Rewe, der zweitgrößte Lebensmittelhändler Deutschlands, will künftig auf Plastiktüten verzichten. 140 Millionen Stück sollen so pro Jahr eingespart werden. Ein wichtiger Meilenstein für den Umweltschutz in Deutschland - oder doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
25 Minuten - so lange verwenden wir eine Plastiktüte im Durchschnitt. 100 bis 500 Jahre, je nach eingesetztem Kunststoff, dauert es, bis sie zersetzt ist. Laut der Deutschen Umwelthilfe werden weltweit jährlich eine Billion Plastiktüten verbraucht. Ob die Abschaffung von Plastiktüten sinnvoll ist, scheint angesichts dieser Zahlen keine Frage.
Doch die Entscheidung von Rewe, den Kunden künftig nur noch Kartons, Papiertüten, Stofftaschen oder Mehrweg-Taschen aus stabilem Recyclingmaterial anzubieten, stößt nicht nur auf Begeisterung. Sind speziell Papiertüten wirklich umweltschonender als Plastiktüten?
Plastiktüten versus Papiertüten
Tatsächlich benötigt eine konventionelle Papiertüte in der Herstellung fast doppelt so viel Energie wie eine Plastiktüte. Die Herstellung einer Papiertüte verbraucht mehr Wasser, mehr Rohstoffe, und sie erzeugt mehr Kohlendioxid.
Wie Plastiktüten haben Papiertüten einen weiteren Nachteil: In der Regel werden sie nur ein einziges Mal verwendet. Laut dem Naturschutzbund Deutschland sollten Papiertüten aus Altpapier hergestellt und möglichst wenig behandelt und gebleicht werden.
Am besten sollten Konsumenten beim Einkaufen auf langlebigere, wiederverwendbare Taschen setzen. Einen entscheidenden Vorteil haben Papiertüten aber gegenüber Plastiktüten, wie Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) betont: "Eine Papiertüte im Meer macht rein gar nichts, die wird sich ganz schnell auflösen."
Plastikplanet Erde?
Aber wieso verschmutzt so viel Plastikmüll die Weltmeere? Eigentlich sollte Plastik recycelt oder verbrannt werden. Tatsächlich befindet sich die größte Müllhalde der Welt, der sogenannte "Great Pacific Garbage Patch", im Norden des Pazifischen Ozeans. Im Müllstrudel zwischen Hawaii, dem nordamerikanischen Festland und Asien wirbeln Millionen Tonnen von Plastikabfällen herum.
Und auch Nord- und Ostsee sind vermüllt. Laut Prof. Dr. Hubert Weiger, dem Vorsitzenden des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) e.V., sind in der Nordsee inzwischen pro hundert Meter Küste mehr als 700 Müllteile zu finden. Mit verheerenden Auswirkungen auf die Meeresbewohner.
Wie werden unsere Ozeane zu Plastiksuppen?
Über Flüsse gelangt achtlos weggeworfenes Plastik in die Meere, aber auch winzig kleine Plastikkügelchen in unserem Abwasser, die beispielsweise von Kosmetikprodukten stammen, tragen zur Verschmutzung bei. Plastikpartikel gelangen über unsere Waschmaschinen oder durch Schiffe, die ihren Müll einfach dort abladen, ins Meer.
Die kleinen Partikel, in die Plastik bei der Zersetzung zerfällt, werden von den Meerestieren mit Plankton verwechselt. Mit gesundheitlichen Folgen auch für den Menschen, denn über die Nahrungskette nehmen auch wir das Plastik direkt auf. Ein globales Problem.
Plastik in Deutschland
In Deutschland können Plastiktüten für ein Recycling im "Gelben Sack" gesammelt werden, doch die meisten landen einfach im Hausmüll. Laut der Deutschen Umwelthilfe wird in Europa nicht einmal jede zehnte Plastiktüte recycelt, wodurch die Rohstoffe bei neun von zehn Plastiktüten verloren gehen. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass in Deutschland pro Kopf und Jahr 76 Plastiktüten verwendet werden.
Geht die Maßnahme von Rewe weit genug?
Wie sinnvoll ist der Ansatz, auf Tragetaschen aus Plastik zu verzichten, wenn beispielsweise Obst und Gemüse weiterhin in kleine Plastiktüten verpackt werden? Zwar hat Rewe angekündigt, dass auch diese langfristig aus dem Supermarkt verschwinden sollen; doch das Plastik ist weiterhin überall.
Selbst Bio-Äpfel und Bio-Gurken sind im Supermarkt häufig in Plastik eingeschweißt, von vielen anderen Produkten ganz zu schweigen.
Der Flaschenpfand hat dazu beigetragen, dass weniger PET-Flaschen in den Hausmüll geworfen, sondern zurückzugeben wurden, damit sie wiederverwertet werden können. Doch wie reagiert die Wegwerfgesellschaft ohne staatliche Regulierung?
Umweltsünde Coffee-to-Go-Becher
Zur Illustration des Plastik-Problems ein anderes Beispiel: Pro Stunde werden in Deutschland 320.000 Coffee-to-Go-Becher benutzt. Das sind fast drei Milliarden im Jahr. Die Becher bestehen in der Regel zu etwa fünf Prozent aus Polyethylen - plus Plastikdeckel, Rührstab und Papiermanschette.
Der Durchschnittsbecher hat dabei eine Lebensdauer von rund 15 Minuten, ehe er achtlos entsorgt wird. Laut der Deutschen Umwelthilfe e.V. entstehen für die Herstellung der Becher in Deutschland jährlich CO2-Emissionen von etwa 83.000 Tonnen.
Für die Herstellung der Deckel schlagen pro Jahr rund 28.000 Tonnen CO2-Emissionen zu Buche. Die Initiative "Sei ein Becherheld" möchte die Konsumenten zur Nutzung von Mehrwegbechern animieren.
Das Beispiel der Coffee-to-Go-Becher zeigt, dass der Verzicht auf Plastiktüten zwar ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist. Der Weg zu einem bewussten Konsumverhalten ist dagegen noch lang. Während viele inzwischen bewusst darauf achten, was sie essen, steckt das Verständnis über die Verpackung von Lebensmitteln noch in den Kinderschuhen.
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