Die Italiener lieben ihren Luxus am Lido. Doch die kostenpflichten Strandbäder sorgen seit Jahren für Zoff mit Brüssel. Die EU fordert, dass ihre Lizenzen ab 2024 in den freien Wettbewerb gehen – und schickt unangenehme Post nach Rom.

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Am Lido in Ostia wird früh am Morgen der Sommer verhandelt. Hinten links, näher bei den Toiletten? Vorne rechts, direkt am Wasser? Strandliege und Sonnenschirm kosten in Ostia im Schnitt 17,50 Euro, und sichern für einen Tag den ersehnten Platz unter der Sonne. Der Strandbesucher zahlt seinen Komfort gleich am Eingang zum "stabilimento", wie die Strandbäder in Italien heißen. Dabei bleibt ihm kaum eine andere Wahl. Kostenfreie Strände sind an den Mittelmeerküsten unbeliebt: Sie gleichen kleinen, eingezäunten Kästen mit schmuddeligem Sand, auf den sich freiwillig nur begibt, wer sich sonst nichts leisten kann.

Ein alter Mann mit dunklen Falten und rotem Shirt trägt die Liege Richtung Wasser. Unterwegs hebt er die Hand zum Gruß. Der "stabilimento" ist den Italienern im Sommer eine zweite Heimat. Hier haben schon ihre Eltern, Großeltern und Tanten die Sonnentage verbracht, hier haben sie als Kinder Schwimmen gelernt und als Jugendliche geknutscht. Womöglich mit den Geschwistern von dem Mann mit den dunklen Falten, dem Bademeister oder "bagnino". Man kennt sich, man kommt jeden Tag, manchmal sogar mehrfach. Und wer kein Bargeld hat, zahlt eben einen Tag später.

Mehr als die Hälfte verpachtet

Meer und Strand gehören rein theoretisch allen. Trotzdem sind mehr als die Hälfte des rund 8000 Kilometer langen Küstenabschnitts des Mittelmeerlandes als kostenpflichtige Einrichtungen verpachtet. Die meisten der insgesamt 6.592 "stabilimenti" liegen in der Emilia-Romagna, gefolgt von Toskana und Ligurien. Oft führen Pächterfamilien den Betrieb der "stabilimenti" und reichen ihn seit Generationen weiter. Ihre Lizenzen werden Jahr für Jahr automatisch verlängert, die geringen Abgaben an den Staat nur minimal erhöht.

Diese Gewohnheit könnte sich im kommenden Jahr ändern. Das Stichwort lautet Bolkestein-Regel und sorgt seit Jahren für Zoff zwischen Italien und der EU. Die Direktive gibt schon seit 2006 vor, dass der Betrieb von öffentlichen Stränden jedes Jahr neu ausgeschrieben werden muss, und zwar EU-weit und in einem transparenten Verfahren. Doch bisher scheute sich jede italienische Regierung, die Regel umzusetzen, und reichte das Problem an ihre Nachfolger weiter. Zuletzt verlängerte der ehemalige Ministerpräsident Guiseppe Conte der Fünf-Sterne-Bewegung die Lizenzen großzügig bis 2034.

Die Strandbad-Lobby hat in Italien einen großen politischen Einfluss. Viele Italiener und Italienerinnen stören sich an dem Gedanken, ihr "stabilimento" könnte in die Hände eines ausländischen Unternehmers fallen, der gar keine Ahnung hat von italienischer Kultur. Wie abwegig eine Reform der Lizenz-Vergabe für die italienische Politik ist, zeigt das Beispiel von Tourismusministerin Daniel Santanchè, die bis vor einem Jahr noch eigene Anteile am berühmten toskanischen Strandbad Twiga besaß.

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Immer wieder Ärger mit Brüssel

Brüssel rüttelt also gewaltig an italienischen Traditionen. Im April dieses Jahres forderte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, Rom müsse die automatische Weitergabe der Konzessionen endlich beenden. Für die italienischen Lidos tickt die Uhr, denn das oberste italienische Verwaltungsgericht hatte bereits vor zwei Jahren entschieden, dass die Lizenzen Ende des Jahres auslaufen.

Als eine der ersten Amtshandlungen verschob Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Frist aber um ein weiteres Jahr nach hinten – und ließ noch Luft für Kommunen, denen bei einer Reform ein Rechtsstreit mit den Betreibern droht.

Ob die Verordnung rechtsgültig ist, müssen am Ende Juristen entscheiden. So oder so sollte sich Italien mit einer Entscheidung beeilen: Mitte November platzte der EU-Kommission der Kragen und sie forderte Italien per Brief zu einer Stellungnahme auf. Hintergrund ist ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren, das seit 2020 im Raum steht. Die rechte Regierung hat nun zwei Monate Zeit, um auf den Brief zu reagieren, sonst wird das Verfahren aktiviert und es drohen deftige Geldstrafen.

Lächerlich geringe Abgaben

Eine Reform der Strandbad-Branche könnte einen wichtigen Schauplatz von Vetternwirtschaft und Steuerhinterziehung bekämpfen. Doch sie bedroht auch ein ertragreiches Geschäft: Wie das Ministerium für Infrastruktur angibt, erwirtschaftet ein Pächter mit seinem Strandbad im Schnitt 260.000 Euro Umsatz im Jahr. Dafür zahlt er dem Staat nur wenige tausend Euro. Die jüngsten Zahlen dazu stammen aus dem Jahr 2019, damals machten Italiens "stabilimenti" rund 31 Milliarden Euro Umsatz, gaben aber nur 115 Millionen Euro ab.

Ein Beispiel aus der Sonne: Zwei Nächte im bei Prominenten beliebten Hotel Cala di Volpe an der Costa Smeralda auf Sardinien bekommt man für mehr als 2000 Euro. Das zugehörige Strandbad kostet den Betreiber laut der Umweltschutzorganisation Legambiente jährlich nur 520 Euro.

Um ihren Wählern den Status quo zu sichern, versucht Meloni nun alles, um die EU auszutricksen. Ein Gremium sollte jüngst nachweisen, dass die italienischen Strände gar nicht unter die Bolkestein-Direktive fallen. Denn die Regel bezieht sich genau genommen nur auf knappe natürliche Ressourcen. Das Gremium ließ Italiens Strände neu vermessen, und kam zu dem Ergebnis: Nur rund 33 Prozent der italienischen Küsten seien verpachtet, die restlichen 67 Prozent frei. Italien hätte demnach mehr als genug natürliche Strände.

Wann ist ein Strand ein Strand?

Was folgte, war eine Debatte, die es so in der Geschichte des Landes wahrscheinlich noch nicht gab: Was macht einen Strand zum Strand, fragten sich Politiker, Lobbyisten und Interessenvertreter. Umweltorganisationen wie Legambiente und Mare Libero argumentierten, das Gremium habe felsige Küstenabschnitten mit einberechnet, die gar nicht als Strände gelten.

Die rechten Regierungsparteien verteidigten wiederum die Arbeit des Gremiums, das vor allem aus Politikern aus den eigenen Reihen bestand. Schließlich sprach die EU-Kommission ein Machtwort. Die Berechnung sei gar nicht aussagekräftig, urteilte Brüssel, weil sie nicht berücksichtigte, welche Strandabschnitte die Kommunen tatsächlich nutzen. So kalkulierten die Rechner auch Militärgebieten oder Häfen.

Sollte sich Rom zu einer Reform durchringen, droht jedoch ein altes Problem: Die Kommunen, die die Wettbewerbe für die Strandbad-Lizenzen ausschreiben müssen, sind im ganzen Land nur schlecht besetzt. Was auch immer sich an den Lidos ändern sollte: Schnell geschieht es nicht.

Verwendete Quellen

kranke Frau

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