Personalwechsel, Kurswechsel, neue Versprechen: Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras scheint zu Zugeständnissen bereit, provoziert aber zugleich mit kernigen Aussagen in TV-Interviews. Welche Strategie verfolgt der griechische Regierungschef? Unsere Autorin Mirjam Moll hat die Situation analysiert.

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Der Ernst der Lage ist ihm durchaus bewusst. Und dennoch hält Alexis Tsipras an einer Rhetorik fest, die mit Vernunft nur wenig zu tun zu haben scheint. "Trotz aller Schwierigkeiten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir aus den Verhandlungen als Sieger hervorgehen", sagte der griechische Regierungschef in einem Fernsehinterview. "Wir dürfen nur nicht panisch werden. Wer Angst bekommt, verliert das Spiel", so der Chef des Linksbündnisses Syriza. Das Ringen um eine Einigung mit Griechenland wurde schon oft mit Pokerspielen verglichen – doch dass sich der Regierungschef nun selbst dieser Rhetorik bedient, lässt tief blicken. Tsipras muss an der eigenen Front überzeugen.

Denn seine internationalen Geldgeber beeindruckt Athen mit dergleichen Äußerungen kaum. Monatelang brüskierte Finanzminister Gianis Varoufakis mit ähnlichen Formulierungen seine Amtskollegen und isolierte sich in der Runde der Eurogruppe selbst. Nach der neuerlichen Nullrunde bei einem informellen Treffen der Währungsfamilie ist kaum jemand gewillt, weiter zu verhandeln. Dennoch hält Tsipras weiter an Varoufakis fest, den er nach außen hin als Opfer und "Zielscheibe der Medien" präsentiert, bei seinen Landsleuten die faktische Übernahme der Gespräche durch Vizeaußenminister Euklidis Tsakalotos mit Varoufakis' "mangelnder Substanz" und dessen "persönlichem Charakter" begründet.

Mit dem Personalwechsel auch in der Brüsseler Gruppe, jener Gesprächsrunde zwischen Finanzexperten der Institutionen aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) sowie Vertretern der griechischen Regierung signalisiert Tsipras einerseits, dass ihm der Ernst der Lage durchaus bewusst ist: "Er weiß, was auf dem Spiel steht", heißt es aus Verhandlungskreisen. Andererseits hat er mit der Entmachtung Varoufakis einen Politiker kaltgestellt, der sich in den vergangenen Wochen vor allem mit der Herausgabe neuer Bücher, Homestories und zahlreichen Interviews zum Medienstar zu profilieren versucht hat. "Das hat nicht geholfen, die griechischen Probleme zu lösen – im Gegenteil", sagt Pawel Tokarski von der Stiftung für Wissenschaft für Politik.

Inzwischen wollen viele lieber direkt mit Tsipras verhandeln, der seinerseits mehrfach den Kontakt zu Bundeskanzlerin Angela Merkel suchte. Ihr soll er "Reformen mit tiefgehenden Einschnitten" versprochen haben. Trotzdem wirft der griechische Regierungschef Merkel in einem Fernsehinterview vor, sie sei in ihrer "Unfähigkeit gefangen, das Scheitern der Sparpolitik einzugestehen".

Tokarski glaubt angesichts solcher Aussagen nicht in einen Richtungswechsel. "Es ist dasselbe Theaterspiel mit anderen Schauspielern", so Tokarski. Er geht davon aus, dass "Griechenland sein Spiel fortsetzen wird: einen Schritt vor, zwei zurück" – so lange, bis er die Verhandlungspartner gegen die Wand gedrängt habe. Denn ohne eine schnelle Einigung und die Freigabe bislang von der Eurogruppe zurückgehaltener Hilfsgelder wird Griechenland möglicherweise schon im Mai, spätestens aber im Juni in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Und die Eurostaaten müssten über den Verbleib des Landes in der Eurozone entscheiden – in dem sie ad-hoc-Hilfen zugestehen, oder diese verweigern. "Offenbar wissen die Griechen, dass letzteres für Deutschland und andere Euroländer eine schwierige Entscheidung wäre", meint Tokarski.

Doch auch für Tsipras ist es ein Spiel mit hohem Einsatz. Denn einerseits hat er seinen Wählern im Wahlkampf ein Ende des von der einstigen Troika auferlegten Spardiktats versprochen. Andererseits ergab eine Umfrage des griechischen Meinungsforschungsinstituts Kapa Research, dass 80 Prozent der Griechen in der Europäischen Union bleiben wollen, 73 Prozent lehnen die Rückkehr zur Drachme ab. Beides ist derzeit aber nicht mehr ausgeschlossen. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hatte zuletzt betont, ohne deutliche Absprachen mit Griechenland werde kein Geld fließen.

Tsipras ist also seinerseits zu Zugeständnissen gezwungen, muss sie aber zugleich seiner Wählerschaft verkaufen. Notfalls per Referendum, wie der Regierungschef am Montag angekündigt hat. Unterdessen droht die eigene Partei für den Chef des Linksbündnisses zur Bewährungsprobe zu werden. Die ersten murren, Tsipras habe sich weichkochen lassen. Um den Syrizachef hat sich eine Bewegung gegründet, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Parteiführung an die Wahlversprechen zu halten, das sogenannte Programm von Thessaloniki: Es verspricht eine Aufstockung der Renten, einen höheren Mindestlohn, kostenlose öffentliche Verkehrsmittel und Gratisstrom für die ärmsten Haushalte des Landes. Letzteres hat das Parlament bereits entschieden. Doch für die Arbeitsmarktreformen fehlt der Regierung schlicht das Geld. Und Tsipras weiß, dass er damit die Gunst seiner europäischen Geldgeber endgültig verspielen würde.

Gleichzeitig wird der Regierungschef von der Opposition unter Druck gesetzt, die immer lauter einen Rücktritt Varoufakis' fordern. Die ehemalige Außenministerin Dora Bakogiannis bezeichnete ihn unlängst als "Hemmschuh" in den Verhandlungen mit den Geldgebern. Das Beste, was er tun könne, sei zurückzutreten, meinte sie. Auch Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos mischt sich immer öfter in die öffentliche Debatte ein und verspricht der Union, Griechenland werde seine "Schulden bis zum letzten Euro zurückzahlen" und wieder einen ausgeglichenen Haushalt haben.

Folglich bleibt Tsipras nur, den unbequemen Weg zu gehen und Zugeständnisse zu machen. Seit dreieinhalb Monaten liegt Griechenland in seiner Obhut – seither hat sich die Lage des Landes merklich verschlechtert. Die Wirtschaftsprognosen sind eingestürzt, der Schuldenberg ist sogar noch größer geworden. Eine Realität, der sich Tsipras nun stellen muss, will er an der Macht bleiben. Denn längst kämpft der politisch angeschlagene Regierungschef nicht mehr nur an einer Front.

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