Jahr für Jahr gibt es neue Hiobsbotschaften von den deutschen Wäldern: kranke Bäume, trockene Erde, Borkenkäferbefall und viele weitere Probleme geben Grund zur Sorge. In alldem sieht Waldforscher Christopher Reyer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung allerdings auch eine Chance.
Hitzestress und Brände, Trockenheit, Schäden durch Insekten: Die deutschen Wälder leiden seit vielen Jahren unter dem Klimawandel. Wie drastisch die Lage mittlerweile ist, zeigt unter anderem die Waldzustandserhebung für 2023.
Christopher Reyer forscht am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zu Wäldern und Klimawandel. Im Interview mit unserer Redaktion beleuchtet er die großen Probleme und erklärt, wie unsere Wälder künftig aussehen könnten. Außerdem appelliert er an uns alle, dass man durchaus auch etwas Positives aus der Situation ziehen kann.
Herr Reyer, immer wieder lesen wir vom Waldsterben oder nicht anpassungsfähigen Bäumen angesichts des Klimawandels in Europa. Erst kürzlich wurde der neue Waldzustandsbericht für Deutschland veröffentlicht: Demnach ist nur einer von fünf Bäumen gesund. Das sind schockierende Zahlen – für Sie überraschend?
Christopher Reyer: Die Zahlen sind insofern nicht überraschend, weil sie leider schon seit den letzten Jahren auf einem solch hohen Niveau sind. Und auch schon davor ist die Zahl kranker Bäume über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich angestiegen. Die Zahlen sind trotzdem schockierend, denn sie sind ein Anzeichen dafür, dass die Wälder große Probleme haben. Zur unangepassten Bewirtschaftung und Baumartenauswahl kommen jetzt noch Klimaextreme hinzu.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bezeichnet den Wald als "Dauerpatienten" – ist das für Sie nachvollziehbar?
Ja, es ist insofern nachvollziehbar, weil Wälder schon lange in schlechtem Zustand sind und sie sehr langlebige Organismen sind. Von einem Jahr aufs andere lassen sich Trends nicht umkehren. Der Wald würde allerdings auch Aufmerksamkeit benötigen, wenn er nicht in einem solch schlechten Zustand wäre. Man muss sich kontinuierlich mit Wäldern befassen, denn wir bekommen so viel von ihnen.
Wie sollten wir diesen "Dauerpatienten" behandeln, damit er wieder fit wird?
Wald ist nicht gleich Wald. Es gibt viele unterschiedliche Waldtypen. Diese schweren Schäden treten vor allem in ganz bestimmten davon auf: in den unangepassten Nadelbaumbeständen, die außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der Fichte stehen zum Beispiel. Deshalb müssen wir auch bei der Behandlung differenzieren. Was ist die Ausgangssituation – eine Monokultur oder ein ungenutzter Mischwald? Je nachdem prüft man, wie sich der Wald in Zukunft als Ökosystem verhalten wird. Dementsprechend setzt man bei der Behandlung an, zum Beispiel durch Waldumbau.
Sie haben gerade Monokulturen angesprochen. Das sind Wälder, die für die Forstwirtschaft genutzt werden. Lässt sich Wirtschaftlichkeit der Wälder überhaupt mit Projekten vereinen, die sie fit für den Klimawandel machen sollen?
Das schließt sich nicht unbedingt aus. Ein Privatwaldbesitzer, der sich viel um seinen Wald kümmert und finanziell von ihm abhängig ist, hat ja großes Interesse daran, dass das Holz nicht kaputt geht. Da muss man durchaus viel investieren, zum Beispiel in neue Pflanzen. Und wer an der Stelle wirtschaftlich denkt, wird auch darüber nachdenken, wie der Wald weiterentwickelt und gepflegt werden muss, um weiterhin Gewinn zu haben und keine zu hohen Investitionskosten. Wenn man da den Klimawandel einberechnet und die Anpassung an Klimafolgen, ist man langfristig besser aufgestellt, als wenn man den Klimawandel ignoriert.
Wo sehen Sie dann Probleme?
Manche gehen derzeit ein hohes Bewirtschaftungsrisiko ein, indem sie entweder den Klimawandel ignorieren oder aber auch andersherum alle möglichen Managementprobleme auf den Klimawandel schieben. Den Waldumbau dann zu verzögern, etwa aus wirtschaftlichen Gründen, ist in dem Fall kurzsichtig, wenn gleichzeitig die Risiken von Dürren, Stürmen, Bränden oder Insektenbefall steigen. Man sollte den Klimawandel immer in seine wirtschaftliche Analyse mit einbeziehen. Derzeit verdienen Eigentümer oft zwar mehr mit Nadelholz, dennoch lohnt es sich, auch auf Laubbäume zu setzen.
Wie schätzen Sie derzeit die Bereitschaft ein, Wälder umzugestalten?
Wir hinken weit hinterher, ist mein Gefühl. Derzeit findet noch zu wenig Waldumbau statt. Dabei ist es essenziell, die Waldbewirtschaftung dem Klimawandel anzupassen, damit Wälder gegenüber Schäden durch Feuer, Trockenheit, Wind und Insektenschäden weniger anfällig sind. Und der Waldumbau ist einer von vielen wichtigen Schritten.
Mit Blick in die Zukunft hört sich das sehr negativ an. Ist es vielleicht schon zu spät, unsere Wälder zu retten?
So weit würde ich nicht gehen. Wir haben sogar einen Vorteil. Deutsche Wälder liegen in Mitteleuropa, in einem Gebiet, in dem es in verschiedenen Klimazonen Wälder gibt - sowohl in kälteren Gebieten wie Skandinavien als auch in deutlich wärmeren und trockeneren Gebieten. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir tiefgreifende Veränderungen erleben werden und "unser Wald" irgendwann anders aussieht.
In 50 oder 100 Jahren werden wir vermutlich ganz andere Waldtypen haben, ein bisschen lichter und andere Arten. Dunkle Wälder, wie sie in den Märchen der Brüder Grimm vorkommen, wird es vermutlich weniger geben in Deutschland. Aber wir werden an vielen Standorten weiterhin Wald in irgendeiner Form haben. Er wird wohl deutlich anders aussehen, als wir es uns derzeit vielleicht vorstellen können.
Wie sehen denn solche Zukunftswälder aus?
Sie werden wohl etwas lichter werden, ein bisschen wie in Süd- und Südosteuropa. Es gibt dann vermutlich weniger Bäume, mehr Lichtungen, andere Baumarten wie Esskastanien. Da haben wir dann ein bisschen mehr Rascheln unter den Füßen, weil der Boden trockener ist und weil mehr Licht auf den Boden dringt. Und natürlich gibt es in Deutschland eine ganze Reihe von verschiedenen Waldtypen, die sich dementsprechend auch unterschiedlich verändern werden. Dadurch wird sich auch die Umwelt- und Ökosystemleistung der Wälder ändern. Für uns Menschen kommt es immer auf die Perspektive an, was man vom Wald erwartet und um wen es da geht.
Wie meinen Sie das?
Ein Beispiel: Viele Menschen in Deutschland sind es gewöhnt, dass wir hier Kiefern oder Fichtenplantagen haben, dass der Wald schön aufgeräumt ist und dass man durchwandern kann oder Fahrrad fahren. Künftig könnte es aber mehr Totholz und Unterwuchs geben. Das ist erstmal ungewohnt und passt nicht zu unserem Waldbild. Viele werden die Veränderung deshalb vielleicht erst einmal negativ betrachten, egal ob der Wald an sich gesünder ist, mehr Kohlenstoff speichert oder besser für bestimmte Arten ist.
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Wälder werden sich in Zukunft also verändern – aber sind schon jetzt Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder sichtbar oder spürbar?
Das kommt darauf an. Wer nie im Wald ist, bekommt wenig mit. Aber selbst Menschen, die in Städten leben und kaum in der Natur unterwegs sind, sind dennoch nicht gefeit. In Südberlin zum Beispiel gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Warnungen wegen des Rauchs von Waldbränden. Da ist man in der Stadt, sieht eine Rauchwolke drüberziehen und soll seine Fenster und Türen schließen. Wenn morgens Rauchschlieren in den Straßen hängen, schaut man verdutzt. Bei solchen Ereignissen erhalten Klimawandel und Wald eine Riesenaufmerksamkeit. Und dadurch wird den Menschen auch weiter das Problem bekannt werden. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass es weiterhin große Absterbeereignisse geben wird, so wie 2018 und 2019. Die haben sehr große Aufmerksamkeit bekommen.
Was kommt denn noch auf uns zu? Auf welche Auswirkungen müssen wir uns einstellen? Brände haben Sie schon angesprochen …
Feuer als ikonischste aller Klimafolgen im Wald wird es weiterhin geben. Die größten Schäden in deutschen Wäldern passieren aber durch Insekten und Sturmwurf. Das ist eine schlechte Kombination für den Wald: Trockenheitsgestresste Bäume, von denen einige durch Stürme umfallen, bieten ideales Brutmaterial für Borkenkäfer, die sich dann massenhaft vermehren. So entstehen großflächige Schadereignisse. Neben diesen Extremen erwarten wir weiterhin höhere Temperaturen und höhere CO2-Konzentrationen. Diese Faktoren können das Wachstum auf kurze Sicht erst einmal verbessern, wenn sie nicht durch andere Faktoren limitiert werden.
Wie Sie bereits sagten, verbinden die meisten Menschen Themen rund um Wald und Klimawandel mit negativen Bildern, wie es sie zum Beispiel vom Brocken gibt. Sehen Sie denn auch etwas Positives dabei?
Bilder wie die vom Brocken sind schrecklich für Touristen und Anwohnende. Sie sind es gewohnt, dass es grün aussieht und die Fichten gesund wirken. Nun ist der Großteil der Bäume tot und der Anblick schockierend. Es sieht nicht mehr so aus, wie man es gewohnt war.
Aber was man sich klarmachen sollte: Erstmal ist nicht alle Veränderung schlimm und es kann neuer Wald nachkommen. Ja, diese Schäden sind dramatisch. Aber gleichzeitig können sie eine Chance sein, um die Anpassung voranzutreiben. Würde der Wald wie gewohnt weiterwachsen und hätte nicht diese Schäden, würden doch alle sagen: "Warum sollen wir umbauen? Die Fichten sind viel zu wichtig für unsere Sägeindustrie und anderes." Allein die Biodiversität oder die Vielfalt sind für viele kein ausschlaggebendes Argument - leider. Deshalb sollten wir diese enormen Schäden als Chance zum Waldumbau begreifen. Jetzt können wir die Anpassung vorantreiben.
Gibt es in manchen Gebieten bereits gute Zukunftsaussichten?
Wir erwarten im Alpenvorland und in den höheren Lagen eine eher entspannte Situation, was den Trockenstress angeht, aber dort sind natürlich auch bisher sehr hohe Niederschläge gefallen. Aber es ist nicht so, dass wir schon sagen können, mit einer bestimmten Maßnahme haben wir in einem bestimmten Gebiet alles richtig gemacht. Es ist immer ein Zusammenspiel. Nehmen wir als Beispiel den Frankfurter Stadtwald. Er wird schon lange als Erholungswald genutzt und die Forstwirtschaft ist nicht so relevant. Dort koexistieren fünf, sechs Baumarten – an sich ein schöner gemischter Wald. Aber auch der hatte zuletzt Probleme. Er ist leider zu trocken. Bei der Planung ist man im Wald durch die Langlebigkeit und Zeitverzögerung eingeschränkt, daher ist es wichtig, die Wälder schneller umzubauen.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Christopher P.O. Reyer arbeitet in der Abteilung Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Wälder und andere ökologische Systeme sowie mit sektorübergreifenden Klimafolgen, mit Anpassungsmaßnahmen um diesen Auswirkungen zu begegnen sowie den Wechselwirkungen zwischen der Resilienz ökologischer Systeme, nachhaltiger Entwicklung und der Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen. Eines seiner Ziele ist es, bei Design und Analyse von Modellvergleichsstudien, die es ermöglichen Klimafolgen in die Zukunft zu projizieren, Unsicherheiten dieser Projektionen besser abzuschätzen.
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