Vor 25 Jahren, am 20. März 1995, ereignete sich in Tokio der bis dato schlimmste Terroranschlag in der Geschichte Japans - ausgeübt von der Aum-Sekte auf Befehl ihres Anführers Asahara Shōkō. 2018 wurden die Drahtzieher des weltweit ersten Giftanschlags hingerichtet.

Mehr Wissensthemen finden Sie hier

Ein Montagmorgen in Tokio, die Züge der U-Bahn voll mit Pendlern. Im Chaos des Berufsverkehrs schlagen die Attentäter zu. Mitglieder der Aum-Sekte postieren in drei Zügen insgesamt elf Plastiktüten mit dem Nervengift Sarin.

Im Tokioter Regierungsviertel zerstechen sie die Tüten mit Schirmen. Das Gift breitet sich in Sekundenschnelle aus. Menschen geraten in Panik, ringen nach Luft und übergeben sich. Sie sind der Giftattacke hilflos ausgesetzt. 13 von ihnen sterben, mehr als 6.000 werden verletzt, einige Opfer verlieren ihr Augenlicht oder sind seitdem gelähmt.

Diese schrecklichen Szenen spielten sich heute vor 25 Jahren, am 20. März 1995, in Japans Hauptstadt ab. Die enorme Anzahl der Opfer lässt sich dadurch erklären, dass bereits ein Milligramm der Verbindung innerhalb von Minuten zu Atemlähmung und Herzstillstand führen kann.

Asahara Shōkō und die Entstehung der Sekte

Oberhaupt der Sekte war Asahara Shōkō, geboren 1955 in Yatsushiro. Er wuchs in armen Verhältnissen auf, studierte später Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin. 1984 gründete er die Yogaschule Ōmu Shinsen no Kai (dt.: "Versammlung der Om-Einsiedler"), um dort Übungen zu vermitteln, die angeblich psychische Kräfte aktivieren sollten.

Die Gruppe hatte zum damaligen Zeitpunkt 15 Mitglieder. Ein Jahr später behauptete Asahara, er habe auf einer Reise in den Himalaya die Erleuchtung erfahren und benannte die Yogaschule in Ōmu Shinrikyō ("Om-Lehre der Wahrheit") um, die sich allmählich in eine religiöse Gruppierung verwandelte.

1989 wurde sie von der Präfektur Tokio offiziell als Religionsgesellschaft anerkannt – obwohl sie wegen ihrer Radikalisierung bereits negative Schlagzeilen machte. Aber auch international fasste die Sekte Fuß.

Unter dem Namen Aum USA Company Ltd. ließ sie sich als religiöse Organisation in New York registrieren, darauf folgten eine Dependance in Bonn als "Buddhismus- und Yoga-Center" und weitere Niederlassungen in Sri Lanka. Hauptsächlich breitete sich die Gruppierung jedoch in Russland aus. Bis 1995 sollen dort rund 30.000 Anhänger aktiv gewesen sein.

Weltuntergang sollten nur Anhänger überleben

Inhaltlich verbreitete Asahara seine apokalyptische Ideologie, in der er einen Atomkrieg prophezeite und den Weltuntergang auf 1997 datierte, den nur die Mitglieder der Sekte überleben würden, um als Auserwählte eine neue Gesellschaftsform zu gründen.

Er selbst bezeichnete sich als Reinkarnation von Shiva und Jesus Christus. Seine Mitglieder rekrutierte Asahara vor allem aus den neuen Mittelschichten. Viele naturwissenschaftliche Studierende schlossen sich der Gruppierung an.

Um die Gemeinschaft aufzubauen, wollten Vertreter der Aum-Sekte auch die japanische Regierung übernehmen und kandidierten 1990 für das japanische Parlament. Sie erhielten allerdings nur wenige Stimmen. Daraufhin entschloss sich Asahara, die Regierung gewaltsam zu stürzen.

Mordanschläge der Aum-Sekte

Die ersten Morde verübten Asaharas Anhänger bereits im November 1989. Sakamoto Tsutsumi, dessen Frau und sein einjähriger Sohn mussten sterben, weil der Anwalt Angehörige von Sektenmitgliedern vertreten hatte.

Anfang der 1990er Jahre bereitete die Organisation unter Asaharas Order terroristische Handlungen vor und forschte an der Herstellung biologischer Kampfstoffe. 1994 gelang es ihnen erstmals, das Nervengas Sarin herzustellen.

Ein erster Anschlag auf das Tokioter Regierungsviertel schlug im April 1994 fehl. Daraufhin wurde im Juni desselben Jahres in Matsumoto ein Anschlag auf mehrere Richter verübt, bei dem sieben Menschen starben und 58 verletzt wurden. Der Verdacht fiel damals jedoch nicht auf die Sekte.

Am 20. März 1995 kam es dann zu dem schrecklichen Attentat in mehreren Zügen der Tokioter U-Bahn. Es war die weltweit erste Terrorattacke mit Giftgas. Mit dem Anschlag wollte die Sekte eine bevorstehende Razzia in ihrem Hauptquartier verhindern.

Festnahme, Verurteilung und Hinrichtung

Asahara Shōkō wurde am 16. Mai 1995 festgenommen, nachdem die Polizei ihn in einer drei Meter langen und 50 Zentimeter hohen Geheimkammer im Hauptquartier in Kamikuishiki aufgespürt hatte.

Die Beamten hoben außerdem eine gigantische Sarin-Produktionshalle mit genügend Nervengift, um vier Millionen Menschen zu töten aus und entdeckten Gefangene, Sprengstoff, Labore zur Herstellung von synthetischen Drogen sowie mehrere Millionen in US-Dollar und Gold.

Danach begann ein in der japanischen Geschichte bis dato beispielloser Mammutprozess gegen den halbblinden Sektenführer und zwölf seiner Mitglieder. 2004 wurden sie vom Tokioter Bezirksgericht und zwei Jahre später dann vom Obersten Gerichtshof zum Tode verurteilt - wegen Mordes, versuchten Mordes, Entführung, Herstellung von Nervengas und des Besitzes illegaler automatischer Waffen.

Asahara selbst hatte während des gesamten Prozesses geschwiegen oder nur unverständliche Dinge gemurmelt. Im Juli 2018 wurden er und die anderen zwölf Verurteilten gehängt.

Die Aum-Sekte existiert bis heute. Im Jahr 2000 nannte sie sich jedoch in Aleph um und hat rund 1.500 bis 2.000 Mitglieder. 2007 bildete sich eine Splittergruppe mit dem Namen Hikari no wa ("Rad des Lichts"), deren Anführer Jōyū Fumihiro sich offiziell von Asahara distanziert hat. Beide Organisationen sind in Japan legal, stehen aber unter strenger Beobachtung der Behörden.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.