- In Afghanistan leben etwa 38,9 Millionen Menschen. Rund 41 Prozent davon sind dem United Nations Population Fund zufolge Kinder zwischen 0 und 14 Jahren.
- Rund zehn Millionen afghanische Mädchen und Jungen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
- Die Mehrheit der Menschen lebt auf dem Land, viele von ihnen in sehr schwer zugänglichen, gebirgigen Regionen.
- Etwa 40 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft, knapp 40 Prozent im Dienstleistungssektor. 2021 lag Afghanistan auf Platz 6 der ärmsten Länder der Welt.
Die politische Situation in Afghanistan ist seit längerer Zeit hochgradig instabil. Immer wieder flammte Gewalt auf, auch Kinder wurden verletzt und getötet. Mehr und mehr Familien geraten in verzweifelte Not. Hunderttausende Menschen sind im eigenen Land auf der Flucht.
Nach dem Truppenabzug der US-amerikanischen Soldaten hat die radikal-islamische Gruppierung Taliban in Afghanistan binnen weniger Wochen zahlreiche Städte eingenommen und im August die Macht ergriffen.
Wie ist die Situation der Kinder in Afghanistan?
1. Drei Mahlzeiten pro Tag sind die absolute Ausnahme
Die politische Unsicherheit und der dadurch verursachte Niedergang der Wirtschaft, eine schwere Dürre und die Folgen der Corona-Krise haben vielen Familien ihre Lebensgrundlage genommen. Nun haben sie kaum Geld für Lebensmittel. UNICEF-Mitarbeiter Salam Al-Janabi hat in der Provinz Herat mit Familien gesprochen. Er berichtet, dass Viele nichts als trockenes altes Brot essen, getunkt in Tee.
Im September und Oktober wussten einer Analyse zufolge 19 Millionen Menschen im Land nicht, wie und woher sie ihre nächste Mahlzeit bekommen sollten. Das ist etwa die Hälfte der Bevölkerung. Und die Prognosen für die kommenden Monate sind besorgniserregend. Es wird erwartet, dass die Zahl schnell steigen wird.
Für Kinder ist der Hunger besonders bedrohlich. Die Experten und Expertinnen von UNICEF schätzen, dass etwa 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren bis Ende 2021 von akuter Mangelernährung bedroht sein werden. Mindestens eine Million Kinder sind sogar in Gefahr, lebensbedrohlich mangelernährt zu sein.
UNICEF hilft mangelernährten Kindern mit Spezialnahrung wie Erdnusspaste. Durch die Behandlung geht es den meisten Kindern innerhalb von sechs Wochen deutlich besser. Diese Hilfe wird ergänzt durch das Verteilen von Lebensmitteln, etwa durch das Welternährungsprogramm.
2. Der Winter ist eine zusätzliche Gefahr
Im Winter wird es in Kabul nachts durchschnittlich um die -7 Grad Celsius kalt. Vor allem im Norden des Landes sind die Winter sehr kalt, Temperaturen fallen auf bis zu -25 Grad Celsius. Und die Kälte kann sich über Wochen halten.
Seit Anfang 2022 hat der Winter das Land im Griff. Es ist Schnee gefallen, die Temperaturen liegen vor allem nachts weit unter dem Gefrierpunkt. Das ist insbesondere für Kinder auf der Flucht und in armen Familien eine große Gefahr.
Schon im Sommer war es schlimm, wenn Kinder auf der Straße oder in Zelten übernachten mussten. Doch im Winter wird es zusätzlich eiskalt. Und auch wer ein Zuhause hat, ist oft nur wenig besser dran. Viele Familien sind infolge der politischen Instabilität und der dadurch verursachten Wirtschaftskrise mittlerweile so arm, dass sie kein Geld für eine Heizung oder für warme Kleidung haben. Viele Kinder werden krank. Auch die Gefahr, dass Kinder erfrieren, ist real.
Sie brauchen dringend wärmende Kleidung und Schuhe, Decken – und vor allem eine feste, warme Unterkunft. Das gilt auch für Kinder aus armen Familien. Sie leben oft in einfachen Hütten und haben nur wenig Geld, um Feuerholz oder andere Mittel zum Heizen zu bezahlen.
3. Kinder dürfen zur Schule gehen – aber nicht alle
"Das Bild ist nicht überall gleich", sagt Salam Al-Janabi, Sprecher von UNICEF Afghanistan, wenn man ihn zum Thema Bildung fragt. In vielen Provinzen gehen Jungen und Mädchen wieder zur Schule, auch ältere Mädchen. Doch es gibt Regionen, in denen jugendliche Mädchen nicht am Unterricht teilnehmen dürfen.
Insgesamt gehen vier Millionen Kinder nicht zur Schule, davon sind über die Hälfte Mädchen. Schon vor der Machtübernahme der Taliban bekamen insbesondere viele Mädchen keine gute Ausbildung. Deshalb setzen wir uns gemeinsam mit UNICEF dafür ein, dass alle Kinder zur Schule gehen und dass auch Lehrerinnen unterrichten dürfen.
4. Risiko von Kinderehen könnte wieder steigen
Rubaba (18) erzählt: "Ich habe Freundinnen, die auch bald 18 werden, so wie ich. Ich mache mir Sorgen. Seit ich 15 bin, werben Männer um mich und wollen mich heiraten. Ich habe meine Familie angefleht, dass ich erst meine Ausbildung zu Ende machen darf. Doch ich habe Angst, dass ich doch früher heiraten muss."
Leider sind Rubabas Sorgen nicht unbegründet. Eines von drei Mädchen in Afghanistan wird verheiratet, bevor es 18 Jahre alt wird – obwohl Kinderheirat in Afghanistan illegal ist. UNICEF-Experten fürchten, dass die Zahl der Kinderehen sogar steigen könnte. Die extrem angespannte wirtschaftliche Lage treibt Familien immer tiefer in die Armut und zwingt sie, verzweifelte Entscheidungen zu treffen – wie etwa ihre Töchter zu verheiraten. "Uns wurde berichtet, dass Familien schon für Töchter, die gerade einmal 20 Tage alt sind, eine zukünftige Ehe aushandeln, um eine Mitgift zu erhalten", sagt UNICEF Exekutivdirektorin Henrietta Fore.
Kinderehe hat oft lebenslange Auswirkungen für die Mädchen. Viele schließen die Schule nicht ab. Sie haben ein höheres Risiko, häusliche Gewalt, Diskriminierung und Missbrauch zu erleben, was häufig auch ihre mentale Gesundheit beeinträchtigt.
UNICEF nutzt ihren Einfluss auf allen Ebenen, um sich für Kinderrechte und somit auch für die Rechte von Mädchen einzusetzen und Zwangsverheiratungen zu verhindern. Dabei hilft, dass UNICEF seit über 70 Jahren in Afghanistan aktiv ist und ein starkes Netz von Partnern und Kontakten hat. UNICEF unterstützt arme Familien auch finanziell, um die Kinder vor Kinderheirat, aber auch vor Hunger und Kinderarbeit zu schützen.
5. Polio ist (noch) eine reale Gefahr
Der Wildtyp des Polio-Erregers ist nur noch in zwei Ländern auf der Welt endemisch. Eines davon ist Afghanistan, das andere Pakistan. Die Krankheit wird durch ein Virus ausgelöst und ist hoch ansteckend. Es kann zu einer Lähmung der Arme, Beine und der Atmung und damit im schlimmsten Fall zum Tod kommen.
Eine Impfung bietet einen guten Schutz. Allerdings haben 46 Prozent der afghanischen Kinder zwischen 12 und 23 Monaten ihre Grundimpfungen noch nicht erhalten, zu denen auch Impfungen gegen Polio gehören würde.
Gleichzeitig gibt es aktuell eine nahezu einmalige Chance, Polio in Afghanistan auszurotten: Denn 2021 wurde bislang nur ein Fall gemeldet. Am 8. November hat UNICEF daher gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation eine Impfkampagne gestartet. Sie ist das Ergebnis von Verhandlungen der beiden Hilfsorganisationen mit den Taliban. Nun gehen mobile Teams von Tür zu Tür, um möglichst viele Kinder zu erreichen und zu schützen. Unter anderem impfen die Hilfskräfte auch Mädchen und Jungen in Regionen, die für humanitäre Nothilfe seit einigen Jahren nicht zugänglich waren.
6. Trinkwasser aus dem Wasserhahn ist eine Seltenheit
Wenn ein Kind in Deutschland Durst hat oder sich die Hände waschen möchte, dreht es einfach den Hahn auf. Für Kinder in Afghanistan sieht die Situation anders aus. Viele Mädchen und Jungen in Afghanistan nehmen morgens einen oder zwei Kanister und machen sich auf den Weg, Trinkwasser zu holen. Oft laufen sie mehrere Kilometer.
33 Prozent der afghanischen Bevölkerung haben zuhause keinen direkten Zugang zu Trinkwasser, so ein Bericht von UNICEF und Weltgesundheitsorganisation. Das betrifft vor allem Familien in entlegenen, schwer zugänglichen Dörfern sowie in Vertriebenenlagern.
UNICEF ist im Einsatz, damit Familien festinstallierte Zugänge zu Trinkwasser bekommen. Im Jahr 2020 hat das Kinderhilfswerk das für 122.000 Menschen möglich gemacht.
7. Die meisten Kinder haben nie Frieden erlebt
Konflikt, Gewalt und Gefechte sind Teil des Lebens in Afghanistan – seit mehr als zwanzig Jahren. In einigen Regionen des Landes gab es ruhigere, friedlichere Perioden, in anderen nicht. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 sind mehr als 550 Kinder bei Gefechten ums Leben gekommen. 1.400 wurden verletzt, zahlreiche Mädchen und Jungen traumatisiert.
"An einem Tag waren die Gefechte so heftig, dass mein Vater uns in den Keller geschickt hat. Dort haben wir uns versteckt. Ich habe mich am Kleid meiner Mutter festgehalten und zu ihr gesagt: 'Halt mir die Ohren zu!', damit ich die Explosionen nicht mehr hören konnte", erzählt die elfjährige Habiba.
Erlebnisse wie die von Habiba können Kinder traumatisieren. Dies kann ihre mentale und körperliche Gesundheit und ihr Wohlbefinden ihr Leben lang negativ beeinflussen. Habiba und ihre Familie flohen von zuhause und kamen in einem Vertriebenenlager unter. Dort gibt es auch ein von Kinderzentrum von UNICEF. Hier haben Habiba und die anderen Kinder einen Ort, um zu spielen und die Erlebnisse zu verarbeiten.
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