• In Bosnien und Herzegowina wird im Oktober gewählt.
  • Eine umstrittene Wahlrechtsreform ist aktuell besonders in die Kritik geraten.
  • Der ehemalige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat in seiner Funktion als Hoher Repräsentant die Wahlrechtsreform durchsetzen wollen und wurde dafür auch in Deutschland stark kritisiert.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen des Autors bzw. des zu Wort kommenden Experten einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Es ist keine leichte Sache, die Politik eines so komplizierten Landes wie Bosnien und Herzegowina zu erklären. Der Staat, der erst nach dem Völkermord von Srebrenica im Zuge der Balkankriege in den 1990er Jahren entstanden ist, hat eine für Europa einmalige Verfassung.

Laut Balkan-Experte und Politikwissenschaftler Daniel Bochsler handelt es sich um eine sogenannte Konkordanzdemokratie. In dieser wird jede der drei in der Verfassung anerkannten ethnischen Gruppen mit einem Veto-Recht berücksichtigt und kann entsprechend gegen Gesetzesvorhaben vorgehen. Serben und Kroaten haben dabei dieselben Rechte und auch gesicherte Vertretung wie Bosniaken, obwohl sie einen deutlich niedrigeren Bevölkerungsanteil ausmachen.

Damit dieses heikle Gleichgewicht gewahrt wird, der Frieden erhalten und die ethnischen Spannungen nicht wieder in einen neuen Krieg ausarten, wurde nach dem Friedensschluss 1995 der Dayton-Vertrag geschlossen, benannt nach dem Verhandlungsort in den USA. Dieser soll die Rechte der verschiedenen Volksgruppen schützen und die demokratische Entwicklung des Landes sichern.

Die Einhaltung überwacht die Staatengemeinschaft. Seit 27 Jahren ist hierfür auch der Hohe Repräsentant als Gesandter der Internationalen Gemeinschaft zuständig. Seit gut einem Jahr hat dieses Amt der ehemalige Landwirtschaftsminister und CSU-Politiker Christian Schmidt inne – und wurde nun zum Ziel von massiver Kritik.

Schmidt hatte per Dekret eine umstrittene Wahlrechtsreform durchboxen wollen, die einseitig zugunsten der Kroaten in Bosnien ausgefallen wäre. Die nationalistische kroatische Partei HDZ hatte lange erfolglos eine Änderung des Wahlrechts in dieser Form gefordert, weil sie sich dadurch Vorteile in der kommenden Parlamentswahl im Oktober erhofft.

Nun wollte Schmidt die Reform kraft seiner Autorität durchsetzen, um die kroatischen Nationalisten zufriedenzustellen, aber ruderte schließlich nach einigem Gegenwind zurück. Die Kritik entlud sich dabei auch an dem Einfluss von Christian Schmidt als Hohen Repräsentanten.

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Experte zu Schmidt: "Er ist in keiner Weise durch eine Wahl legitimiert"

Der Hohe Repräsentant hat die Möglichkeit per Dekret Gesetzesbestimmungen zu erlassen in Bereichen, in denen die nationale Politik nicht selbst zu einer Lösung kommt. Er darf auch Politikerinnen und Politiker sowie Amtsträger unter bestimmten Bedingungen absetzen.

Es gehe darum, im Sinne der Dayton-Verfassung ein stabiles Bosnien zu schaffen, so Balkan-Experte Bochsler: "Er ist in keiner Weise durch eine Wahl legitimiert. Seine Legitimität hat er dadurch, dass er Frieden und Demokratie erst ermöglicht, also durch die Ziele, die er erreicht und durch seine Einsetzung durch die internationale Gemeinschaft."

Beim aktuellen Konflikt gehe es daher auch um eine politische Frage: "Soll der Hohe Repräsentant 27 Jahre nach Ende des Krieges so direkt in die bosnische Politik eingreifen oder nicht?" Das wäre laut Bochsler schwer zu beantworten. Es gehe letztlich auch darum, wie selbstbestimmt Bosnien und die Herzegowina sind oder sein sollen. Und wie viel Verantwortung man den Politikern vor Ort zugesteht: "Wenn man immer alles von außen löst, können sich die heimischen Politiker aus der Verantwortung stehlen. Dann müssen sie sich nicht rechtfertigen für die Entscheidungen."

Man könne daher auch einen anderen Regierungsstil wählen. In der Vergangenheit wäre das Amt des hohen Repräsentanten sehr unterschiedlich ausgeübt worden. Einige standen den dortigen Politikern eher beratend zur Seite und setzten ihre eigenen Befugnisse erst ein, wenn es nicht mehr anders ging. Das habe geholfen, Verantwortung zu übertragen und habe einigermaßen funktioniert, so Bochsler. Bei CSU-Politiker Christian Schmidt sei das anders. Er habe viele Probleme weniger ernst genommen und sich dann auf eines gestürzt, welches eine Gruppe einseitig bevorteilt.

"Das ist ein Verhalten, wie es am Anfang des Staates Bosnien und Herzegowina häufig vorgekommen ist. Diese Wahlrechtsreform hätte nun dafür gesorgt, dass die kroatischen Nationalisten keinen Grund mehr haben zu verhandeln, weil sie bereits vom hohen Repräsentanten ihre Interessen durchgeboxt bekommen haben." Das größte Problem bei der Wahlrechtsreform laut Bochsler sei daher, dass versucht wurde, die kroatischen Nationalisten zufriedenzustellen, ohne sich um das eigentlich größere Problem, die Partizipation von Sinti und Roma sowie Juden zu kümmern.

"Hätte die ethnische Spaltung des Landes weiter zementiert"

Auch in Deutschland gab es Kritik an der geplanten Wahlrechtsreform und dem Eingreifen des Hohen Repräsentanten. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic hat selbst bosnische Wurzeln. Er erklärte gegenüber unserer Redaktion: "Ein solcher Schritt so kurz vor den Wahlen in Bosnien und Herzegowina hätte die ethnische Spaltung des Landes weiter zementiert." Er sei daher froh, dass der Vorschlag von Schmidt zurückgenommen wurde. Eine Reformierung des Wahlrechts hält Ahmetovic trotzdem für wichtig und sinnvoll, fordert dies allerdings erst nach den Wahlen im Herbst durchzuführen.

Auf Anfrage unserer Redaktion verteidigt das Büro des Hohen Repräsentanten Christian Schmidt dessen Intervention. Es gibt an, dass dieser seine Autorität und die ihm übertragenen Vollmachten genutzt habe, um die Durchführung der Wahlen sicherzustellen. Die Durchführung sei durch "eine Blockade in den relevanten staatlichen Institutionen" verzögert worden. Schmidt habe daher einschreiten müssen, da die regierenden politischen Parteien selbst nicht in der Lage gewesen seien.

Trotzdem betont auch das Büro, dass es letztlich das Ziel des Hohen Repräsentanten sei, dass die Bevölkerung und die Politiker des Landes Verantwortung für den Friedensprozess übernehmen. Ob das hinsichtlich der aktuellen ethnischen Spannungen im Land derzeit schon möglich ist, wird sich zeigen. Die Wahlen im Oktober werden ein Zeugnis davon sein.

Über den Experten: Daniel Bochsler ist Professor für Nationalismus und Politikwissenschaft an der Central European University (CEU) in Budapest und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Belgrad.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Daniel Bochsler.
  • Schriftliches Statement von Adis Ahmetovic.
  • Schriftliches Statement des Büros des Hohen Repräsentanten Christian Schmidt.
  • dw.com: Es brodelt wieder – Streit um das Wahlgesetz

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