In der Doku-Reihe "Deutschlands große Clans" spürt das ZDF großen Familienunternehmen nach. Am Dienstagabend blickte nun die "Deichmann-Story" hinter die Kulissen des großen deutschen Schuhkonzerns. Dabei gelingt ein umfassendes Porträt des Schuhriesens und seiner Gründer. Einige kritische Punkte fehlen allerdings.

Christian Vock
Eine Kritik
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Geschäftssinn, Frauen, Glaube. Mit diesen Begriffen lässt sich die Essenz der Dokumentation "Die Deichmann-Story" auf drei Schlagworte reduzieren. In der sehenswerten Doku (hier in der ZDF-Mediathek zu sehen) zeigt Filmemacherin Birgit Tanner den Aufstieg eines kleinen Schuhladens zu einem Weltkonzern.

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Die Anfänge von Deichmann

Die Geschichte von "Europas größtem Schuhhändler", wie es in der Doku heißt, beginnt wie so viele erfolgreiche Geschichten: klein. 1913 eröffnen Heinrich Deichmann und seine Frau Julie in Essen einen Schuhladen - nicht weit vom Tante-Emma-Laden der Familie Albrecht, aus dem später der Mega-Discounter Aldi entstehen sollte. Die Deichmanns verkaufen und reparieren Schuhe, vor allem die von Bergarbeitern.

1926 kommt nach vier Töchtern Sohn Heinz-Horst zur Welt, die Unternehmensnachfolge ist damit eigentlich geklärt. Doch als Deichmann senior 1940 stirbt, kümmert sich Julie Deichmann mit der Hilfe der Kinder um den Laden. Nach dem Krieg erweisen sich die Deichmanns als einfallsreiche Geschäftsleute. Weil das Material knapp ist, fertigen sie einfache Schuhe aus Pappelholz und Fallschirmseilen, die sie gegen die alten Schuhe der Kunden eintauschen: "Alte Schuhe für den Neuanfang." Diese alten Schuhe reparieren sie und verkaufen sie dann wieder weiter.

Heinz-Horst Deichmann und seine Frau Ruth weiten in der Folge die Geschäfte aus. 1955 gibt es vier Läden in Essen, acht Jahre später sind es bereits 16, Ende der 1970er gibt es 160 Deichmann-Filialen in Deutschland.

Heute ist Deichmann längst ein internationaler Großkonzern, wenn auch immer noch in Familienhand. Sieben weitere Schuhhandelsketten in Europa und den USA wurden aufgekauft, heute gibt es über 4.000 Filialen in 30 Ländern, der Umsatz 2019 betrug 4,5 Milliarden Euro.

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Das Prinzip Deichmann

"Nur gut aussehen reicht nicht, die Qualität muss schon stimmen", sagt Heinz-Horst Deichmann in einer Spielfilm-Szene der Doku. Es soll aber nicht nur die Qualität stimmen, sondern vor allem der Preis. Dem müssen sich laut Doku die Produzenten der Schuhe unterwerfen: "Mein Vater war sehr temperamentvoll. Wenn ihm zu hohe Preise angeboten wurden von den Lieferanten, dann konnte er grantig werden", erzählt Heinrich Otto Deichmann, Sohn von Heinz-Horst.

"Aldi für die Füße", wirft ihm ein Hersteller in einer gespielten Szene der Doku deshalb an den Kopf, was Heinz-Horst Deichmann aber überhaupt nicht als Beleidigung auffasst. Er möchte den "Volksschuh" verkaufen, wie Unternehmensarchivarin Silke Janssen berichtet.

Doch dieser Wunsch hat auch direkte Auswirkung auf die Branche: "Die sogenannte Deichmannisierung der Innenstädte zwingt kleinere Händler in die Knie", erklärt der Off-Sprecher und Peter May, Experte für Familienunternehmen, greift ebenfalls zu dem bereits erwähnten Vergleich: "Deichmann hat den Schuhmarkt aldisiert."

Das Familiengeheimnis

"Der christliche Glaube dieser Familie ist der Nukleus, von dem heraus man das ganze Unternehmen bis heute nur verstehen kann", erklärt Biograf Andreas Malessa das moralische Fundament der Familie Deichmann, das sich laut Doku in vielen Stationen des Unternehmens und der Unternehmer zeigt.

Etwa als Gründer Heinrich Deichmann, Mitglied einer evangelischen Freikirche, den Bergarbeitern in ihrer Not mit Schuhen hilft, als sie in der Nazizeit auch weiterhin zu ihrer jüdischen Vermieterin stehen oder wenn das Unternehmen soziale Projekte auf der ganzen Welt unterstützt.

Besonders aber zeigt sich der Glaube der Deichmanns, als Heinz-Horst im Krieg schwer verwundet wird und schwört, dass er, so Gott ihn leben lässt, Menschen helfen werde. Später studiert er erst Theologie, dann Medizin und entscheidet sich erst spät dafür, Unternehmer sein zu wollen.

Deichmann und die Frauen

Nein, hier geht es nicht um irgendwelche Liebeleien und Affären, denn "für den Boulevard geben die überhaupt nichts her", wie Biograf Malessa erklärt. Nein, die Doku zeichnet ein Bild des Unternehmens Deichmann, das ohne die Frauen in der Familie nicht funktioniert hätte.

Zunächst, als sich Julie und ihre Töchter um den Laden in Essen kümmerten und später dann, als Heinz-Horst gemeinsam mit seiner Frau Ruth das Unternehmen größer machte. Dennoch war es lange Zeit so, "dass die Rolle der Frau die im Hintergrund war", wie Peter May erklärt. Auch bei Heinz-Horst Deichmann war klar, dass nur Sohn Heinrich Otto das Unternehmen weiterführen würde und nicht eine seiner drei Töchter.

Was die Doku nicht erzählt

Die Dokumentation von Birgit Tanner versucht in den 45 Minuten ein möglichst umfassendes Bild des Unternehmens Deichmann zu zeichnen und das gelingt ihr auch gut. Vor allem, weil sie sich nicht nur auf die Sonnenseiten des Erfolgs konzentriert, sondern auch kritische Punkte anschneidet, wie etwa die Frage nach den Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern. Deichmann gilt laut Doku als Unternehmen, das nicht nur die eigenen Mitarbeiter fair bezahlt, sondern auch bei den Zulieferern auf Einhaltung der Mindeststandards achtet.

Dazu wird auch ein Experte befragt, allerdings kommt das Unternehmen relativ ungeprüft davon. Eine eigene Recherche, wie es um die Arbeitsbedingungen bei Zulieferern wirklich bestellt ist, liefert die Dokumentation nicht; genauso wenig wie Informationen zu anderen Fragen, die eine kritische Überprüfung verlangen: Ressourcenverbrauch, Umweltbelastungen in der Produktion oder die Folgen des Lederbedarfs des Unternehmens.

All das ist aber auch relevant für die Erfolge eines Unternehmens und gehört dementsprechend zu einer "Deichmann-Story" eigentlich genauso dazu wie die Geschichte des Gründers.

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