In der Schuldenkrise sorgt Griechenlands Finanzminister Gianis Varoufakis mit seiner unorthodoxen Verhandlungsweise für Aufsehen. Dabei hält er sich in seinem Gebaren einfach nur an eine fundierte Theorie - die Spieltheorie. Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Rieck erklärt, welches Spiel Varoufakis spielt - und warum er es sogar gewinnen könnte.

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Gianis Varoufakis - kein anderer Mann beschäftigt die deutsche Öffentlichkeit derzeit so sehr wie der griechische Finanzminister. Ohne Krawatte, auf einem protzigen Motorrad, stets einen kessen Spruch auf den Lippen – so porträtiert ihn der Boulevard. Die "Bild"-Zeitung engagierte sogar eine Graphologin, die anhand der Unterschrift Varoufakis' erklären sollte, wie der Ökonom tickt. Der Personenkult bestimmt auch die Diskussion um die Verhandlungen in der griechischen Schuldenkrise: Varoufakis gilt als Spieler, schlimmer noch, als rücksichtsloser Zocker. Dabei verhält er sich völlig rational. Der Schlüssel zu seiner Taktik: die Spieltheorie.

Dieses Denkmodell umweht ein Hauch von Mystik, was viel mit dem Mathematiker John Nash und noch viel mehr mit dem Schauspieler Russell Crowe zu tun. Nash bekam 1994 den Nobelpreis für seine Erkenntnisse über die Spieltheorie. Crowe mimte den Wissenschaftler im oscarprämierten Film "A beautiful mind" als eine von Paranoia getriebene, zerrissene Persönlichkeit, die sich fast im Wahnsinn verliert. Sehr viel Fiktion, kleine Funken Wahrheit. Die Spieltheorie ist jedenfalls das Gegenteil von Wahn: Sie untersucht die Frage, wie sich rationale Akteure in einem Konflikt verhalten.

Christian Rieck lehrt an der Frankfurt University of Applied Sciences. Er hat Lehrbücher zur Spieltheorie verfasst und sich intensiv mit dem Euro befasst. Der Ruf Varoufakis‘ als "Starökonom" und Spieltheorie-Experte wundert Rieck ein wenig. "Er ist mir nicht als einer der Big Player aufgefallen." Ob Starökonom oder nicht, Varoufakis nimmt in Interviews immer wieder Bezug auf die Spieltheorie. Es lohnt sich also, die Verhandlungen aus dieser Sicht zu betrachten.

"Wir fahren Mercedes, Gianis Varoufakis Ente"

Zauberei ist die Spieltheorie nicht, stellt Rieck klar. "Einige glauben ja, es sei eine Art mathematische Geheimwaffe." Das sei nicht der Fall, aber: "Die Spieltheorie hilft, Prinzipien zu erkennen." Dafür muss zunächst einmal geklärt werden, was für ein Spiel überhaupt gespielt wird. Auf seiner Internetseite hat Rieck die wichtigsten Grundtypen zusammengestellt: Zweipersonen-Nullsummenspiele, Koordinationsspiele, Soziale Dilemmas. Dabei geht es immer um die Frage, welche Interessen die Akteure haben, und wie sie diese Interessen im Konflikt oder durch Kooperation bestmöglich wahren können. Die Kunst der Spieltheoretiker bestehe darin, die reale Welt in ein passendes Modell zu übersetzen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Nicht immer passt eine Situation genau, aber im Fall der Verhandlungen zwischen den Geldgebern und Griechenland ist sich Rieck ziemlich sicher: "Es liegt nahe, dass wir es mit einem 'Chicken Game' zu tun haben."

Vereinfacht gesagt lauten die Regeln bei diesem Spiel so: Wer zuerst nachgibt, hat verloren. Gibt keiner nach, verlieren beide. Rieck benutzt zur Veranschaulichung der Verhandlungen in der Schuldenkrise das Bild von zwei Autofahrern, die aufeinander zu rasen. Wer bremst, verliert. Bremst keiner, knallt es. Zwar sterben die Fahrer nicht, aber es kommt zu einem erheblichen Sachschaden. "Es gibt in unserem Fall aber eine Asymmetrie", schränkt Rieck ein. Die Gläubiger haben Garantien übernommen, ihr Schaden wäre weitaus höher als der Griechenlands. "Wir fahren einen neuen Mercedes, Varoufakis eine alte Ente."

"Bauernschläue reicht"

Der entscheidende Zug in diesem Spiel liegt für Rieck in der Vergangenheit. Als die EU die Regeln für die Euro-Rettung festlegte, ging sie von der sogenannten durchgehenden Identität der Spieler aus: Nun aber ist ein neuer Akteur aufgetaucht, die Karten sind neu gemischt, die alten Regeln gelten nicht. "Man hätte vorhersehen müssen, dass ein anderer Spieler kein Interesse daran hat, sich an die Regeln zu halten", sagt Rieck. Der Konstruktionsfehler von damals versetze die Gläubiger heute in eine schwache Position. "Jeder rationale Spieler würde das ausnutzen." Eigentlich müsse man dazu nicht einmal Spieltheoretiker sein wie Varoufakis. "Bauernschläue reicht."

Warum aber zieht Varoufakis dann nicht voll durch, sondern rudert immer wieder kurzzeitig zurück, nur um dann wieder voll zu attackieren? Kritiker verurteilen seine Volten als irrational – verhält sich so ein kühler Spieltheoretiker? "Er ist kein Berufspolitiker", sagt Christian Rieck dazu. "Er macht Sachen, die ein erfahrener Mensch nicht tun würde. Aber die Linie ist klar." Vor allem das Argumentieren mit der moralischen Schuld der EU und speziell Deutschlands passe zum "Chicken Game". Die Wissenschaftler nennen diese Taktik "Coercive Deficiency": Ein von vornherein unterlegener Akteur schwächt seine Position absichtlich ab und appelliert an die Moral des Gegners, um ihn zur Kooperation zu zwingen: "Varoufakis steigt also ins Auto und sagt: Schaut mal, ich habe nur so eine alte Ente."

Auch Wolfgang Schäuble wird mit den Grundzügen der Spieltheorie vertraut sein. "Eine Gemeinschaft ist kein Nullsummenspiel", sagte er 2011 der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Was er meinte: In der EU gibt es bei Verhandlungen weder Gewinner noch Verlierer.

Wolfgang Schäuble macht "nur Show"

In den vergangenen Monaten präsentierte sich der Bundesfinanzminister trotzdem als beinharter Spieler, der das Kräftemessen mit Varoufakis gewinnen will. "Nur Show", meint Christian Rieck. "Man würde erwarten, dass er hart auftritt." Letztlich habe Schäuble aber gebremst und die Griechen gewähren lassen. "Seine strategische Situation ist schwach, weil es für uns sehr teuer werden kann." Vorteil für den Spieler Varoufakis.

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