Nazi-Ermittler und 51 Leichen auf einmal: Das waren die irrsten Murot-"Tatorte"

Den "Tatort" gibt es zwar schon seit November 1970, im Jahr 1944 wurde jedoch noch nie ermittelt. Das ändert sich nun mit dem 13. Fall von Ulrich Tukurs Kommissar Felix Murot. Dank einer Rückblende sehen wir die Arbeit des Nazi-Ermittlers Rother (auch Ulrich Tukur, links) und seines Assistenten Hagen von Strelow (Ludwig Simon).

Der Fall ist clever konstruiert. In der (sehr kurzen) Gegenwartshandlung warten Murot und Assistentin Wächter (Barbara Philipp) auf die späte Auslieferung eines Nazi-Verbrechers am Frankfurter Flughafen. Es handelt sich um den 1944 noch blutjungen Offizier Hagen von Strelow - den Assistenten von Retro-Kommissar Rother.

Die Handlung verknüpft geschickt eine klassische Mord-Ermittlung um einen abgestürzten englischen Piloten in einem hessischen Dorf mit einer Hintergrundgeschichte um die Geheimhaltung der Invasionspläne der Alliierten vor 80 Jahren am 6. Juni 1944, also am D-Day.

Beeindruckend war das realistische Retro-Setting eines hessischen Dorfes des Jahres 1944. Wo sieht es heute noch so aus? Gedreht wurde im Hessenpark, einem Freilichtmuseum bei Frankfurt, wo auf 65 Hektar Fläche mehr als hundert historische Gebäude stehen, die das Dorfleben der Vergangenheit zeigen (Szene mit Cornelius Obonya und Melanie Straub).

Wer war der fiese junge Nazi? Schauspieler Ludwig Simon, 27, hat zwei berühmte Eltern mit "Tatort"- und "Polizeiruf"-Vergangenheit. Ludwigs Mutter ist Maria Simon, die früher als "Polizeiruf 110"-Ermittlerin Olga Lenski in Brandenburg aktiv war. Sein Vater ist Devid Striesow, früher "Tatort"-Ermittler in Saarbrücken.

Auch Murots Assistentin Magda Wächter brachte der Hessische Rundfunk in der XXL-Rückblende des Krimis unter. Haben Sie sie erkannt? Barbara Philipp spielte die Jüdin Else Weiß, die sich in der 1944-Handlung als Wirtshaus-Mitarbeiterin im Dorf versteckte. Dort wird auch die Leiche des toten Engländers aufbewahrt.

In der Gaststätte Clara Breuningers (Imogen Kogge, zweite von links) greift Tukurs Ermittler dann vor versammeltem Dorf in die Tasten - und singt zwei Hitler-Lieder: Das spöttische "Hitler has only got one ball" und das Kitsch-Nazilied "Adolf Hitlers Lieblingsblume ist das schlichte Edelweiß". Beide historischen Kompositionen gibt es wirklich.

Dass "Tatort: Murot und das 1000-jährige Reich" mit Rückblenden-Ermittler Rother 1944 spielt, ist ein bisschen verrückt. Andere Ideen von Ulrich Tukur und dem experimentierfreudigen Hessischen Rundfunk waren jedoch (noch) verrückter. Hier eine kleine Erinnerung daran, was es seit Fall eins, "Wie einst Lilly", vor 14 Jahren zu bestaunen gab ...

2010 gelang dem Hessischen Rundfunk ein Coup. Man verpflichtete mit Ulrich Tukur einen der begehrtesten und besten deutschen Schauspieler als "Tatort"-Kommissar des LKA Wiesbaden. Neben Magda Wächter (Barbara Philipp) wurde im "Tatort: Wie einst Lilly" auch Felix Murots Gehirntumor vorgestellt - mit dem er sich in den ersten Folgen unterhielt.

Im zweiten "Tatort: Das Dorf" (2011) etablierte der Murot-Krimi das Prinzip des filmischen Zitats. Etwas, das man so bisher auch nicht vom "Tatort" kannte. Viele der bisher 13 Tukur-Fälle sind Würdigungen von Genres und Filmklassikern. "Das Dorf" (Szene mit Thomas Thieme, links) war ein aberwitziger Retro-Trip in die Welt der Edgar-Wallace-Streifen.

Murots vierter Einsatz "Tatort: Im Schmerz geboren" (2014) wurde gefeiert und zu Recht mit dem Grimme-Preis belohnt. Berühmt wurde der vor Ideen strotzende Film zwischen Nouvelle Vague, griechischer Tragödie und Quentin Tarantino durch seine unfassbare Zahl an Leichen. Über 50 waren es nach einigen Zählungen: Rekord in der "Tatort"-Geschichte!

Im Folgejahr 2015 setzte der "Tatort: Wer bin ich?" jedoch noch einen drauf. Im Fall, der den Mord an einem Filmset mit Ulrich Tukur als Kommissar Felix Murot untersucht, begegnet der Schauspieler Tukur seiner Figur Murot zum philosophischen Gespräch darüber, wer oder was hier das Echte ist. Noch Fragen?

2019 kam der "Tatort: Murot und das Murmeltier". In dem sehr unterhaltsamen Zeitschleifenfilm wird Murot immer wieder beim gleichen Einsatz erschossen - und wacht danach wieder am Morgen davor auf. Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma?

Der "Tatort: Angriff auf Wache 08" mit Co-Star Peter Kurth (und Paula Hartmann) war 2019 wieder eine Hommage: an klaustrophobische B-Movie-Thriller mit dystopischer Gesellschaftsprognose. Ein Gangster-Mob belagert eine aufgegebene Polizeistation. John Carpenters schmutziger Klassiker "Assault - Anschlag bei Nacht" von 1976 wird klar zitiert.

Der "Tatort: Die Ferien des Monsieur Murot" war 2020 eine weitere filmische Hommage - diesmal an das sehr besondere Kino des französischen Komikers und Filmkünstlers Jacques Tati. Auf dessen Klassiker "Die Ferien des Monsieur Hulot" von 1953 spielt bereits der Titel an.

Wie geht es mit dem Tukur-Krimi weiter? Fall 14, "Tatort: Murot und der Elefant im Raum" ist seit Juni 2024 im Kasten. Darin hat Murots Therapeut Dr. Schneider (Robert Gwisdek) eine Maschine entwickelt, mit deren Hilfe man in seiner eigenen Psyche spazieren gehen kann wie in einer Landschaft. Ausgestrahlt wird er 2025.