Der legendäre Staatsmann Winston Churchill ist im Jahr 1931 auf Vortragsreise in den USA, die sich zu dieser Zeit noch in der Prohibition befinden. Für den notorischen Trinker eine recht unangenehme Sache. Doch ein Autounfall in New York schafft unfreiwillige Abhilfe.

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Über den 13. Dezember 1931 schreibt Winston Churchill in seinem Tagebuch: "Ich verstehe nicht, warum ich nicht wie eine Eierschale zerbrochen oder wie eine Stachelbeere zerquetscht wurde. Ich muss wohl sehr zäh sein oder sehr viel Glück haben, oder beides." Was war geschehen?

An der berühmten Fifth Avenue in New York will er sich mit potenziellen Geschäftspartnern treffen. Als er aus dem Taxi steigt, schaut er in englischer Manier nach links und übersieht ein Taxi, das ihn erfasst. Er wird mehrere Meter auf die Straße geschleift und erleidet Prellungen an der rechten Brust, eine verstauchte Schulter und Schürfwunden.

Noch im Krankenhaus erhält er daraufhin eine Lizenz zum täglichen Alkoholkonsum, denn dieser sei zur "Genesung vom Unfall erforderlich". Er bekommt "unbeschränkt, jedoch mindestens 250 Milliliter Alkohol" pro Tag zu den Mahlzeiten "verordnet".

Ein Alkoholiker in New York

Die Winston-Churchill-Society beschreibt ihren Protagonisten als alkoholabhängig. Tatsächlich sind sich Historiker heute uneins, ob Churchill ein sogenannter hochfunktionaler Alkoholiker war, der trotz seiner Sucht ein enormes Arbeitspensum zuverlässig ablieferte, oder ob die Abhängigkeit aus seinen Depressionen hervorging. Diese beschrieb Churchill immer als seinen "Black Dog (dt. schwarzer Hund)", der ihm ständig auf den Fersen sei.

Churchills täglicher Alkoholkonsum war jedenfalls beträchtlich und ritualisiert: drei Whiskey-Soda am Vormittag, eine Flasche Champagner zu Mittag, gefolgt von einem Cognac zur Verdauung. Im Anschluss eine Siesta, dann wieder Whiskey-Soda, gefolgt von einer zweiten Flasche Champagner sowie Cognac zum Abendessen. Je nach Arbeitspensum folgten weitere Whiskeys.

Angeblich hat sich der Politiker seinen Alkoholkonsum als Soldat in Südafrika antrainiert, da das Wasser dort ohne zusätzlichen Whiskey ungenießbar gewesen sei. Während seiner Karriere wird ihm seine Trinkerei immer wieder vorgeworfen und im Zweiten Weltkrieg von den Nazis zur Diskreditierung des damaligen Premiers genutzt.

Alkoholverbot für die bessere Gesellschaft

Als Churchill seine Lizenz zum Trinken erhält, ist der Krieg aber noch in weiter Ferne und die Prohibition fast am Ende. 1920 eingeführt, steht dieses Gesetz in einer bereits längeren Tradition einiger Bundesstaaten, die aus religiösen und gesellschaftlichen Gründen Alkohol verbieten, um das Wohl einer besseren Gesellschaft zu fördern. Mit dem 18. Zusatzartikel wird dieses Verbot sogar Teil der US-amerikanischen Verfassung.

In der Realität sorgt diese Prohibition jedoch für mehr Gewalt und Kriminalität. Produktion und Handel von Alkohol verlagern sich auf den Schwarzmarkt. Mondschein-Destillen brennen illegal Hochprozentigen. Mit den sogenannten Speakeasies öffnen illegale Kneipen.

Besonders für die organisierte Kriminalität wie die Mafia herrscht in dieser Zeit Goldgräberstimmung. Deren wohl bekanntester Vertreter: New Yorks Gangsterboss Al Capone.

Ein Attest für drei Dollar

Auch Ärzte verdienen nicht schlecht am Alkoholverbot. Alle zehn Tage konnten Patienten, die bereit waren, etwa drei Dollar für ein Rezept und weitere drei oder vier Dollar für dessen Einlösung zu zahlen, einen halben Liter Alkohol erhalten, schreibt das Smithsonian. Im Falle von Winston Churchills Attest lief das mit hoher Wahrscheinlichkeit genauso ab.

Mediziner warben damals damit, dass täglicher Alkoholgenuss förderlich gegen Krebsleiden, Verdauungsstörungen und Depressionen sei – oder eben zur Genesung von Unfällen.

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Churchill nahm den Unfall jedenfalls zum Anlass, einen Artikel zu schreiben, den er für 2.500 US-Dollar an die Daily Mail verkaufte. Mit dem Geld ging er ein Jahr auf Reisen – natürlich mit einem umfangreichen Vorrat an Spirituosen im Gepäck.

Churchills dubiose Deals mit Joe Kennedy

Weil 1931 bereits abzusehen ist, dass die Prohibition nicht mehr lange bestehen bleibt, baut Churchill in den folgenden Jahren seine Kontakte zu US-amerikanischen Geschäftsleuten aus. Der wohl berühmteste Vertreter: Joe Kennedy, Begründer des Kennedy-Clans und Vater von John F. Kennedy.

Wie das Time Magazine recherchiert hat, reiste Kennedy im September 1933 nach London. Churchill investierte in zwei mit ihm verbundene Unternehmen: Brooklyn Manhattan Transit und National Distillers Products Corp. Nur zwei Monate später fiel die Prohibition, und der Alkoholexport in die USA sorgte für üppige Renditen für Churchills Investments. Danach verkaufte er seine Anteile mit einem ordentlichen Profit.

Noch im hohen Alter schrieb er: "Ich kann nur sagen, dass ich dem Alkohol mehr entzogen habe, als er mir entzogen hat."

Verwendete Quellen

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