Der Mega-Streik der Lokführer-Gewerkschaft GDL polarisiert Deutschland. Das Verständnis in der Bevölkerung schwindet, die Fronten verhärten sich. Beide Seiten liegen in ihren Positionen weit auseinander. Auch die Furcht vor einem geplanten Tarifeinheitsgesetz treibt die Gewerkschafter voran. Was die Bahn anbietet - und worum es der GDL eigentlich geht.

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Das Streikrecht für Arbeitnehmer gilt als eine der wertvollsten Errungenschaften des deutschen Sozialstaates. In diesen Tagen wird es auf eine schwierige Probe gestellt. Der angekündigte sechstägige Bahnstreik der Lokführer polarisiert Deutschland. Das Verständnis für die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) schwindet.

Selbst die Bundesregierung hat sich in den Tarifkonflikt eingeschaltet und mit Nachdruck vor Schäden für den Wirtschaftsstandort Deutschland gewarnt. "In der Tat muss man fragen, ob hier in einer Tarifverhandlung verantwortungsvoll umgegangen wird", erklärte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU).

127 Stunden Streik alleine im Personenverkehr sind angekündigt - es wird der längste Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn AG. Ein Kompromiss ist nicht in Sicht. "Die Bahn hat die Gesellschaft vorgeführt und intern alles gegen eine Einigung getan", sagte GDL-Chef Claus Weselsky. Die Fronten sind verhärtet. Beide Seiten bezichtigen sich der Lüge. "Die GDL will nicht mehr wissen, was wir im April über harte 22 Stunden miteinander verhandelt haben", meinte Ulrich Weber, Personalvorstand der Bahn. Was die Bahn bietet und worum es der GDL geht - ein Überblick:

Streitpunkte Lohn und Arbeitszeit

De facto werden die Lokführer mehr Lohn bekommen. Wie die Bahn mitteilt, sollen die Monatsentgelte ab 1. Juli in zwei Stufen um 4,7 Prozent steigen. Hinzukommt eine Einmalzahlung von insgesamt 1.000 Euro bis 30. Juni. Eine laut Bahn bereits im Februar geleistete Vorschusszahlung von 750 Euro soll darauf angerechnet werden. Das aber genügt der GDL nicht, denn der Vorschlag der Bahn behandelt die Arbeitszeiten nicht. Die Gewerkschaft fordert eine Stunde weniger pro Woche. Zudem will sie fünf Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten durchsetzen.

Streitpunkt Tarifstruktur

Kompliziert, aber maßgeblich zum Verständnis dieses Streiks beitragend, ist das Gerangel um die Tarifstruktur. Maßgeblich insofern, da hier die Positionen am weitesten auseinander liegen. Tarifstruktur heißt nicht weniger, als zu welchen Bedingungen die Beschäftigten arbeiten und wie lange diese Regelungen gelten. Urlaubsanspruch und Zulagen für Schichtarbeit fallen etwa darunter - und damit hohe Lohnnebenkosten. Es wird in der Tarifstruktur aber auch geklärt, wer letztlich worauf Anspruch hat.

Die GDL fordert, dass die Lokrangierführer im Tarifgefüge genau so eingestuft werden wie ihre Kollegen im Personenverkehr. Zudem kritisiert sie, dass die Bahn unterschiedliche Laufzeiten von Tarifverträgen für verschiedene Berufsgruppen anbiete. Außerdem gehört ein sogenannter Betreiberwechsel-Tarifvertrag zu den zentralen Forderungen. Sprich, eine Jobgarantie, falls zum Beispiel im Güterverkehr bestimmte Segmente an einen anderen Betreiber verkauft werden. "Was die GDL will, würde unseren Mitarbeitern und dem Unternehmen Deutsche Bahn schaden", sagte Bahn-Personalvorstand Weber zu alledem.

Streitpunkt Einfluss beim Bahn-Konzern


Der GDL geht es um Einfluss beim Arbeitgeber. Schließlich ziehen Gewerkschaften ihre Daseinsberechtigung aus dieser Eigenschaft. Deshalb ist das bei allem Pathos die wohl entscheidende Motivation der GDL. Zum Verständnis: Neben der GDL gibt es die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, kurz EVG. Sie ist mit mehr als 200.000 Mitgliedern vermeintlich wirkmächtiger als die die deutlich kleinere GDL (geschätzt 34.000 Mitglieder).

Beide Interessensvertretungen ringen darum, wer vor der Bahn die Interessen am besten vertritt. Schließlich plant die Bundesregierung für Sommer ein Tarifeinheitsgesetz, das von der Bahn im Hintergrund mitinitiiert wurde. Dann soll auch für Lokführer nur noch ein Tarifvertrag ausgehandelt werden können. Zwischen den Positionen von EVG und GDL "liegen Lichtjahre", wie Weselsky jüngst in einem Interview dem "WDR" sagte.

Die absehbare Tarifeinheit aber zieht weitreichende Konsequenzen für die Organisationsstruktur der Gewerkschaften nach sich. Unvermeidbar sind Jobs in Gefahr. Vor diesem Hintergrund wird der strategisch platzierte Mega-Streik greifbar. Und auch die polemisch anmutenden Aussagen Weselskys: "Sie sehen eine Gewerkschaft, die ihre Arbeitnehmerrechte verteidigt. Trotz eines beinharten Arbeitgebers, der versucht, das über die Zeit auszusitzen. Aber die Zeit bis zum ersten Juli, bis das Gesetz wirkt, ist noch sehr lang!"

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