- Vor zweieinhalb Jahren brannte die Kulturinstitution des Nationalmuseums in Rio de Janeiro nieder.
- Von den 20 Millionen Exponaten wurde ein Großteil vernichtet.
- Der Wiederaufbau läuft, auch dank deutscher Hilfe.
200 Jahre hatte es Bestand, 20 Millionen Exponate, die zum Teil mehrere Tausend Jahre alt waren - doch innerhalb von nicht einmal acht Stunden war die Geschichte Brasiliens Geschichte. Das Nationalmuseum in Rio de Janeiro, genauer im Stadtteil Quinta da Boa Vista war vor zweieinhalb Jahren komplett ausgebrannt.
Nun besteht Hoffnung: 2022 soll ein Teil wiedereröffnet werden. Für 2025 hofft Direktor Professor Alexander Kellner auf die Neueröffnung des gesamten Museums.
Ein unglaublicher Kraftakt wäre das und ein organisatorisches Kunststück obendrein – bedenkt man die Situation, in der sich Brasilien befinden. Seit Jahren schwächelt die Wirtschaft, kriselt die Politik. Und seit gut einem Jahr macht die Corona-Pandemie dem größten Land Südamerikas extrem zu schaffen. Fast 300.000 Tote verzeichnete man dort bisher.
Der Verlust war nicht alleine materiell. Wer will ein Dinosaurierskelett ersetzen? Wer eine 13.000 Jahre alte Mumie? Wer Tonbandaufnahmen längst ausgestorbener Indigenenvölker? Das Museum verwaltete die größte naturkundliche Sammlung Brasiliens, eine der größten in Südamerika. Alleine fünf Millionen Insekten zählten dazu.
Außerdem die größte Meteoritensammlung in Brasilien, eine Ägyptenausstellung, zu der seinerzeit beide Kaiser, Dom Pedro I. und Dom Pedro II. zahlreiche Exponate hinzufügten und die Mineraliensammlung von Abraham Gottlob Werner, auf die auch Napoleon Bonaparte scharf war. Kurz vor dem Brand waren im Fundus handschriftliche Briefe der Kaiserin Leopoldine aufgetaucht – bislang gänzlich unerforscht.
Kölner Experten als Ersthelfer
Zunächst liefen die Rettungsarbeiten schleppend voran. Zwar wurden wenige Tage nach dem Brand Experten aus Köln eingeflogen, um den Wissenschaftlern bei der Rettung der Exponate zu helfen. In Köln, die Partnerstadt von Rio de Janeiro, hatte man im Mai 2009 ähnliche Erfahrungen sammeln müssen.
Damals stürzten Teile des Stadtarchivs ein, begruben alte und wertvolle Dokumente unter sich. Doch bis ein provisorisches Dach das Gebäude und die verschütteten Schätze vor Regen schützte, vergingen Monate.
Inzwischen geht es voran. "Es könnte aber schneller gegangen sein", sagt Alexander Kellner. Aber: "Die Pandemie trat uns hart, wir hatten einige Fälle in unseren Reihen." Dennoch nimmt das Projekt langsam Formen an. "Wir haben bereits Zusagen für 65 Prozent der Gelder, die wir benötigen", sagt Kellner.
Die Regierung des Bundesstaats sagte bereits einen Millionenbetrag zu, ebenfalls die Bank Bradesco, das Kulturinstitut Vale und die Strukturbank BNDES. In einem Architekturwettbewerb, unter Federführung der UNESCO, wurde kürzlich ein Architekturbüro ausgewählt, das den Zuschlag für den Wiederaufbau erhalten soll.
Nicht nur Museum. Gebäude war Palast der Kaiserfamilie
Doch das ist ja nicht alles. Das Gebäude war auch historisch bedeutsam. Es handelte sich um den alten Kaiserpalast. "Ich will es aber nicht reparieren, ich will es restaurieren", sagt Kellner. Restaurieren, das bedeute für ihn, das Museum, den früheren kaiserlichen Wohnsitz in einer angemessenen Art und Weise zu präsentieren und zu erhalten.
"Hier wurde Brasilien geboren, hier fand die erste republikanische Versammlung statt", sagte er. Der Palast ist so etwas wie die Keimzelle des modernen Brasiliens. "Dieses zu verlieren wäre ein Verbrechen", sagte Kellner.
Mängel waren länger schon bekannt
Der Palast, unter Verwaltung der Bundesuniversität Rio de Janeiro, galt seit Längerem als sanierungsbedürftig. Im Februar 2018 hatte der Paläontologe Alexander Kellner die Leitung der Forschungseinrichtung übernommen, und hatte einen großen Sanierungsstau festgestellt.
Seither war er dabei, ein umfassendes Sanierungskonzept auf die Beine zu stellen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit als Direktor war es ihm gelungen einen Kredit der Strukturbank aufzutun. Bitter dabei: Das Geld sollte in die Verbesserung des Brandschutzes gesteckt werden.
Inzwischen hat man Gewissheit. Mitte 2020 schloss die Bundespolizei PF die Untersuchungen zur Brandursache ab. Es soll eine defekte Klimaanlage gewesen sein. "Das Ergebnis stellte fest: Es war niemand schuld", sagt Alexander Kellner. "Vielmehr müssen wir alle beschuldigt werden."
Dafür, dass eine Gesellschaft, ein Land, ein solch hochrangiges Museum jahrzehntelang systematisch vergammeln ließ. Aber Kellner ist gleichzeitig Optimist: "Nun haben wir ein phantastisches Projekt um zu beweisen, das Brasilien dazugelernt hat und sein Erbe besser schützen will. Diese Gelegenheit sollten wir nicht verpassen."
Deutschland bot sofort Hilfe an
Einen wesentlichen Beitrag leitet seit Beginn der Katastrophe die Bundesrepublik Deutschland. Nicht nur die Experten, die geholt wurden, gehören dazu. Auch finanziell engagiert sich Deutschland. Dass man als brasilianische Institution sehr gut belegen können muss, was mit Geld geschieht, weiß Alexander Kellner nur zu gut. Stichwort: Korruption. Schlechte Beispiele gibt es ja genug.
Als er wenige Tage nach dem Brand den deutschen Generalkonsul traf, legte er die Karten gleich auf den Tisch. Ich weiß, was sie nun denken, soll Kellner gesagt haben. Doch der vertraute Kellner und seinem Konzept. Auch, weil er anregte, das Geld portionsweise und zielgerichtet auszuzahlen, wenn es benötigt wird.
Dieses Vertrauen hilft dem Nationalmuseum. "Deutschland ist für uns eine Art Visitenkarte", sagt Kellner. Wenn jemand fragt, wie man denn sichergehen könne, dass Geld tatsächlich auch ankommt sagt Kellner: "Fragen sie Deutschland, wie wir mit dem Geld umgehen."
"Transparenz ist extrem wichtig", sagt Kellner. "Damit es keinen Ansatz für Korruption gibt." Für Transparenz soll eine Drei-Säulen-Struktur sorgen. Das "Exekutiv-Komitee" ist verantwortlich für den Wiederaufbau. Darin befinden sich die am Wiederaufbau beteiligten Institutionen wieder: Die Universität, das Museum, die Unesco, das Kulturinstitut Vale und auch die Zivilgesellschaft.
Ein institutioneller Rat, in dem etwa auch das Goethe-Institut einen Platz hat, hat das Recht Vorschläge zu machen. Eine Arbeitsgruppe als dritte Säule macht sich vor allem Gedanken darüber, wie das Museum nach der Wiedereröffnung wirtschaftlich tragfähig arbeiten kann und schaut, was benötigt wird. "Damit wir eine solche Tragödie nicht ein zweites Mal erleben müssen", sagt Kellner.
Direktor Kellner kommt kaum noch zum Forschen
Jedoch: "Geld ist das Wenigste, was wir brauchen", sagt Kellner, dessen Büro vor dem Brand im ehemaligen Schlafzimmer des Kaiserpaares untergebracht gewesen war. Was das Museum nun braucht ist internationale Solidarität und Unterstützung. "Die internationale Gemeinschaft muss klarstellen: Wir wollen den Wiederaufbau der wichtigsten Kulturinstitution des Landes."
Für Kellner ist dieser Wiederaufbau ein Fulltime-Job. Zum Forschen kommt der Paläontologe, ein Experte in Sachen Flugsaurier, nicht mehr. Als er im März Direktor wurde, wollte er eigentlich das 200-jährige Bestehen feiern und die Modernisierung voranbringen.
Nun kämpft er für das Überleben der Institution. Kellner war schon länger als potenzieller Direktor gehandelt worden. Mehr als 20 Jahre forschte er bereits an der staatlichen Universität von Rio, der UFRJ. Damals wurde er gefragt: Was tust du denn für das Museum? Klar, er forschte, hielt Vorträge, verwies stets öffentlich auf die Bedeutung des Museums.
Er übernahm das Amt eher aus Pflichtbewusstsein. Für das Museum war es ein glücklicher, vielleicht sogar schicksalshafter Zufall. "Es ist gut für das Museum, dass es dich jetzt hat", sagten seine Söhne, beide Anwälte. Aber Kellner ist auch ehrlich: "Hätte ich damals gewusst, dass es abbrennt, hätte ich abgelehnt."
Brand am selben Tag wie Unterzeichnung der Unabhängigkeit
Zu verdanken hatten die Brasilianer das Museum Leopoldine von Habsburg. Sie hatte als Kaiserin von Brasilien enormen Einfluss auf das Schicksal des südamerikanischen Landes und die Entstehung des Museums.
In Abwesenheit ihres Gatten unterschrieb sie, ebenfalls im nun abgebrannten Gebäude, 1823 die Unabhängigkeitserklärung und löste damit die Kolonie von der portugiesischen Krone. Tragischerweise auch am 2. September, dem Tag des Brandes.
Ein paar Jahre zuvor hatte die die leidenschaftliche Naturkundlerin ihren Schwiegerpapa João IV davon überzeugt, ein naturkundliches Museum zu gründen. Dieses heißt nun Museu Nacional, ist im ehemaligen Palast der Kaiserin, im Park Quinta da Boa Vista in Rio de Janeiro beheimatet.
Rund 200.000 Besucher verzeichnete das Museum pro Jahr. Etwa die doppelte Anzahl Brasilianer besuchte vor der Pandemie jährlich alleine durch das Louvre in Paris. Alexander Kellner hatte vor, die Besuchszahlen in den kommenden Jahren bis auf eine Million auszubauen.
"Ich möchte, dass die Brasilianer nicht nach London, New York oder Wien fliegen müssen, um eine bedeutende naturkundliche Ausstellung zu sehen, wenn wir doch eigentlich alles hier haben", hatte er bei einem Gespräch kurz vor der 200-Jahr-Feier gesagt.
Verwendete Quellen:
- Radio Agência Brasil: Nach dem Brand beginnen die Rettungsarbeiten
- Diariodorio.com: Geschichte des Museums
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