Was für ein vielversprechender Start ins neue "Tatort"-Jahr: "Stelzenmann" ist einfach ein solider, richtig guter Krimi. Mit Kindesentführung, Psychopath und Happy End. Ein Psychothriller ganz ohne sexuellen Missbrauch, aber mit ultrafieser Oma. Die Kommissarinnen ermitteln, die Sidekicks sorgen für Auflockerung, Ludwigsburg ist kalt, aber der Espresso im Kommissariat stark.
Los geht es mit der Entführung des neunjährigen Paul (William Vonnemann). Am helllichten Tag und auf offener Straße. Obwohl – eigentlich geht es damit los, dass Pauls Gefängnis hergerichtet wird. Ein sauber bezogenes Bett, ein Hamsterkäfig mit Hamster zur Unterhaltung, ein Duschvorhang für die Privatsphäre: Paul soll es offensichtlich nett haben bei seinem Entführer.
Zwar geht bei den Eltern eine Lösegeldforderung ein, aber niemand kommt das Geld abholen, es scheint sich um ein Ablenkungsmanöver zu handeln. Nur: von was?
Die Kommissarinnen Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) stoßen auf einen erstaunlich ähnlichen Fall vor knapp zehn Jahren: Der damals achtjährige Swen wurde nach elf Wochen einfach so und – zumindest körperlich – völlig unbeschadet freigelassen. Swen konnte den Wagen beschreiben, den Keller, in dem er lebte, viele Einzelheiten – trotzdem wurde der Täter nie gefasst.
Entführter Swen: Von der Vergangenheit eingeholt
Heute ist Swen (Samuel Benito) achtzehn. Er arbeitet in einer Buchhandlung und ist gerade bei den Eltern ausgezogen. Aber unbeschadet ist er nicht. Er trinkt viel und tanzt viel und versucht zu vergessen. An die Ereignisse von damals will er eindeutig nicht erinnert werden; als die Kommissarinnen ihn um Hilfe bitten, reagiert er erst ungehalten, dann panisch.
Die Psychologin von damals sagt, er sei verschlossen gewesen und habe große Angst gehabt, etwas Falsches zu sagen. Der kleine Swen war drei Monate in der Gewalt des Entführers, "das heißt, das Kind versuchte drei Monate lang, alles richtigzumachen". Die Therapie musste abgebrochen werden, erzählt sie, weil der Junge sich ihr verweigerte, als sei nicht der Täter, sondern sie die Feindin.
Doch die Kommissarinnen bleiben hartnäckig, und vor allem
Lena Odenthal: Gedankenloser Alleingang
Immer tiefer werden wir in Swens Trauma hineingezogen, und immer enger schließt sich der Kreis um den Täter (das ist der mit der bösen Großmutter). Jetzt bricht auch er in immer größere Panik aus und wird immer gefährlicher. Während Johanna Stern versucht, Swen zu unterstützen, lässt sich Lena Odenthal aus Sorge um Paul zu einem ihrer gedankenlosen Alleingänge hinreißen.
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Nur beim Showdown scheinen die Ermittlungsmethoden dann doch zu unrealistisch, ansonsten stimmt in "Stelzenmann" eigentlich alles – es ist ein psychologisch glaubwürdiger Thriller (Buch: Harald Göckeritz), inszeniert mit hervorragenden Darstellern (Samuel Benito als Swen und Ulrich Friedrich Brandhoff als Oliver Kelm) und dem richtigen Tempo (Regie: Miguel Alexandre).
Ein Film, der bis zum Ende in Atem hält. Auch der in der letzten Episode "Dein gutes Recht" begonnene Wettbewerb zwischen der fachlich qualifizierten Mara (Davina Chanel Fox) und dem unkonventionellen Nico (Johannes Scheidweiler) um die offene Assistentinnenstelle nimmt eine unterhaltsame Wende, die darauf hoffen lässt, dass gleich beide Nachwuchskräfte dem Ludwigshafener "Tatort" erhalten bleiben.
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