• Seit 2016 sind in Hamburg mehrere Flaschen mit rätselhaften Botschaften gefunden worden.
  • Die handschriftlichen Texte enthalten bekannte Wörter, es handelt sich möglicherweise um eine Verschlüsselung.
  • Über Urheber und Beweggründe kann bisher nur gerätselt werden.

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Alles begann im Oktober 2016: Dominique Eggerstedt befand sich gerade mit einer Freundin beim Stand-Up-Paddeln auf dem Isebekkanal, als sie vor sich eine kleine Spirituosen-Flasche treiben sah. Sie bemerkte, dass es eine Flaschenpost war, und fischte sie aus dem Wasser. "Dann habe ich mir das auch gleich angeschaut", erinnert sie sich im Gespräch mit unserer Redaktion, "und gedacht: Wow, das sieht ja irgendwie spannend aus!"

Denn statt der üblichen Texte, die meist darum bitten, sich beim Absender zu melden, enthielt der Fund einen gänzlich anderen Inhalt: Auf dem Karton einer Zigarettenschachtel waren eine Reihe von Buchstaben, Zahlen und Zeichen notiert. Einzelne Wörter wie etwa "Mädchen" oder "Geschirr" waren zu erkennen, der Rest erschien keinen Sinn zu ergeben.

Seltsame Wörter, Symbole und Rechtschreibfehler in Hamburger Flaschenpost

In den nächsten drei Jahren wurden weitere solcher Flaschenfunde im Isebekkanal sowie der Alster, in die der Kanal mündet, bekannt. Aufgrund des Schriftbilds kann davon ausgegangen werden, dass alle Nachrichten vom selben Verfasser stammen. Bislang sind neun solcher Funde aufgetaucht, der letzte bekannte stammt aus dem Jahr 2019. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es noch weitere solcher Botschaften gab. Diese wurden aber entweder nicht gefunden oder gingen verloren.

Bei allen Funden lassen sich einzelne Wörter erkennen. Neben neutralen Begriffen wie "Steuer" oder "Postkarte" finden sich mit "Sturmbefehl", "U-Boote", "Höchstgefahr", "Bekämpfung", "Verteidigung", "Zone" oder "Sektoren" auch solche mit einem eher militärischen Anklang . Auch der Name "Marie" und die Ländernamen "Madagaskar", "Sumatra" und "Borneo" tauchen auf.

Auffällig sind zudem immer wieder auftretende Rechtschreibfehler wie etwa "Vernzehen" (Fernsehen), "Inschrivt", "Dezibell", "Bissmarkstr" oder "Litvazsauele". Neben Buchstaben und Zahlen enthalten die Nachrichten auch Kreise, Rechtecke sowie umrandete Zeichen, zudem vereinzelt kleinere Zeichnungen. Unter den Buchstaben gibt es auch ein gespiegeltes "E" und ein umgedrehtes "T".

Funde dieser Art sind eine Seltenheit

Betrachtet man die Fundorte der einzelnen Flaschen, so fällt auf, dass ganze fünf davon im Isebekkanal gefunden wurden, nur drei Funde hingegen stammen aus der Alster. Woher genau der jüngste Fund stammt, ist hingegen nicht bekannt.

Dies legt den Verdacht nahe, dass die Flaschen am Isebekkanal ins Wasser geworfen wurden und die meisten nicht sehr weit abgetrieben wurden. Entlang des Kanals finden sich einige Fußwege und Grünstreifen mit Parkbänken. Möglicherweise hielt sich der Verfasser der Flaschenpost-Texte hier öfters auf.

Verschlüsselte Nachrichten gibt es viele und Flaschenpostfunde auch. Die Kombination davon ist jedoch sehr selten, wie der Kryptologie-Experte Klaus Schmeh weiß. Er hat er den Fall in Hamburg aufmerksam verfolgt und weiß bisher nur von zwei vergleichbaren Funden: Einer – allerdings nie abgeschickt – stammt mit 1863 noch aus der Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs, der andere wurde – jedoch an Land – 2015 im russischen Königsberg gemacht.

"Verschlüsselung macht im Normalfall nur Sinn, wenn der Empfänger es wieder entschlüsseln kann", erklärt Schmeh im Gespräch mit unserer Redaktion diese Seltenheit, "und bei einer Flaschenpost kann man halt den Empfänger nicht festlegen. Das heißt, sobald ich eine Flasche ins Wasser schmeiße, bringt Verschlüsselung keinen offensichtlichen Nutzen."

Bislang ist jedoch noch unklar, ob es sich wirklich um eine Form der Verschlüsselung handelt. Es könnte auch sein, dass vieles nur bedeutungsloser Fülltext ist oder eine Reihe von Abkürzungen verwendet wurden. "Es sieht nicht nach einem bekannten Verschlüsselungsverfahren aus", urteilt Schmeh.

Alltags-Notizen, Scherz, Aktionskunst?

Was genau der Zweck dieser Flaschenpost-Nachrichten ist, liegt bislang noch völlig im Dunkeln. Möglich wäre es, dass es sich nur um Alltags-Notizen handelt, die sich alleine dem Verfasser oder der Verfasserin erschließen. "Ich habe auch schon überlegt, ob da jemand Kreuzworträtsel oder andere Rätsel gelöst und sich dazu Notizen gemacht hat", meint Schmeh.

Die Möglichkeit, dass sich jemand einen Scherz erlaubt, ist auch nicht auszuschließen. In diesem Fall könnte es sein, dass die Botschaften gar keinen Sinn ergeben müssen. Mit Blick auf den teilweise merkwürdigen Wortschatz kommt zudem in Betracht, dass es sich um eine Art "inneren Monolog" handeln könnte, der von einem Verwirrten niedergeschrieben wurde. Oder sollte es sich um eine Art von Aktionskunst handeln?

"Aufregender wäre es natürlich, wenn da ein Verbrechen oder sonst etwas dahintersteckt", meint Schmeh, bevorzugt selbst aber eine realistischere Theorie: "Mein Verdacht wäre, dass da jemand dahintersteckt, der sich wichtig machen und der Öffentlichkeit ein Rätsel aufgeben will und sich hinterher amüsiert, wenn es die Leute nicht schaffen." Dass es sich um eine psychisch kranke Person handelt, könnte er sich jedoch auch vorstellen.

Schmeh hegt zudem die Hoffnung, dass sich die Quelle der Texte – wenn seine Annahme zutrifft – eines Tages noch melden wird. Vielleicht haben, so seine Vermutung, die Rätsel bisher noch nicht das erwünschte Maß an Aufmerksamkeit erreicht. Es bleibt daher spannend, ob in nächster Zeit noch weitere Flaschenposten dieser Art auftauchen werden.

Über den Experten: Klaus Schmeh ist Diplom-Informatiker, Buchautor und Unternehmensberater für Verschlüsselungstechnik. Seit 2004 arbeitet er für den Software-Entwickler Cryptovision in Gelsenkirchen. Unter dem Namen "Cipherbrain" betreibt er zudem einen privaten Blog zum Thema Geheimcodes und Verschlüsselungen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dominique Eggerstedt
  • Gespräch mit Klaus Schmeh
  • Cipherbrain: Die mysteriösen Alster-Flaschenpost-Kryptogramme
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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