Klimaschutz spielt in der Bundestagswahl kaum eine Rolle – dabei ist er dringender denn je. Warum Resignation gefährlich ist, welche Fortschritte hoffen lassen und wie jeder aktiv werden kann.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Elena Matera (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wenn man den aktuellen Wahlkampf verfolgt, könnte man meinen, die Klimakrise sei bewältigt. Auf Wahlplakaten spielt Klima fast keine Rolle. Kaum ein Interview dreht sich um die Frage: "Wie wollen Sie die Klimaziele erreichen?"

Mehr zum Thema Klimakrise

Dabei sind die Fakten eindeutig: 2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Hitzerekorde, Überschwemmungen und Extremwetterereignisse nehmen zu. Laut der Initiative World Weather Attribution haben die verheerenden Brände in Kalifornien Anfang des Jahres einen direkten Zusammenhang mit der Erderwärmung. Eine neue Studie warnt: Der Meeresspiegel könnte um bis zu 90 Zentimeter mehr steigen als erwartet.

Warum Resignation gefährlich ist

Dass Klimaschutz in den politischen Debatten kaum vorkommt, liegt nicht daran, dass das Problem gelöst wäre – schön wär’s. Die fossile Industrie und viele Politikerinnen und Politiker haben ihre Strategie schlichtweg angepasst. Oft hört man jetzt Sätze wie: "Klimaschutz schadet dem Wirtschaftswachstum", "Ja, Klimawandel gibt es, aber wir müssen uns jetzt in erster Linie anpassen" oder "Verbote brauchen wir nicht, Technologien werden das schon richten". Das sind alles klassische Verzögerungstaktiken.

Die Botschaft dahinter: Klimaschutz ist teuer, wir haben gerade andere, wichtigere Probleme, die wir angehen müssen. Und: Irgendwann wird eine neue Technologie das Problem lösen. Vielleicht CO2-Abscheidung. Vielleicht Kernfusion. Vielleicht eine andere Wunderlösung, die noch nicht existiert. Manche Parteien liebäugeln sogar wieder mit der Atomkraft. Das Problem: Während wir hoffnungsvoll auf Zukunftstechnologien warten, verbrennen wir weiter Öl, Gas und Kohle – und treiben die Erderwärmung ungebremst voran.

Erfolge im Klimaschutz

Dabei liegen die Technologien und Klimaschutzmaßnahmen längst auf dem Tisch, wir müssen sie nur umsetzen. Außerdem gerät immer wieder in Vergessenheit: Vieles hat sich in den vergangenen Jahren schneller und erfolgreicher verändert als erwartet. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die erneuerbaren Energien boomen weltweit.

Ein aktueller Bericht zeigt beispielsweise, dass der Anteil fossiler Energien im europäischen Strommix von 39 Prozent im Jahr 2019 auf 29 Prozent im Jahr 2024 gesunken ist. Gleichzeitig ist der Anteil erneuerbarer Energien auf 47 Prozent gestiegen. In Deutschland stammen mehr als 60 Prozent des Stroms bereits aus Wind- und Solarkraft. Der ist besonders günstig, aber fossile Energien halten infolge des Merit-Order-Prinzips unsere Strompreise weiterhin hoch.

Was ist das Merit-Order-Prinzip?

  • Es beschreibt die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke, die durch die variablen Kosten der Stromerzeugung bestimmt wird. Dabei werden zuerst die günstigsten Kraftwerke zur Deckung der Nachfrage aufgeschaltet, aber das letzte Kraftwerk mit den höchsten Kosten, das zur Deckung der Nachfrage benötigt wird, bestimmt den Preis. Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon

Auch Wärmepumpen, Elektroautos und klimafreundliche Baumaterialien werden immer günstiger. Unternehmen setzen verstärkt auf Nachhaltigkeit, Städte entwickeln klimaneutrale Konzepte und stellen Klimamanagerinnen und -manager ein, immer mehr Menschen investieren in Solaranlagen, viele engagieren sich für den Klima- und Umweltschutz.

Untätigkeit kostet Milliarden

Die Transformation hin zu einer nachhaltigen Welt hat also längst begonnen. Jetzt zurückzugehen, wäre daher ein großer Fehler. Wir müssen weiter an unseren Klimazielen festhalten und dafür unter anderem die erneuerbaren Energien ausbauen, naturnahe Klimaschutzmaßnahmen umsetzen und die Verkehrs- und Wärmewende entschieden voranbringen und mehr. All das schafft zukunftssichere Arbeitsplätze.

Lesen Sie auch

Und auch, wenn es derzeit oft anders öffentlich kommuniziert wird: Ja, Klimaschutz kostet – aber kein Klimaschutz kostet uns noch mehr. Der menschengemachte Klimawandel könnte in Deutschland bis 2050 Kosten von bis zu 900 Milliarden Euro verursachen. Investitionen in erneuerbare Energien und andere Klimaschutzmaßnahmen sind also nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.

Wie bringen wir das Thema also wieder auf die Agenda?

In erster Linie sind natürlich Politik und Medien gefragt, das Thema Klima wieder in den Mittelpunkt der Debatten zu holen. Ein Beispiel ist das Netzwerk Klimajournalismus, das in einem offenen Brief mehr Einsatz der Medien fordert, damit das Klima im Wahlkampf mehr auf die Agenda gesetzt wird. Ich habe den Brief auch unterschrieben. Aber auch jede und jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten. Alle können das Thema Klimaschutz mehr in den Mittelpunkt rücken:

  • Sich informieren und aufklären: Ob im Freundeskreis, bei der Arbeit oder in der Familie: Es ist wichtig, Desinformation zu widerlegen und den weit verbreiteten Sätzen und Verzögerungsstrategien wie "Klimaschutz schadet der Wirtschaft" oder "Technologien werden uns retten" entgegenzutreten. Wie man genau auf die weit verbreiteten Klima-Mythen antworten kann, zeigt unter anderem die Seite Skeptical Science.
  • Politischen Druck ausüben: Wer Fragen stellt, Abgeordnete anschreibt oder sich engagiert, setzt ein Zeichen. Und ja, auch Demonstrationen sind nach wie vor entscheidend und zeigen Wirkung.
  • Mit Konsum die Wirtschaft beeinflussen: Wer Ökostrom nutzt, nachhaltige Produkte kauft oder als Arbeitnehmer für klimafreundliche Lösungen kämpft, verändert Märkte.
  • Hand- statt Fußabdruck: Je mehr wir in unserer Umgebung bewegen, desto größer ist unser sogenannter ökologischer Handabdruck. Wir können diesen zum Beispiel verbessern, indem wir eine Tauschbörse in unserem Wohnviertel gründen, eine Biotonne für die Hausgemeinschaft aufstellen, Fahrgemeinschaften bilden oder indem wir uns dafür einsetzen, dass die Firmenkantine mehr saisonale Gerichte anbietet. Mit all diesen Handlungen beeinflussen wir automatisch auch andere Menschen und können festgefahrene Strukturen verändern – und gemeinsam erreicht man immer mehr als allein.
  • Nicht zuletzt - wählen gehen: Wahlprogramme zeigen, wer den Klimaschutz ernst nimmt – und wer nicht. Ich kann hier den Wahl.Chat empfehlen, einen KI-Assistenten, mit dem man mit den Wahlprogrammen der Parteien chatten und sie zu Themen wie Tempolimit oder Umweltschutz ausfragen kann. Und dann gibt es noch den Real-O-Mat, der die eigenen Positionen nicht mit Wahlversprechen, sondern mit tatsächlichen Abstimmungen im Bundestag vergleicht.

Was ich mir auch immer wieder vor Augen führen muss, wenn ich mich einmal mehr angesichts der Klimakrise und der zunehmenden Verbreitung von Desinformation ohnmächtig fühle: Es gibt keinen wissenschaftlichen Punkt, an dem es "zu spät" ist. Jede heute umgesetzte Maßnahme verringert künftige Schäden. Jede kleine Handlung – sei es eine Unterschrift unter eine Petition, ein aufklärendes Gespräch über Atomkraft oder einfach nur das Informieren über Wahlprogramme – hilft dabei, den Klimaschutz wieder zum Thema zu machen.

Über RiffReporter

  • Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter.
  • Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

Verwendete Quellen

  © RiffReporter

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.