Eine Frau kämpft gegen einen Eisbären, eine andere hebt einen BMW an: Einige Menschen haben in Gefahrensituationen bereits übermenschliche Kräfte entwickelt. Aber ist dies überhaupt möglich? Und welche wissenschaftliche Erklärung gibt es für dieses Phänomen? Wir klären auf.
Im Zweikampf mit einem Eisbären
Lydia Angyiou sieht ihrem siebenjährigen Sohn und seinen zwei Freunden beim Hockeyspielen zu. Mit einem Mal nähert sich ihnen ein Polarbär. Ohne zu zögern rennt sie auf das gigantische Tier zu und versucht, es mit Tritten und Fäusten von ihrem Kind fernzuhalten.
Als der verantwortliche Jäger Minuten später zum Ort des Geschehens eilt, sieht er etwas Erstaunliches: Die 41-jährige Frau ringt immer noch mit dem Bären. Das Tier reagiert nicht auf die Warnschüsse, woraufhin der Jäger es schließlich erschießt. Die Mutter steht unter Schock. Ihre Kleider sind blutgetränkt, schwerwiegende Verletzungen trägt sie aber nicht davon.
Dieser von "Nunatsiaq News" beschriebene Vorfall ist nur einer von vielen, in denen normale Menschen mit einem Mal scheinbar übermenschliche Kräfte entwickeln. So berichtet "abc News" von einer 22-jährigen Frau aus Virginia (USA) die einen BMW 525i anhob, um ihren Vater zu retten. Diesem war beim Reparieren des Autos der Wagenheber abgerutscht.
Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, rufen solche Kräfte hervor. Man nennt sie auch "Hysterische Kräfte". Eine nachgewiesene Erklärung für das Phänomen gibt es noch nicht. Es ist schwierig, eine derartige Situation im Labor zu testen. Schließlich würde ein solches Experiment erfordern, die Testpersonen glauben zu lassen, sie seien in Lebensgefahr.
Welche Erklärungen gibt es?
Es gibt verschiedene Ansätze, die das Phänomen der "Hysterischen Kraft" erklären. Professor E. Paul Zehr, der an der University of Victoria in Kanada lehrt, erklärt im Interview mit der BBC: "Offensichtlich haben wir diese Stärke in uns. Es ist keine übernatürliche Macht, die diese Kraft hervorruft."
Um die "Hysterische Kraft" besser verstehen zu können, muss zuerst erklärt werden, dass der Kraftaufwand oft niedriger ist, als man es erwarten mag. So hob die 22-jährige Frau nicht das gesamte Auto hoch, sondern nur ein Rad. Das Hauptgewicht des Autos ist im Motorblock. Bei dem BMW ist dieser vorne und nicht an den hinteren Rädern, wo sie das Gefährt anhob.
Es ist zwar immer noch ein immenses Gewicht für eine Frau, die keine trainierte Gewichtheberin ist, es ist aber nicht unmöglich.
Das Gehirn spart Energie
Hierzu kommt die Tatsache, dass der Körper nie die volle Muskelleistung erbringt. Das Gehirn versucht automatisch so wenig Muskelleistung wie möglich für Aufgaben zu mobilisieren. Denn die Muskelkontraktion benötigt Energie und das Gehirn ist darauf ausgelegt, Energie zu sparen.
Eine vollkommene Auslastung der Muskeln birgt die Gefahr, dass sich der Körper schwerwiegend verletzt. Muskeln, Knochen und Sehnen können dabei in Mitleidenschaft gezogen werden.
Es wird davon ausgegangen, dass selbst Hochleistungssportler nur 80 Prozent ihrer theoretischen Kraft nutzen. In einer Gefahrensituation, in der es um Leben oder Tod geht, wird diese Sicherung im Gehirn umgangen. Es kann also weit mehr Kraft mobilisiert werden, als es das Gehirn normalerweise zulassen würde.
Eine weitere Hürde für den menschlichen Körper ist die Sauerstoffzufuhr. So brauchen die Muskeln eine gewaltige Menge Sauerstoff, um schwere Arbeit zu verrichten. Die Schwelle der Kraft wird auch davon bestimmt, wie viel Sauerstoff der Körper durch das Blut in die Muskeln pumpen kann.
Das Adrenalin-Hoch ist entscheidend
In Gefahrensituationen setzen die Drüsen im Gehirn eine große Menge an Adrenalin frei. Dieses Hormon ist maßgeblich für den "Kampf oder Flucht"-Instinkt der Menschen. Adrenalin erhöht den Puls und sorgt für eine schnellere Atmung. Dadurch wird dem Körper mehr Sauerstoff zugeführt. Die Muskeln können eine weit höhere Leistung erzielen, weil sie mit mehr Sauerstoff versorgt werden.
Der Adrenalinausstoß sorgt gleichzeitig für eine verringerte Schmerzempfindlichkeit. Der Schmerz, der normalerweise ein Warnsignal für das Gehirn ist, wird ausgeblendet. Somit wird die Aktivität nicht gestoppt. Es ist nicht nachweisbar, wie viel stärker ein Mensch in diesen Situationen ist. Dies hängt von subjektiven Faktoren ab, die nicht leicht zu testen sind.
Die "Hysterische Kraft" hat weniger mit einer übermenschlichen Macht zu tun, als vielmehr mit den Kräften, die bereits im menschlichen Körper verankert sind. Im Grunde ist es bloß ein weiterer Überlebensmechanismus des Gehirns.
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