• Verglichen mit den steinernen Bauwerken der Azteken, Maya und Inka in Mittel- und Südamerika wurden die Indigenen Nordamerikas lange als Volk ohne vergleichbare kulturelle Leistungen betrachtet.
  • Inzwischen weiß man, dass es im Gebiet des Mississippi bereits Jahrhunderte vor der Ankunft der Europäer eine Reihe großer Städte gab.
  • Die größte davon war Cahokia im heutigen Bundesstaat Illinois. Nach einer Zeit der Blüte wurden Stadt und Umland aber plötzlich verlassen – warum?

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Um das Jahr 700 n. Chr. lässt sich archäologisch eine neue Kultur der nordamerikanischen Indigenen nachweisen. Als Name hat sich "Mississippi-Kultur" eingebürgert. Sie hatte ihren Ursprung am mittleren Mississippi und breitete sich von dort dann weiter den Fluss und seine Zuflüsse entlang aus. Es gab zahlreiche Dörfer und Weiler, in denen Ackerbauern lebten. Zudem gab es eine ganze Reihe von mit Palisaden befestigten Städten.

Aus Grabhügeln werden Pyramiden

Im Gegensatz zu vorherigen Kulturen wurde eine intensivere Landwirtschaft betrieben, Jagd und Sammelwirtschaft nahmen deutlich ab. Neben bekannten Nutzpflanzen stieg ab 900 n. Chr. der Anbau des ursprünglich aus Mexiko stammenden Maises an. Funde von Haifischzähnen vom Golf von Mexiko und Kupfer aus dem Gebiet der Großen Seen im Mississippi-Gebiet zeugen von einem großen Handelsnetzwerk, das bis nach Kanada und Mexiko reichte.

Charakteristisch für die Mississippi-Kultur waren große Erdhügel. Anders als frühere indianische Grabhügel wurden diese nun auch bebaut. Auf ihrem abgeflachten Gipfel stand ein Tempel, zudem gab es Zeremonialplätze sowie Gebäude für Herrscher und Priester.

Besonders auffällig ist dabei die neuartige Form: Statt "natürlicher" Formen oder der Nachbildung von Tieren hatten sie einen rechteckigen Grundriss und mehrere Großstufen. Im gesamten Bereich der Mississippi-Kultur gab es tausende solcher Tempel. Ähnlichkeiten zu den steinernen Pyramiden der Azteken und Mayas in Mittelamerika lassen vermuten, dass die Mississippi-Kultur von Mexiko beeinflusst wurde.

Cahokia – die größte Stadt Nordamerikas

Unter den zahlreichen Orten gab es fünf bedeutende Zentren, nämlich Cahokia (Illinois), Spiro (Oklahoma), Etowah (Georgia), Ocmulgee (Georgia) sowie Moundville (Alabama). Vermutlich stellten diese auch den Sitz regionaler Herrscher dar.

Cahokia war die größte und wohl auch bedeutendste Stadt. Wie ihr ursprünglicher Name lautete, ist – wie bei den restlichen Städten – nicht bekannt. Die Franzosen hatten den Ort nach den Cahokia, einem dort inzwischen lebenden Stamm, benannt. Die Stadt lag nahe der Einmündung des Illinois-Flusses in den Mississippi, ihre Überreste befinden sich heute nahe der modernen Großstadt St. Louis.

Im Gebiet der Stadt befanden sich damals 120 Tempelhügel. Der Kern Cahokias bestand aus siebzehn Hügeln, war durch eine dichte Wohnbebauung und ein Straßennetz gekennzeichnet und durch Palisaden aus Holz geschützt. Das eigentliche städtische Gebiet umfasste dabei etwa 15 Quadratkilometer.

Die gewöhnliche Bevölkerung lebte in einfachen Lehmhäusern mit Strohdach um das Herrschaftszentrum herum, man trieb Handel, arbeitete auf dem Feld, wurde für kommunale Arbeiten herangezogen und leistete Kriegsdienst. Die Gesellschaft der Mississippi-Kultur dürfte hierarchisch organisiert gewesen sein, möglicherweise gab es sogar eine Art von Kastensystem. Jedenfalls stand der einfachen Bevölkerung ein Adel gegenüber. Adelsfamilien herrschten vermutlich über jeweils einen Stadtbezirk und die dort lebenden Menschen.

Der "Mönchshügel": Mehr als 30 Meter hoch und von Menschenhand aufgeschüttet

Unter den zahlreichen Hügeln der Stadt war der sogenannte Monks Mound ("Mönchshügel") der größte. Sein Name stammt von einem früher dort befindlichen Kloster. Er besaß eine Grundfläche von mehr als neun Fußballfeldern und war 30 Meter hoch.

Der Hügel war aus 700.000 Kubikmetern Erde aufgeschüttet worden, die von den Menschen mit Körben herangetragen werden mussten. Dies geschah über einen Zeitraum von 200 Jahren, nachgewiesen sind 14 Bauphasen. Dennoch stellt es eine beeindruckende Leistung dar, wenn man bedenkt, dass – verglichen mit heute – noch recht primitive Werkzeuge zum Graben verwendet wurden.

Der für die Grundierung des Hügels verwendete Sandstein musste zudem erst aus weiter Entfernung herbeigeschafft werden, wobei die Mississippi-Kultur weder das Rad noch Last- oder Zugtiere kannte.

Die Städte sind mit ihren europäischen Pendants vergleichbar

Die Bevölkerung der Stadt stieg rasch an, um das Jahr 1000 herum lebten bereits 10.000 Menschen alleine im inneren Bereich der Stadt. In der Stadt und dem Umland sollen damals etwa 75.000 Menschen gelebt haben. Man vermutet, dass günstige Klimabedingungen und somit reiche Ernten dies ermöglichten.

Moundville, die zweitgrößte Stadt, hatte etwa 4.000 Einwohner. Von ihrer Größe her können sich die Städte somit durchaus mit denen im damaligen Europa messen.

Niedergang der Städte: Kämpfe, Kriege, Raubbau an der Natur?

Nach einer kurzen Blüte setzte der Niedergang der Mississippi-Kultur im frühen 12. Jahrhundert ein. Für Cahokia als Zentrum der Mississippi-Kultur lässt er sich gut nachzeichnen. Um 1400 war die Stadt verlassen und wurde – auch von nachfolgenden Stämmen – nie wieder besiedelt. Was genau den regelrechten Exodus bewirkte, ist unsicher, es gibt verschiedene Erklärungsversuche.

Sicher zu sagen ist, dass es um das Jahr 1200 herum zu einer Krise gekommen war. Archäologisch ist nachweisbar, dass sogar Wehrtürme errichtet wurden, was auf bewaffnete Auseinandersetzungen hindeutet. Ob es sich um innere Kämpfe, Konflikte zwischen Stadt und Umland, Krieg zwischen Städten oder gar Kämpfe mit fremden Stämmen handelt, bleibt dabei Spekulation. Berthold Riese, Professor an der Universität Bonn, hält es auch für möglich, dass Angehörige nicht-sesshafter Jägerkulturen aus dem Norden Anteil am Niedergang hatten.

Immer wieder wurden auch ökologische Ursachen wie zunehmende Dürren, veränderter Niederschlag, Überschwemmungen oder Bodenerosion infolge von zu intensiver Landwirtschaft und starker Abholzung von Wäldern als Möglichkeiten benannt.

Leiteten Überschwemmungen Cahokias Niedergang ein?

Jüngere Bodenuntersuchungen im Gebiet legen zudem nahe, dass das Gebiet etwa ab dem Jahr 600 von keinen größeren Überschwemmungen im Mississippi-Gebiet mehr betroffen war. Der Aufstieg Cahokias zu einem bedeutenden regionalen Zentrum würde genau in diese Zeit fallen.

Die erste größere Überschwemmung sei erst wieder um 1150 oder 1200 herum erfolgt und hätte dabei verheerende Folgen gehabt: Bewohner wären geflohen, Ernte und Vorräte vernichtet worden. Als Folge davon, so die Annahme, wäre es den lokalen Herrschern schwergefallen, den Bewohnern weiterhin das Gefühl von Sicherheit und Stabilität zu geben, was die soziale Struktur veränderte.

Auffällig ist jedoch, dass die Entwicklung nicht nur die Mississippi-Kultur betraf, sondern sich in den benachbarten Kulturen ähnlich abspielte. Ob hierbei ein Zusammenhang besteht, muss jedoch noch weiter erforscht werden.

Mit dem Niedergang der Mississippi-Kultur endet die städtische Zivilisation in Nordamerika. Die Tatsache, dass die Kultur bereits untergegangen war, bevor die Europäer kamen, prägte das heutige Bild der nordamerikanischen Indigenen – man denkt bei ihnen heute eher an Büffeljagden und Tipis. Ihre blühenden, großen Städte sind auch in der Erinnerung weitgehend verschwunden.

Verwendete Quellen:

  • Berthold Riese: Mensch und Umwelt in Altamerika, unveröffentlichtes Manuskript 2022.
  • Werner Arens u. Hans-Martin Braun: Die Indianer Nordamerikas. Geschichte, Kultur, Religion, München 2004.
  • Alexander Emmerich: Die Indianer Nordamerikas. Geschichte, Kultur, Mythos, Stuttgart 2011.
  • Samuel E. Munoza u.a.: Cahokia's emergence and decline coincided with shifts of flood frequency on the Mississippi River, in: Proceedings of the National Academy of Sciences 20/2015, S. 6319-6324.
  • A. J. White u.a.: Fecal stanols show simultaneous flooding and seasonal precipitation change correlate with Cahokia’s population decline, in: Proceedings of the National Academy of Sciences 12/2019, S. 5462-5466.
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