Österreichs wird seit Montag geprüft, ob die Bundespräsidenten-Stichwahl vom 22. Mai aufgehoben wird. 90 Zeugen wurden vernommen, nachdem die FPÖ die Aufhebung der Wahl beantragt hatte.

Beamte haben den Ruf, übergenau zu arbeiten. Die öffentlichen Erhebungen des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zu den Unregelmäßigkeiten bei der Stichwahl zum Bundespräsidenten fördern nun ein gänzlich anderes Bild zu Tage.

Unwissen, blindes Vertrauen und Blankounterschriften sind die Begleiter dieser Wahlkartenauszählung. Die Statements der Wahlbeisitzer, die vor dem VfGH als Zeugen aussagten, sind Sinnbild einer Praxis, die wenig von exakt formulierten Gesetzen hält.

Der Bezirkshauptmann von Graz-Umgebung gestand seine Fehler offen ein: Briefwahlkarten seien schon am Freitag und vor Wahlabend geöffnet worden, "im Bewusstsein", dass dies "nicht den Buchstaben des Gesetzes entsprach".

Der Bezirkswahlleiter aus Hermagor räumte ein, dass alle Beisitzer ihr Okay gegeben hätten, dass die Briefwahlkarten ohne ihr Beisein bereits am Wahlabend geöffnet wurden. Denn: "Wir tun ja eh nichts, als Kuverts aufzuschlitzen."

Im Bezirk Leibnitz wurden die Briefwahlkarten zu früh ausgezählt. "Das wurde immer so gemacht", alle seien einverstanden gewesen, erklärte ein FPÖ-Beisitzer.

Man wollte nicht wieder Letzter sein

Wie locker gewisse Bezirkswahlleiter und Wahlbeisitzer bei der Auszählung der Briefwahlstimmen mit den Gesetzen umgegangen sind, sorgte bei den Höchstrichtern für Fassungslosigkeit.

"Es sind Fehler, offensichtliche, begangen worden", gestand Villachs Bürgermeister und Wahlamtsleiter Günther Albel. Er dürfte am Montag bereits um 7:00 Uhr mit Mitarbeitern ausgezählt haben, um etwa 11:00 Uhr soll der Vorgang abgeschlossen worden sein.

Dass später behauptet wurde, die Auszählung hätte wie gesetzlich vorgesehen erst um 9:00 Uhr begonnen, halte auch er für "nicht korrekt". Er begründete dieses Vorgehen mit der großen Zahl an Wahlkarten und dem öffentlichen Druck.

Auch der Bezirk Wien-Umgebung ist ein Beispiel dafür, wie überfordert so manche Bezirkswahlbehörden gewesen sein dürften. Im ersten Wahlgang hatten sie es mit 6.500 Briefwahlkarten zu tun. Im Zweiten mussten rund 11.000 Karten ausgezählt werden.

Da man im ersten Wahlgang für die korrekte Auszählung der Briefwahlstimmen von 9:00 Uhr früh bis 18:30 Uhr gebraucht hatte, habe man Vorarbeiten leisten wollen, um das Stichwahlergebnis rechtzeitig fertig zu haben und um nicht wieder Letzter zu sein, erläuterte der stellvertretende Bezirkswahlleiter.

Also beschloss man "spontan", am Sonntagabend die Briefwahlkarten nach gültig und ungültig zu sortieren, Listen zu erstellen, die gültigen Karten zu öffnen, die Stimmkuverts heraus- und in eine Wahlurne zu geben. Die Beisitzer hatten keine Möglichkeit, dabei zu sein, und wurden erst am nächsten Tag über diese "Vorarbeiten" informiert.

Zweimal fünf Minuten als Wahlbeisitzerin

In Villach-Stadt waren am Montag nach der Wahl die Stimmen rechtswidrig bereits um 9:00 Uhr in der Früh ausgezählt gewesen. Die Beisitzer nickten das Ergebnis nur noch ab und unterschrieben die Protokolle.

Als eine FPÖ-Wahlbeisitzerin, von Beruf Reinigungskraft, verlangte, die zeitlichen Änderungen zu protokollieren, wurde ihr von Juristen gesagt, dass das Protokoll unveränderbar sei. Schließlich habe sie unterschrieben - "im Vertrauen, dass alles passt".

Eine weitere Zeugin war für den Wahlbezirk Innsbruck-Land als Beisitzerin eingeteilt. Die Grünen-Politikerin hatte wegen beruflicher Tätigkeit am Montag nach der Stichwahl lediglich Zeit gehabt, zweimal kurz bei der Auszählung vorbeizuschauen, "jeweils rund fünf Minuten."

Neben den Aussagen, die belegen, wie manche Wahlhelfer das Gesetz "lockerten", gab es auch Beisitzer, die entweder nicht zur Aussage erschienen oder diese verweigerten.

Verlängerung des Wahlkampfs?

Im Fall der Bezirkswahlleiter und Wahlbeisitzer könnte die "lockere" Auslegung der Gesetze ein fundamentales Nachspiel haben. Eine Wiederholung der Stichwahl zum Bundespräsidenten steht im Raum. Das würde Millionen Euro kosten. Von einer mehrwöchigen Verlängerung des Wahlkampfes ganz abgesehen.

Offensichtlich wurde bei den Zeugenbefragungen des VfGH, dass so mancher Beamte aber auch Private, die für einen reibungslosen Ablauf der Auszählung sorgen sollten, nur wenig Verantwortungsgefühl für ihre Aufgabe mitgebracht haben. Wenn es bei vorangegangen Wahlen zeitlichen Druck beim Auszählen der Wahlkarten gegeben hat, hätte dies öffentlich gemacht werden müssen.

Gegen ein Gesetz zu verstoßen und im Nachhinein Ausreden dafür zu suchen, ist nicht tolerierbar. Besonders dann nicht, wenn es um die Wahl des Staatsoberhauptes geht.

Sollte es tatsächlich zu einer Wiederholung der Wahl kommen, wird diese wohl exakt nach Gesetzesvorschrift ablaufen. Es wäre jedoch eine bittere Lektion, dass zuerst etwas ordentlich schiefgehen muss, damit im zweiten Anlauf ein gesetzeskonformes Ergebnis herauskommt.

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