In "Pumpen" entpuppt sich ein Fitnessstudio als gefährlich: Im ersten Fall nach der Sommerpause macht Kommissar Eisner Diät, Bibi Fellner hat Liebeskummer, und Kollege Schimpf landet im Krankenhaus.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Kein Spoiler-Alert: Der Schaffner ist der Mörder. Entweder das, oder der Schaffner ist im Nebenberuf ein psychopathischer Serienkiller, den der Anblick einer durchtrennten Leiche an den Schienen in eine so heitere Stimmung versetzt, dass er Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ganz gelassen mit seiner Sachkenntnis dienen kann: "Herr Kommissar!", ruft er, als er Eisner mit Kaffee und Croissant an den Zuggleisen erblickt, "Sie sind doch der Kommissar? Kommissare haben immer was zum Essen oder Trinken in der Hand. Also, im Fernsehen."

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Wiener "Tatort: Pumpen" mit bekanntem schwarzen Humor

Und dann erklärt er ihm: dass der Mann, der da von seinem Zug mit einem sauberen Schnitt durchtrennt wurde, kein Selbstmörder war. Der habe vielmehr versucht, von den Schienen runterzukommen, auf so eine seltsame, wie betäubte Art. Der Schaffner kennt sich aus, das sei nämlich schon sein zweiter Toter, "in diesem Jahr".

Auch für uns Zuschauer ist das ja nicht der erste "Tatort"-Tote in diesem Jahr. Trotzdem nimmt uns der Anblick dieses Horror-Torsos genug mit, dass wir uns wundern müssen. Über diesen offenbar untraumatisierbaren Schaffner. Über Eisner mit seinem Frühstück neben der Leiche. Und ein bisschen auch über die Tatsache, dass der Schaffner das alles so genau gesehen hat in der Nacht, zumal es so aussah, als sei das Opfer in einer Kurve auf den Gleisen abgelegt worden.

Und dann gehen Eisner und Fellner auch noch zum Imbiss, und der Kommissar bestellt am Würstelstand "eine Eitrige": Angeblich ein Wiener Kosename für den Käsekrainer, eine geräucherte Brühwurst mit Käsewürfeln, die beim Reinbeißen aufplatzen wie eine Wunde...

Wem der schwarze Humor, für den wir die Wiener und ihren "Tatort" so lieben, in dieser Episode zu dick aufgetragen ist, der sei gewarnt: "Pumpen" stammt von zwei Autoren (Karin Lomot und Robert Buchschwenter) und einem Regisseur (Andreas Kopriva), für die es der erste "Tatort" in ihrer jeweiligen Funktion ist. Und alle drei arbeiten mit kraftvollem Pinselstrich.

Ein Fitnessstudio für echte Männer

Aber es geht ja schließlich um Krafttraining. Denn der Tote, Iovan Savic, führt Eisner und Fellner in die Sorte Fitnessstudio, die der Folge ihren Namen gegeben hat: Bei "Arnis Fitness" werden Muskelmasse und Aggressivität gleichermaßen aufgepumpt. Hier trainieren echte Männer mit Bürstenhaarschnitt, Goldschmuck und finsterem Blick.

Und wer will, bekommt im Umkleideraum auch Anabolika. Das erfahren die beiden Ermittler von ihrem Ex-Kollegen Rainer Kovacs (Anton Noori), der inzwischen als Detektiv arbeitet und auch in dem Studio trainiert: "Ist nicht so eine Hipster-Bude." Und sie liege in der Nähe seiner Wohnung.

Der Iovan kam fast jeden Tag, erzählt die nicht gerade hochbegabte, dafür blond bezopfte Empfangsdame, die natürlich Susi heißt und Kaugummi dauerkaut. Vielleicht führte der illegale Handel ja zu Savics Tod? Denn für einen 23-jährigen arbeitslos gemeldeten Automechaniker fuhr er einen ganz schön teuren Sportwagen, und auf seinem Laptop finden sich seltsame Mailing-Listen.

Das Klischee von der Steroid-Kaschemme voll zwielichtiger Süd(ost)Europäer ist dermaßen dick aufgetragen, dass die überraschende Wende, die die Ermittlungen nehmen, auch dringend nötig ist. Vorsichtshalber wird außerdem kurz ein ausländerfeindlicher Taxifahrer in die Handlung geworfen, über den Moritz Eisner empört den Kopf schütteln kann, damit wir Zuschauer wissen, dass es in "Pumpen" nicht darum geht, zu beweisen, dass alle Kosovo-Flüchtlinge fragwürdige Gesellen sind. Was wenig an der Tatsache ändert, dass das Bild, das die Folge von Osteuropäern zeichnet, alle Vorurteile bedient.

"Tatort" aus Wien: Chefinspektor undercover im Fitnessstudio

Davon abgesehen aber ist dieser "Tatort" wieder unterhaltsames Wiener Ermittlungsgeschäft. Viel Gefrotzel, sorgsam gelegte falsche Fährten, realistisch mühselige Schreibtischarbeit, klug dosierte Action.

Schön auch, wie die Körperlichkeit des Falles sich auf die Ermittler überträgt: Besonders der fleißige Sidekick Chefinspektor Schimpf (Thomas Stipsits) darf mit seinem Einsatzeifer mal so richtig über die Stränge schlagen: Undercover (eigentlich war er aber schon zur Zeugenbefragung dort) meldet er sich bei "Arnis Fitness" zum Training an, entdeckt in einem Spind prompt eine Tüte weißer Pillen – und wird von ein paar Hantelhebern, die eindeutig zu viel von dem Zeug gefuttert haben, in der Dusche krankenhausreif geschlagen.

Dort pflegt ihn, ganz rührend, Schwester Petra. Wenn der Saarländer "Tatort" nicht schon ein vielversprechendes neues Team hätte, "Pumpen" wäre der Beweis: Manfred Schimpf wäre der perfekte Nachfolger für den bis 2019 von Devid Striesow gespielten Kommissar Jens Stellbrink.

"Pumpen": Fellner hat Liebeskummmer – Eisner übt sich als James Bond

Krankenpflege benötigt in dieser Folge außerdem Bibi Fellner: Sie hat Liebeskummer – und ebenfalls eine unangenehme Begegnung im Studio von Arni, an dem rein gar nichts so niedlich ist wie sein Name. Zum Glück kann sich Fellner auf den Kollegen Eisner verlassen, der ihr mit einer Kühlkompresse und warmen Worten Beistand leistet.

Dabei ist der in "Pumpen" besonders grantig. Denn auch Eisner nimmt den Fall persönlich; all die gestählten Körper um ihn herum haben ihn zu einer Diät inspiriert, und es geht ihm, wie es jedem ginge, der von sorglosen Würstl-, Semmel- und Schnitzelmampfern umzingelt ist, während er selbst nur Säfte schlürft.

Die schönste Szene in Sachen Krafttraining aber ist vielleicht die vom Oberstleutnant als James Bond: Iovan Stavic war 007-Fan, und spielerisch probiert Moritz Eisner in der filmdekorierten Wohnung des Toten vor einer James-Bond-Spiegelwand die berühmte Anfangssequenz mit dem schnellen Dreh und Ziehen der Waffe. Und dann lächelt er sich anerkennend zu – ganz kurz, ganz heimlich.

Der "Tatort: Pumpen" aus Wien läuft am Sonntag, den 6. September 2020, um 20:15 Uhr im Ersten.

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