Milch von friedlich grasenden Kühen auf der Weide? In der Milchviehwirtschaft weichen Werbeversprechen und Realität teils deutlich voneinander ab. Besonders in der Kritik: die Anbindehaltung für Milchkühe. Wie verbreitet ist diese wirklich, wie sehr leiden die Tiere – und verbietet die geplante Änderung des Tierschutzgesetzes das Anbinden von Rindern endgültig?
"Bärenmarke lässt Kühe leiden" – mit dieser Überschrift prangerte Greenpeace vor zwei Wochen an, dass die Molkerei Hochwald – die unter anderem Bärenmarke-Produkte herstellt – Milch von Kühen in Anbindehaltung verarbeitet.
Dass nicht alle Milchkühe glücklich auf der Almwiese grasen, bevor ihre Milch zu Käse, Butter und Co. verarbeitet wird, ist vielen klar. Doch wie viele Milchkühe in Deutschland leben stattdessen in Anbindehaltung? Offenbar so viele, dass die Ampelkoalition sich im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt hat, die Anbindehaltung für Rinder spätestens in zehn Jahren zu beenden. Nur: Welche Verbesserungen sieht die geplante Änderung des Tierschutzgesetzes konkret vor? Utopia gibt einen Überblick.
Darum geht es im Artikel:
- Milchvielhaltung in Deutschland in Zahlen
- Warum Anbindehaltung?
- Das Tierschutzgesetz und die geplante Gesetzesänderung
- Wie passen Anbindehaltung und Tierschutz zusammen?
- Anbindehaltung als Auslaufmodell?
Milchviehhaltung in Deutschland in Zahlen
Deutschland ist laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) der größte Milcherzeuger in der EU und der zweitgrößte Produzent von Rind- und Kalbfleisch. In der Bundesrepublik lebten Stand Mai 2023 rund elf Millionen Rinder, davon 3,8 Millionen Milchkühe. Die meisten Rinder (rund drei Millionen) wurden in Bayern gehalten, gefolgt von Niedersachsen.
Die Zahl der Rinder blieb in den vergangenen 20 Jahren beinahe konstant. Allerdings gibt es heute deutschlandweit rund ein Viertel weniger Höfe als noch 2010. Das bedeutet: Die Herden in den verbleibenden Betrieben werden größer. Über drei Viertel der Rinder leben heute in Betrieben, die mindestens 100 Tiere halten. Bei Betrieben mit Milchkuhhaltung liegt die durchschnittliche Herdengröße bei rund 72 Tieren.
Anmerkung: Dieser Artikel fokussiert sich auf Kühe, die als Milchkühe gehalten werden. Bei Rindern für die Mast gibt die Haltungsform 1 bis 4 auf der Fleischverpackung an, wie die Tiere gehalten wurden.
Rinderhaltung: Laufställe oder Anbindehaltung?
Doch wie sieht der Lebensalltag der Rinder konkret aus? Nur jedes dritte Rind darf im Sommer regelmäßig auf die Weide. Immerhin: Die meisten Milchkühe in Deutschland – nämlich neun von zehn – sind in sogenannten Laufställen untergebracht. Dort können sie sich frei bewegen. Doch wie das BMEL schreibt, variiert die Ausgestaltung dieser Stallungen "beträchtlich": Von Boden aus Betonspalten bis zu großen Boxenlaufställen ist alles dabei.
Gleichzeitig gibt es noch immer nicht wenige Höfe in Deutschland, die ihre Rinder in Anbindehaltung halten. Dabei unterscheidet man zwischen saisonaler Anbindehaltung (Kombihaltung) und ganzjähriger Anbindehaltung. Bei ersteren Haltungsform dürfen die Kühe im Sommer auf die Weide, den Winter verbringen sie im Stall in Anbindehaltung. Sie sind dabei so angebunden, dass sie sich nicht von ihrem Platz wegbewegen können.
Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, lebten 2021 insgesamt noch etwa zehn Prozent der Rinder in Deutschland in Anbindehaltung. Aktuellere Zahlen liegen der Behörde nicht vor, wie unsere Nachfrage ergab.
Anders sieht es im wichtigen Milchviehland Bayern aus: Der Bayerische Bauernverband (BBV) schreibt, dass etwa die Hälfte der Milchviehbetriebe in Bayern die Kühe in Anbindehaltung hält – das entspricht nach Aussagen des Verbandes rund 30 Prozent der Kühe und 25 Prozent der Milchmenge.
Warum gibt es die Anbindehaltung noch?
Die Anbindehaltung bei Rindern ist eine frühere Art der Tierhaltung auf ursprünglich eher kleinen Höfen. Wie der BBV betont, setzen Landwirt:innen dort bereits Verbesserungen für mehr Tierwohl um. So würden sie Ställe heller und luftiger umbauen, zudem dürfen die Kühe zeitweise auf einen Laufhof oder die Weide.
Ein vollständiger Umbau von der Anbindehaltung zum Laufstall sei aber oft nicht möglich, etwa wegen der hohen Kosten, einer fehlenden Fläche für einen größeren Stall oder der fehlenden Planungssicherheit, weil die Hofübernahme durch die nächste Generation nicht geklärt sei.
Angebundene Milchkühe auch in der Bio-Landwirtschaft?
Die EU-Öko-Verordnung verbietet die Anbindehaltung von Rindern für die ökologische Tierhaltung. Stattdessen müssen die Kühe in Laufställen mit ständiger Bewegungsmöglichkeit untergebracht sein.
Allerdings gelten Ausnahmen für sogenannte Kleinbetriebe. Bayern und Baden-Württemberg beispielsweise definieren, dass ein "Kleinbetrieb" im Jahresdurchschnitt maximal 35 ausgewachsene Rinder (Großvieheinheiten) halten darf.
Der Bioverband Bioland erklärt: Bioland-zertifizierte Betriebe dürfen zwar keine neuen Anbindeställe bauen. Die Kombihaltung mit Anbindung im Winter und Weidegang im restlichen Jahr ist für die oben genannten Kleinbetriebe aber weiter möglich – unter bestimmten Voraussetzungen. Dazu zählen, dass die Kühe aufstehen und sich auf einer gut eingestreuten Liegefläche hinlegen können. Mindestens zweimal in der Woche müssen die Tiere Auslauf bekommen.
Änderung des Tierschutzgesetzes: Wie sieht die gesetzliche Grundlage aus?
Das Tierschutzgesetz (TierSchG) legt in Paragraph 2 fest, dass ein Tier "seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen" untergebracht sein muss. Weiter heißt es, dass die Halter:innen "die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken [dürfen], dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden".
Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) hat einen Referentenentwurfzur Änderung des Tierschutzgesetzes vorgelegt und im Februar in den Bundestag eingebracht. Nun muss der Bundestag darüber entscheiden. In dem Entwurf ist eine Ergänzung des oben genannten Paragraphen vorgesehen. Demnach soll festgehalten werden: "Ein Tier darf nicht angebunden gehalten werden."
Folgende Ausnahmen des Anbindeverbots sind vorgesehen:
- Wenn die Anbindung im Einzelfall tierärztlich angeordnet wird
- Zur Vor- oder Nachbereitung der Tätigkeit, für die das Tier ausgebildet wurde oder wird
- Bei Tierversuchen
- Bei Kleinbetrieben mit höchstens 50 Rindern dürfen über sechs Monate alte Rinder angebunden gehalten werden, wenn sie während der Weidezeit Zugang zu Weideland und in der übrigen Zeit zweimal die Woche Zugang zu Freigelände haben.
Geplante Gesetzesänderung: So reagieren Tierschutzverbände und Co. auf Cem Özdemirs Pläne
Das BMEL begründet diese vorgesehene Gesetzesänderung wie folgt:
Die Reaktionen auf die geplante Gesetzesänderung fallen unterschiedlich aus: Tierschutzverbände begrüßen zwar das generelle Verbot der Anbindehaltung, kritisieren aber verbleibende Ausnahmeregelungen. So fordert der BUND etwa: "Ausnahmeregelungen darf es spätestens nach 10 Jahren Übergangsfrist nicht mehr geben."
Zudem würde sich für einen typischen Kleinbetrieb mit saisonaler Anbindehaltung nichts ändern, da diese Form der Anbindehaltung auch nach der Gesetzesänderung erlaubt bleibe. Lediglich zwei Freigänge in der Woche werden Pflicht. Auch dem Deutschen Tierschutzbund, der schon lange ein vollständiges Verbot der Anbindehaltung fordert, geht der Gesetzesentwurf nicht weit genug.
Der BBV dagegen lehnt das gesetzliche Verbot samt Zeitplan ab und betont die gesellschaftliche Bedeutung der kleinen bayerischen Milchviehbetriebe mit kombinierter Anbindehaltung für die Landschaftspflege, die Bewirtschaftung von Grünland sowie den Bodenschutz. Die amtierende bayerische Agrarministerin Michaela Kaniber fürchtet durch ein Verbot der Anbindehaltung gar ein Höfesterben in Bayern.
Wie passen Anbindehaltung und Tierschutz zusammen?
Agrarverbände betonen die Wichtigkeit der Anbindehaltung bei kleinen Betrieben, die sonst aufgeben müssten. Eine Verlagerung hin zu vollautomatisierten Großbetrieben kann keine Lösung sein. Doch Tiere, die angebunden sind, leiden.
Der Tierschutz Hessen beispielsweise stellt fest: Sind Kühe permanent angebunden, können sie ihre Sozialstruktur nicht so aufrechterhalten, wie es für sie typisch wäre. Auch die typische Ruhe- und Schlaflage der Tiere ist in Anbindehaltung eingeschränkt. Die Tierschutzorganisation Peta spricht sogar von massivem körperlichen und seelischen Leid als Folge der Anbindehaltung. Konkret leiden die Kühe unter entzündeten Gelenken oder Quetschungen am Hals.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sah es 2023 nach einem Gutachten als wissenschaftlich erwiesen an, "dass das Wohlergehen von Kühen, die dauerhaft in Ställen angebunden sind, beeinträchtigt ist." Die EFSA empfiehlt deshalb, die Anbindehaltung europaweit zu beenden und die Fixierung von Kühen lediglich während einer Übergangszeit zu erlauben, sofern die Tiere zeitweise eine Weide oder einen Laufhof nutzen können.
Ist die Anbindehaltung ein Auslaufmodell?
Tritt die geplante Gesetzesänderung zum Tierschutzgesetz wie vorgeschlagen in Kraft, ist die Anbindehaltung für Rinder grundsätzlich verboten – aber nur für größere Betriebe mit mehr als 50 Rindern. Diese aber halten Kühe meist ohnehin bereits in Laufställen. Wichtig dabei: Diese Haltungsform sorgt nicht unbedingt für mehr Tierwohl, da die Kühe nicht automatisch Zugang zu Weideflächen oder Tageslicht haben.
Für Kleinbetriebe, wie sie im Süden Deutschlands häufig vorkommen, ändert die geplante Gesetzesänderung nichts. Halten die Landwirt:innen deshalb an der Anbindepraxis fest, solange sie nicht gesetzlich verpflichtet werden, die Tierhaltung umzustellen? Der BBV macht deutlich: Mit jedem Stallneubau wechselt in der Regel die Haltungsform, da jeder neue Stall ein Laufstall sei. Von der Anbindehaltung wegzukommen ist zwar wichtig und richtig. Ein Laufstall stellt allerdings noch nicht sicher, dass die Kühe artgerechter leben.
Utopia meint: Wenn du weiterhin Milch und Milchprodukte konsumieren möchtest, solltest du in jedem Fall auf eine biologische und möglichst regionale Herkunft achten. Doch selbst dann kann es sich um Milch aus saisonaler Anbindehaltung handeln. Aus Tierwohl- und Klimaschutzsicht ist bei tierischen Produkten generell weniger mehr. Gerade für Milch gibt es zahlreiche pflanzliche Alternativen – allen voran regionale Hafermilch. © UTOPIA
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