Unsere Krimi-Kritikerin hat ein Geständnis abzulegen und freut sich auf ein "Tatort"-Jahr voller Psychopathen, Braten und Schokolade. Mehr Gewalt im Gehölz und eine schön schwierige Kindheit, bitte: Eine Wunschliste für das "Tatort"-Jahr 2021.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Eine Neujahrsbeichte vorweg:

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Ich schreibe jetzt seit über einem Jahr hier die "Tatort"-Kritiken, aber ich habe keine Ahnung vom "Tatort". Jedenfalls gemessen an den echten Fans, die Schimanski noch persönlich kannten und mit Kommissar Bienzle zur Schule gegangen sind.

Ich dagegen leide an einem frühkindlichen "Tatort"-Trauma: Ich hatte panische Angst vor der berühmten Melodie des Vorspanns. Jeden Sonntagabend, wenn die Eltern es sich vor dem Fernseher gemütlich machten und das bedrohliche "Na-naa... NA-NAAAA" losging, stellte ich sicher, dass die Tür zum Kinderzimmer fest verschlossen war und mein Kopf tief unter der Decke lag.

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Darauf führe ich es zurück, dass mich die "Tatort"-Tradition nie wirklich gepackt hat. Jahrzehntelang war ich die Gelegenheitsraucherin unter den "Tatort"-Zuschauern, habe privat nur in Gesellschaft mitgeguckt, oder bin professionell eingesprungen, wenn der zuständige Redaktionskollege keine Zeit hatte.

Aber dann wurde alles anders. Seit einem Jahr habe ich keinen "Tatort" verpasst. Keine. Einzige. Folge. Seitdem bin ich der schwärmerische Fan, der von den alten Hasen vermutlich belächelt wird: Ich lache über jeden Witz von Professor Boerne und freue mich über jeden Zynismus von Kommissar Faber. Ich kann mich über jedes Opfer rechter Gewalt empören, als wär`s das erste, und jede Kinderleiche packt mich, als wäre Pädophilie das allerneuste Wagnis im Primetime-TV. Besonders peinlich: Ich juble über jeden Schauplatz der Berliner und Stuttgarter "Tatorte", den ich (aus autobiografischen Gründen) wiedererkenne.

Und ich kann mich für einen coolen Til "Tschiller" Schweiger genauso begeistern wie für einen Fall mit dem melancholischen Murot. Denn der Neulings-Enthusiasmus hat den Vorteil, dass ich fast jeden "Tatort" irgendwie gut finde. Schließlich gehört er zur Königsdisziplin im deutschen Fernsehen, weshalb es nie wirklich schlechte Drehbücher oder Regisseurinnen gibt.

Und solange die Story gut und in sich stimmig ist, ist mir die auch die Wahrscheinlichkeit schnuppe – als Fernsehkritikerin will ich eine fesselnde Geschichte in starken Bildern erzählt bekommen, und keine paragraphentreue Wiedergabe des "Modulhandbuchs für den Kriminalvollzugsdienst im Bundeskriminalamt".

Ich freue mich also schon auf das neue "Tatort"-Jahr. Wenn es nach mir ginge, gäbe von manchem sogar mehr. Hier eine höchst subjektive Wunschliste für den "Tatort 2021".

"Tatort" 2021: Mehr Krimis aus der Schweiz

Der neue "Tatort" des SRF aus Zürich hat alles, was ein "Tatort" der Extraklasse für das Jahr 2021 bereithalten sollte: Starke Ermittlerinnen, deren Weiblichkeit kein großes Thema ist. Selbstbewusster Lokalkolorit, der bekannte Orte trotzdem in neuem Licht zeigt. Gesellschaftlich brisante Fälle, die über starke private Schicksale erzählt werden.

Das jedenfalls machte der erste Einsatz für das neue Zürcher Team mit Polizistin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher) und Profilerin Tessa Ott (Carol Schuler) glauben, der im Oktober lief. Ihr zweiter (geplant fürs Frühjahr) stammt vom selben Autoren- und Regieteam und führt sie in eine Schweizer Schokoladendynastie – was kann da schon schief gehen.

Mehr Meer

Am schönsten ist der "Tatort" immer dann, wenn er selbstbewusst das Land zeigt, aus dem er kommt. Einfacher kann man den Lokalkolorit, der ja mal die Grundidee der Reihe war, nicht einsetzen, vor allem, wenn es gelingt, die Figuren auch charakterlich in ihrer Landschaft zu verorten.

Besonders leicht hat es da natürlich der NDR mit Kommissar Falke (Wotan Wile Möhring), der ständig am Nordseestrand ermitteln darf und seine Informationen aus lakonischen Küstenbewohnern herauskitzeln muss – schon am 24. Januar geht es nach Norderney.

Aber auch der Schwarzwälder "Tatort" könnte noch viel mehr aus seiner Sonderstellung machen, die ihn nicht an eine Stadt bindet – mörderische Geschichten mitten aus dem mythenreichen deutschen Wald! Leider führt der Fall "Was wir erben", dessen Ausstrahlung 2021 geplant ist, "nur" nach Freiburg.

Endlich wieder Bremen

Pfingsten soll das neue Bremer Team starten. Das freut mich schon deshalb, weil ich so bei der Geburt eines neuen "Tatort"-Teams dabei sein darf. "Neugeboren" soll im Frühjahr seine Premiere im Ersten feiern, es geht um die Entführung eines Babys und einen scheinbaren Selbstmord.

Laut Pressetext haben weder die totale Anfängerin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) noch ihr dänischer Kollege Mads Andersen (Dar Salim) Lust auf "die lästige Leiche" – man kann sich schon vorstellen, was BKA-Ermittlerin Linda Selb (Luise Wolfram) von dieser Arbeitseinstellung hält.

So funktionieren Web-Specials

Wer nicht so lange warten will, dem sei die Satire "How to Tatort" in der Mediathek ans Herz gelegt, die ahnen lässt, dass das neue Bremer Team bestens funktionieren wird. Im Stil einer fiktionalen Dokumentation begleitet das Web-Special die Schauspieler bei den Vorbereitungen auf ihre Rolle, inklusive "Gaststars" in Gestalt erfahrener "Tatort"-Darsteller wie Anna Schudt (Kommissarin Bönisch aus Dortmund), die "rein zufällig" ihren Emmy-Preis in der Handtasche trägt und ordentlich ablästert.

Die Miniserie ist dermaßen böse, lässig und lustig, dass man es eigentlich nur bedauern kann, dass der Sender ausdrücklich darauf hingewiesen hat, beim ersten Fall aus Bremen gehe es "anders zur Sache", nämlich Krimi-konventionell und actionreich.

Ein Hoch auf die Horizontale

Auch die neuen Saarländer Kommissare Schürk (Daniel Sträßler) und Hölzer (Vladimir Burlakov) feierten mit ihrem ersten Fall 2020 einen erfolgreichen Einstand und müssen sich in diesem Jahr mit dem "Herrn des Waldes" beschäftigen – wenigstens hier traut man sich raus aus der Stadt (siehe oben).

Die zwei Kommissare, die eine tiefe Jugendfreundschaft verbindet, überzeugten auch deshalb, weil ihnen eine emotional berührende Biografie angedichtet wurde – das gehört zum modernen "Tatort"-Kommissar einfach dazu: Schließlich sind Fernsehzuschauer inzwischen durch exzellente Serien an das Folgen übergreifende, horizontale Erzählen gewöhnt, und das tut auch der Krimireihe gut. Eine Vorgeschichte, die häppchenweise in die aktuellen Fälle eingebaut werden kann, verleiht Tiefe.

Das macht auch den Dortmunder Faber (Jörg Hartmann) zu einem der interessantesten Kommissare im "Tatort". Im ersten Halbjahr 2021 ermittelt er in den eigenen Reihen: Ein Streifenpolizist der Hörder Wache wurde ermordet. Und Teamneuling Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) kann zeigen, was sie drauf hat. Sie achtet auf Körpersprache und ist "Expertin für Mikroexpressionen bei Menschen". Das wird mit dem finsteren Faber bestimmt heiter.

Mehr Psychopathen, bitte!

Nichts gegen Ein- und Ehebrecher oder korrupte Wirtschaftsschnösel, aber ich habe eine Schwäche für Psychopathen.

Auch wenn sie im Grunde nur besonders grausame Killer sind – in Kriminalfilmen ermöglichen sie Kommissaren einen Kampf auf Augenhöhe, was die Ermittlung im besten Fall zu einem besonders perfiden psychologischen Duell werden lässt – siehe Kommissar Fabers Erzfeind Markus Graf (Florian Bartholomäi), der bereits zwei "Tatorte" zu Dortmunder Highlights machte.

Deshalb freue ich mich ganz besonders auf die zweite Rückkehr des "stillen Gastes" Kai Korthals (Lars Eidinger) in den Kieler "Tatort". Der gehört ohnehin zu meinen Favoriten, auch, weil er mit Kommissarin Mila Sahin (Almila Bagriacik) eine Figur hat, die ihren türkischen Migrationshintergrund in die Fälle einbringen darf, ohne dass daraus soziokulturell gut gemeinte Krimiklischees werden.

In der Folge mit dem Arbeitstitel "Borowski und der stille Gast III" gelingt Korthals die Flucht aus der Psychiatrie, wo er eigentlich in lebenslanger Haft sitzt. Besonders spannend dürfte werden, wie Sahin auf den unberechenbaren Psychopathen reagiert, der nicht nur in Kollege Borowskis Privatleben bleibende Schäden angerichtet hat, sondern auch ihrer Vorgängerin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) Ekel erregend nah gerückt war.

Was macht Heike Makatsch?

Die von Heike Makatsch gespielte Mainzer Kommissarin Ellen Berlinger ermittelte in einem Special 2016 in Freiburg und arbeitet seit 2018 mit Kollege Martin Rascher (Sebastian Blomberg) in Mainz. Sie sind die Einzigen, die ich als "Tatort"-Neuling bisher noch nicht kenne.

Umso gespannter bin ich auf den zweiten Fall des Teams, dessen Inhaltsangabe sich vielversprechend liest: Ein Tankwart wurd ermordet, und die einzige Zeugin ist eine blinde Studentin – die Kommissare müssen also mit gehörten und gefühlten Hinweisen arbeiten. "Blind Date" läuft voraussichtlich nach der Sommerpause.

"Tatort" München und Köln: Was wird aus der Wurst?

Die Kölner "Tatorte" mit Ballauf und Schenk sind, wie zum Beispiel auch die Münchner Fälle mit Batic und Leitmayr, die Sonntagsbraten des "Tatort". Kein extravaganter Küchenzauber, sondern verlässlich solide Krimikost – und deshalb notwendiger Bestandteil der "Tatort"-Rotation. Insgesamt werden die beiden Teams voraussichtlich sechs neue "Tatorte" bestreiten.

Neben der Mördersuche dürfte es Fans aber vor allem um die Wurst gehen: Für die Kölner Folge "Brennen sollst Du", die voraussichtlich Anfang 2021 laufen soll, fanden im Sommer 2020 die vorläufig letzten "Tatort"-Dreharbeiten an der "Wurstbraterei" statt – die berühmte Bude wandert ins Museum, weil die Besitzer in Rente gehen.

Wo Schenk und Ballauf in Zukunft ihre Mittagspause machen werden, ist laut den "Ruhrnachrichten" noch unklar: "Die Produktionsfirma prüft, wie die Kommissare ihr geliebtes Ritual an der Wurstbude weiter pflegen können".

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