Das Königreich Bhutan in Südasien ist das einzige Land auf der Welt mit einer negativen CO2-Bilanz. Eine wichtige Rolle spielt dabei die einzigartige Philosophie des Bruttonationalglücks.
In einer Welt, die mit dem Klimawandel die größte Herausforderung unserer Zeit bewältigen muss, ist das kleine Königreich Bhutan ein wahrer Lichtblick und Vorbild für Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit. Bekannt für sein einzigartiges Konzept des Bruttonationalglücks, ist Bhutan nicht nur klimaneutral, sondern sogar CO2-negativ. Damit ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass das Königreich mehr Kohlenstoffdioxid aufnimmt oder kompensiert, als es ausstößt
Doch was steckt hinter der Philosophie des Bruttonationalglücks? Wie trägt es zum Umweltschutz und dem Klimabewusstsein der bhutanischen Bevölkerung bei? Das haben wir Michael Zika, Referent Süd- und Südostasien beim WWF Deutschland und seinen Kollegen Sonam Dagay vom WWF Bhutan gefragt.
Bhutan ist das einzige Land der Welt mit einer CO2-negativen Bilanz. Wie hat es das geschafft?
Sonam Dagay: Das ist das Ergebnis unserer Grundphilosophie des Bruttonationalglücks, das weit über unser Konzept des Bruttonationalprodukts hinausgeht und auf vier Säulen basiert: nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Bewahrung und Förderung von Kultur und Tradition, gute Regierungsführung und eben Erhaltung der Umwelt. Das Bruttonationalglück bezieht also nicht nur Geldflüsse, sondern auch die psychische Gesundheit und Ökologie für die Entwicklung des Landes und der Menschen mit ein. Bhutan hat schon immer Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung auf eine Ebene gestellt.
Welche politischen Entscheidungen und Gesetze tragen zur Erreichung der negativen CO2-Bilanz bei?
Dagay: Ausgehend von unserer Grundphilosophie ist in der Verfassung des Königreichs Bhutan aus dem Jahr 2007 festgelegt, dass 60 Prozent der Landesfläche für alle Zeiten bewaldet sein muss. Gleichzeitig ist es die verfassungsmäßige Pflicht jedes Bürgers, die Umwelt zu schützen, denn "ein bhutanischer Staatsbürger hat die Pflicht, die Umwelt, die Kultur und das Erbe der Nation zu bewahren, zu schützen und zu respektieren", wie es in Artikel 8 der Verfassung heißt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Gesetze und Richtlinien, um unsere Umwelt und die natürlichen Ressourcen zu schützen.
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Welche Rolle spielt die Waldabdeckung in Bhutan und die damit verbundene CO2-Absorption? Welchen Stellenwert haben Wald und Natur generell in Bhutan?
Michael Zika: Der Wald und seine Fähigkeit, Kohlenstoff zu binden, ist der wichtigste Faktor für die Aufrechterhaltung der klimapositiven Bilanz in Bhutan. Die Menschen dort haben schon immer die Natur und die natürliche Umwelt verehrt und leben in Harmonie mit der Natur. Für viele Bevölkerungsschichten spielen die Natur und speziell der Wald eine sehr wichtige Rolle für den Lebensunterhalt, da sie als Quelle für natürliche Ressourcen und Nahrung dienen.
Bhutan setzt in Sachen Energieerzeugung vor allem auf Wasserkraft. Welche Vorteile und Herausforderungen bietet diese Energiequelle?
Zika: Strom aus Wasserkraft trägt über ein Drittel (37,6 Prozent; Anm.d.Red.) zur gesamten Energieversorgung des Landes bei. Wasserkraft deckt über die Hälfte (52,3 Prozent; Anm.d.Red.) des Energiebedarfs in der Industrie, der gleichzeitig der Sektor mit dem höchsten Energieverbrauch ist. Die größte Herausforderung für die Wasserkraft sind die Wintermonate. Um den Energiebedarf zu decken, muss Bhutan Energie aus Indien importieren. Allerdings sind die Wasserkraftwerke sehr anfällig für extreme Wetterereignisse wie Sturzfluten und Ausbrüche von Gletscherseen. Gleichzeitig können Wasserkraftwerke als vermeintlich saubere Energiequelle die Biodiversität beeinträchtigen, allen voran wandernde Fischarten.
Inwieweit haben Bhutans kulturelle Werte und Traditionen Einfluss auf Umweltpolitik und CO2-Bilanz?
Dagay: Der in Bhutan vorherrschende Vajrayana-Buddhismus befasst sich mit Mitgefühl und Ehrfurcht vor dem Leben und verurteilt den verschwenderischen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Der traditionelle Glaube und die kulturellen Praktiken zeigen Respekt und Ehrfurcht vor der Natur. So werden Berge, Seen und Wälder als "Zitadellen Gottes" angesehen. Dies hat in hohem Maße dazu beigetragen, unsere Natur zu schützen.
Wie misst und überwacht Bhutan seinen CO2-Fußabdruck?
Dagay: Derzeit fehlt es an gesetzlichen Anforderungen und Systemen zur Überwachung, mit Ausnahme regelmäßiger nationaler Treibhausgasinventare und der Zweijahresberichte an die UNFCCC, dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen. Regelmäßige Waldinventuren und Kohlenstoffschätzungen werden je nach Verfügbarkeit der finanziellen Unterstützung umgesetzt.
Wie sieht die langfristige Vision von Bhutan in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz aus, um den Status als CO2-negatives Land beizubehalten?
Dagay: Bhutans Philosophie des Bruttonationalglücks findet starken Widerhall in den Zielen für nachhaltige Entwicklung. Die Klimapolitik des Landes sieht ein wohlhabendes, widerstandsfähiges und kohlenstoffneutrales Bhutan vor, in dem das Streben nach Bruttonationalglück für die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen unter einem sich verändernden Klima gesichert wird.
Welche Herausforderungen sieht Bhutan auf diesem Weg, insbesondere im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels?
Zika: Bhutan verfügt über ein solides politisches und gesellschaftliches Umfeld und den starken Willen, weiterhin eine positive Klimabilanz vorzuweisen. Eine fragile Geländetopografie bestimmt die geografische Lage im Himalaya, das Land ist sehr anfällig für die Folgen des Klimawandels. Vor allem verfügt Bhutan nur über sehr begrenzte Ressourcen, um sich an die Klimaveränderungen anzupassen. Die Wasserkraftinfrastruktur oder Straßen sind sehr anfällig für Naturkatastrophen. Dabei sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits im ganzen Land zu spüren: Die Gletscher schmelzen im Rekordtempo und bedrohen Menschenleben, Lebensgrundlagen und die Volkswirtschaft. Steigende Temperatur und Niederschläge und das gleichzeitige Austrocknen von Wasserquellen setzen einen Großteil der Bevölkerung einem Klimawandelstress aus.
Inwiefern verzichtet Bhutan bewusst auf industrielle Entwicklung zugunsten der CO2-Negativität?
Dagay: Die Vision einer grünen und eigenständigen Wirtschaft priorisiert Wasserkraft, Landwirtschaft, Kleinindustrie, Tourismus und Bergbau zur Diversifizierung der wirtschaftlichen Basis. Im Fokus steht dabei immer die Minimierung des ökologischen Fußabdrucks. Es gibt einen starken politischen Willen, Bhutan als Bio-Marke zu fördern und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.
Bhutan ist eine konstitutionelle Monarchie mit demokratischen Zügen. Fußt die CO2-Negativität auf dem Willen des Volkes oder ist eher eine Entscheidung "von oben"?
Dagay: Die Menschen in Bhutan sind stolz darauf, ein CO2-negatives Land zu sein. Der traditionelle Glaube sowie die kulturellen Mythen tragen wesentlich zum Umweltschutz bei. Klimapositiv zu sein, ergibt sich folglich aus einer Kombination aus dem Willen des Volkes, der sich aus traditionellen und kulturellen Überzeugungen speist, und Weichenstellungen seitens der Politik.
Was können Deutschland und andere Länder von Bhutans CO2-Modell übernehmen?
Zika: Die wirtschaftliche Entwicklung hat weiterhin Priorität, aber die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen ist ebenfalls wichtig. Die Philosophie hinter dem Bruttonationalglück gewährleistet eine nachhaltige sozioökonomische Entwicklung und erhält gleichzeitig die Natur und Umwelt. Ein Indikator, der nur auf grenzenlosem Wachstum fußt, spiegelt bei limitierten Ressourcen und Flächen auf diesem Planeten keinen guten Zustand der Gesellschaft wider. Wir müssen Fortschritt und Wohlstand anders definieren lernen. Es ist eine dramatische und systemische Schieflage, wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt, dafür aber Menschen krank werden, Dinge im Müll landen oder schützenswerte Wälder zugunsten des Wirtschaftswachstums abgeholzt werden.
Welche Anpassungen lassen sich in Deutschland mühelos umsetzen und welche passen gar nicht – aus geografischen oder politischen Gründen?
Zika: Einerseits können Deutschland und Europa einen verantwortungsvolleren Umgang mit Naturschutz etablieren – ganz unabhängig von Religion und Geografie. Andererseits wäre die Abkehr von der reinen Fokussierung auf das Bruttoinlandsprodukt denkbar. Aber dafür muss der politische Wille vorhanden sein und die Menschen entsprechend mitgenommen werden. Der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen, der Respekt vor der Umwelt und die vielfältigen, gesellschaftlichen Vorteile eines alternativen Weges können viel mehr Menschen nähergebracht werden. Dafür muss das tägliche Leben jedes Bürgers noch enger mit der Natur verflochten werden.
Über die Personen:
- Sonam Dagay ist seit 2023 für Klima- und Energiefragen im Programmbüro des WWF in Bhutan tätig. 14 Jahre lang arbeitete er für die Regierung von Bhutan im Bereich Umwelt und Klima. Seine persönlichen Interessen sowie seine Fachkenntnisse liegen im Bereich des Umweltschutzes und der Klimakrise.
- Michael Zika arbeitet seit über 15 Jahren für den WWF. Er beschäftigt er sich als Referent für Südasien mit der global bedeutenden, biodiversitätsreichen Ökoregion "Östlicher Himalaya" (Nepal, Bhutan und Nordost-Indien). 2019 entwickelte er das erste bilaterale Projekt der deutschen Bundesregierung mit dem Königreich Bhutan im Rahmen der internationalen Klimainitiative und unternahm diverse Projektreisen ins Land.
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