Maja Göpel plädiert dafür, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Doch das ist viel leichter gesagt als getan. Im Interview mit unserer Redaktion spricht die Transformationsforscherin über die Chancen und Perspektiven für unsere Wirtschaft und das Klima - und warnt die Politik vor fatalen Entscheidungen.
Aktuell empfinden viele Menschen die politische und wirtschaftliche Lage in Deutschland als angespannt. Inwiefern beeinflusst die Sorge vor wirtschaftlichem Abschwung unsere Gesellschaft?
Maja Göpel: Umfragen zeigen, dass wirtschaftliche Themen inzwischen ganz oben auf der Liste der Sorgen stehen. Das hat aber auch damit zu tun, dass wir ständig darüber reden. Diese Themen werden häufig von Oppositionskräften – insbesondere populistischen – stark forciert. Deren Ziel ist es, das Vertrauen in Institutionen zu schwächen. Das heißt nicht, dass wir nicht vor großen strukturellen Herausforderungen stehen, wie auch die ökonomischen Indikatoren zeigen. Aber sowohl die populistische Rhetorik als auch ein zunehmender Parteien-Wettkampf allein um Regierungsmacht führt zu einer politischen Paralyse: Ohne Festlegung einer klaren Richtung verschärft sich die Situation nur und führt zu dieser zunehmenden Lähmung, die sich auch in der gesellschaftlichen Anspannung widerspiegelt.
Bedeutet das, wir reden die Lage schlechter als sie ist? Scheitert es an der Kommunikation?
Maja Göpel: Die Datenlage zeigt, dass die Situation ernst ist, aber es mangelt nicht an Geld, sondern an Investitionen. Dafür braucht es Nachfrage, die nur entsteht, wenn sich die Menschen sozial sicher fühlen – und das fehlt. Im internationalen Vergleich zeigt sich aber auch: Kaum ein Land beschwert sich so viel, die Stimmung in Deutschland ist besonders schlecht. Ein Teufelskreis entsteht: Wir reden ständig über die Probleme, streiten immer aggressiver über Lösungen, und vertagen Entscheidungen, weil niemand den anderen mehr einen politischen Erfolg gönnt. Unternehmen klagen über fehlende Planungssicherheit.
Deshalb ist entscheidend, wie wir über die Dinge sprechen. Gerade die Medien tragen hier eine besondere Verantwortung, da sie beeinflussen, wie wir die Lage wahrnehmen. Denn wer hat schon den Antrieb, etwas anzupacken, Mut zu fassen oder sein Bestes zu geben, wenn das Gefühl überwiegt, dass ohnehin alles verloren ist, nichts mehr funktioniert und jeder nur an sich denkt? Das ist ein denkbar schlechter Ausgangspunkt.
Sie haben gerade von Investitionen gesprochen, während aus ökologischer Sicht oft zum Konsumverzicht aufgerufen wird. Ein Beispiel dafür ist der Social-Media-Trend #nobuyyear. Wie lässt sich der Konflikt zwischen Konsumverzicht für die Umwelt und mehr Konsum für das Wirtschaftswachstum lösen?
Aus ökologischer Perspektive war der Verzicht auf übermäßigen Konsum immer ein wichtiger Appell. Aber wir sehen jetzt, was passiert, wenn wir uns nicht darauf vorbereiten, also geringere Konsumfrequenz mit anderen Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen begleiten. Dann stottert es einfach.
Ich plädiere schon lange dafür, unsere ökonomische Intelligenz nicht darauf zu verwenden, die Menschen zum Kaufen zu bewegen und den alten Wachstumspfad zu stabilisieren. Stattdessen sollten wir überlegen, wie wir innerhalb der planetaren Grenzen eine stabile Wirtschaft gestalten können. Wir brauchen einen Plan B und der erfordert ein Umdenken – gerade bei Investitionszyklen und Renditeerwartungen. Leider fließt in Deutschland und anderen Ländern immer noch viel Energie und Geld in die Stabilisierung alter Muster, statt neue Wege ernsthaft zu prüfen.
Wir diskutieren dann auch immer noch "Wachstum - ja oder nein" – anstatt schlicht zu fragen: Welche Ergebnisse wollen wir, und mit welcher wirtschaftlichen Dynamik lassen die sich erreichen? Ansätze wie "degrowth", die sich mit weniger Wachstum befassen, werden meist direkt abgelehnt, ohne wenigstens die oft sehr fundierte Empirie zur Zerstörung durch den Status Quo ernst zu nehmen.
Was ist "Degrowth"?
- Die Bezeichnung Degrowth kommt aus dem Englischen meint Postwachstum. Es ist eine Vision, in der es zwar zu einem Rückgang des Wachstums kommt, zu weniger Konsum und Produktion. Dafür soll ein neues Verständnis von Wohlstand und gutem Leben sowie eine langfristige Sicherung von Lebensgrundlagen entstehen. Ein Ziel ist neben Nachhaltigkeit vor allem auch soziale Gerechtigkeit.
Und wie können wir ein alternatives wirtschaftliches Modell umsetzen, das auf weniger Wachstum setzt?
Es ist tatsächlich schwierig, sich vorzustellen, wo und wie ein solcher Bremsweg aussehen könnte. Ein entscheidender Schritt wäre, Geldwerte wieder mit realen Werten rückzubinden. Aktuell können wir ja besonders gut und viel Geld verdienen, wenn wir die ökologischen und sozialen Kosten auf andere oder die Zukunft abwälzen können, Stichwort Externalisierung.
Deshalb halte ich das Paket des Green Deal der Europäischen Union für so wichtig. Unternehmen zu verpflichten, ökologische und soziale Risiken genauso zu bilanzieren wie finanzielle, verschafft uns erstmalig ausreichend Daten und Transparenz über die realen Effekte. Und Klimawandel, Biodiversitätsverlust und die Wasserversorgung sind genauso wirtschaftliche Risiken, die sich wiederum auf Unternehmenstätigkeiten auswirken. Wenn diese Risiken berücksichtigt werden, kann das auch Rückstellungen, vorausschauende Anpassungen und Diversifizierung rechtfertigen und schützt das Unternehmen vor dem Druck des Finanzmarkts, der nur kurzfristige Dividenden goutiert. Es fördert also langfristig nachhaltigere Entscheidungen und Performance.
Ein weiterer wichtiger Schritt wäre, den gesamtwirtschaftlichen Erfolg nicht nur an klassischen Kennzahlen wie dem Bruttoinlandsprodukt zu messen, sondern auch den Fortschritt bei wichtigen Themen wie der Energiewende, dem Ausbau von Schienennetzen oder der Bodenregeneration zu berücksichtigen. Hier bauen wir ja Infrastrukturen und Bestandskapital auf, die für eine stabile Versorgungssicherheit die Basis bilden. Auf diese Weise könnten wir den zuwachsenden Teil des Wandels sichtbar machen und Erfolge verkünden. Politik könnte dann auch wiederum viel zielgenauer unterstützen und in dem Zusammenspiel würde eine wirtschaftliche Dynamik frei, die planetare Grenzen respektiert und genau deshalb innovativ macht.
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Deutschland scheint aktuell in einigen Branchen zurückzufallen: Bei der E-Mobilität hinken wir hinterher, die Deutsche Bahn macht Negativschlagzeilen, und unser Internet ist langsam. Haben wir unseren Innovationsgeist verloren?
Ich denke, das hat auch mit der Erzählung von Stabilität zu tun, die uns lange geprägt hat. Während der Merkel-Ära war man stolz darauf, dass vieles verlässlich lief. Doch aus einer Innovationsperspektive braucht es vorausschauendes Handeln: frühzeitig erkennen, wo Herausforderungen oder Krisen entstehen könnten, und entsprechend agieren. Leider haben wir in vielen Bereichen genau das versäumt und müssen heute reaktiv reinspringen, wenn es schon brennt. Das sehen wir beim Klimawandel, aber auch bei der Infrastruktur. Ob es bröckelnde Brücken oder marode Schulen sind – vieles wurde verschleppt, weil es im Moment "noch funktionierte".
Was mich deshalb wirklich ärgert, ist die politische Schuldzuweisung an die Ampel. Es ist unehrlich zu behaupten, die aktuelle Regierung hätte in wenigen Jahren all diese Probleme verursacht. Vieles wurde über Jahrzehnte verschleppt. Und jetzt, in einer Zeit voller Schocks – von der Pandemie bis zum Krieg und nun Donald Trump – müssen wir strukturelle Veränderungen beschleunigt umsetzen.
Mein Appell an alle demokratischen Parteien lautet daher: Jetzt ist nicht die Zeit, das Maximum für die eigene Partei herauszuholen. Jetzt ist der Moment für Kompromisse. Es geht um den Standort Deutschland und darum, wie wir gesellschaftlich gemeinsam gut durch diese Herausforderungen kommen. Wir haben gerade bei der fürchterlichen Migrationsdebatte gesehen, welche Kräfte es sonst stärkt und wie stark es die Bevölkerung verstört.
War die Ampelregierung also besser als ihr Ruf?
Es kommt auf den Politikbereich an, aber warum schaffen wir es zum Beispiel nicht, uns auch für das zu feiern, was in der Energiewende erreicht wurde? Unter enormem Druck, als plötzlich Gas abgedreht werden sollte, wurde hier eine beeindruckende Transformation angestoßen. Innerhalb von anderthalb Jahren haben wir es geschafft, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien rapide zu beschleunigen. Die Genehmigungsprozesse wurden hochgezogen und die Ausbauziele wurden zum ersten Mal mehr als erreicht. Das war eine enorme Leistung. Doch anstatt stolz zu sein, wird genau das weiter schlecht geredet, nur aus parteitaktischen Gründen oder Aversion gegen die Grünen - das finde ich wirklich problematisch.
Das ist natürlich besonders spannend im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen. Obwohl im Ausbau der erneuerbaren Energien einiges erreicht wurde, gibt es viele Stimmen, die den Schritt zurück zur Kernenergie fordern oder den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor zu verschieben. Ist das wirtschaftlich sinnvoll?
Das ist die richtige Frage. Der Wandel, den wir sehen, wird durch den Klimawandel und die Notwendigkeit der Dekarbonisierung vorangetrieben. Das lässt sich auch dann nicht zurückhalten, wenn wir politisch nicht darauf reagieren - im Gegenteil, es führt sogar dazu, dass wir wirtschaftlich weiter abgehängt werden.
Im Bereich der E-Mobilität und der Elektrifizierung zum Beispiel haben deutsche Autohersteller nicht genug auf die europäischen Flottenziele reagiert und die Veränderungen in der Elektrifizierung, die in China und den USA stattfinden, schlichtweg verpasst. Der Druck kommt jetzt eher durch die internationale Konkurrenz, vor allem aus China, und nicht durch europäische Politik.
Warum scheitern wir bisher daran, die Nachhaltigkeitsziele umzusetzen?
Ein zentraler Grund ist, dass wir immer noch viele politische Rahmenbedingungen haben, die in völlig entgegengesetzte Richtungen wirken. Ein Beispiel: Fossile Subventionen und CO2-Preise. Der CO2-Preis soll Emissionen reduzieren, aber gleichzeitig subventionieren wir fossile Brennstoffe und auch Fahrzeuge, die damit fahren, massiv. Das ist ein Widerspruch, der die nötige Dynamik bremst. Würden wir die fossilen Subventionen streichen, würde der Markt inzwischen allein die Energiewende beschleunigen – ganz ohne zusätzlichen Druck durch die Politik.
Diese Kohärenz fehlt oft, das Klimaschutzgesetz hatte immerhin Sektorziele: Jedes Ministerium war verpflichtet, seine CO2-Treiber zu analysieren und Maßnahmen zu ergreifen. Besonders wichtig war die Verbindlichkeit: Jeder Sektor musste seine Ziele erreichen, statt darauf zu hoffen, dass andere einspringen. Doch genau diese Klarheit wurde jetzt wieder aufgeweicht. Wir lösen die Ziele auf und vermeiden unangenehme Entscheidungen, weil niemand der Bevölkerung kurzfristig etwas zumuten will, insbesondere nicht dem eigenen Klientel.
Wie lässt sich in Deutschland eine Mehrheit für nachhaltige Politik finden?
Ich glaube, das Wichtigste ist, zu verstehen, dass es nicht darum geht, dass jemand einem etwas aufdrängen will. Wie wir aktuell leben und wirtschaften, ist langfristig nicht tragfähig. Deshalb sind die Ideen, wie man nachhaltiger leben kann, eigentlich ein Angebot: Hier gibt es zukunftssichere Alternativen, mit denen wir die Krisen zurückdrängen und trotzdem unsere Bedürfnisse befriedigen können – nur eben etwas anders.
Über die Gesprächspartnerin
- Maja Göpel ist Politökonomin und Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung. Sie lehrt als Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg. Zudem arbeitet sie als Rednerin und Beraterin und hat mehrere Bücher geschrieben, darunter "Werte. Ein Kompass für die Zukunft".
- Wir haben Maja Göpel im Rahmen der DLD Munich 2025 am 17. Januar getroffen und interviewt.
Verwendete Quellen
- Talks von Maja Göpel auf der DLD Munich 2025
- zukunftsinstitut.de: "Degrowth – eine realistische Vision?"
- tagesschau.de: "Massive Sorgen um die wirtschaftliche Lage"
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