Es gibt immer weniger Fisch in der Ostsee. Das bekommen vor allem die Fischer zu spüren, obwohl sie gar nicht die Hauptverursacher des Problems sind. Und was bedeutet das für den Verbraucher?

Mehr Panoramathemen finden Sie hier

Fragen Sie während der Urlaubszeit in einem Fischrestaurant an der Ostsee doch mal, woher der Fisch auf dem Teller stammt. Was für eine dumme Frage, natürlich aus der Ostsee, wird der ein oder andere jetzt denken. Doch das ist häufig nicht der Fall. Und dafür gibt es mehrere Gründe.

Die Fischerei in der Ostsee ist saisonal und findet vor allem im ersten und im vierten Quartal statt. Im Sommer sind die Heringe weit im Norden und die Dorsche in tieferen Schichten zu finden. Auch wegen der eher überschaubaren Fangflotte mit kleinen Küstenbooten sei es schwierig, die Restaurants und Bistros in der Urlaubsregion durchgehend mit Ostseefisch zu beliefern, sagt Norbert Kahlfuß. Der 80-Jährige ist seit seinem 14. Lebensjahr mit Küstenkuttern und Hochseeschiffen auf den Weltmeeren unterwegs.

Seit der Wende muss Kahlfuß nun stark sinkende Fänge in den Netzen seiner ehemaligen Kollegen beobachten. Vor allem für die Bestände von Dorsch und Hering sieht es gegenwärtig nicht gut aus. Das führte zu stark gekürzten Fangquoten in diesem Jahr. So dürfen in der westlichen Ostsee im Vergleich zum Vorjahr 65 Prozent weniger Hering und 60 Prozent weniger Dorsch gefangen werden. Die Quote für Dorsch in der östlichen Ostsee wurde gegenüber 2019 sogar um 92 Prozent reduziert.

Viele Fischer geben auf

Nun wird der Verbraucher wohl kaum schmecken, ob der Fisch auf seinem Teller beispielsweise aus Norwegen oder aus der Ostsee stammt. Für die Fischer vor Ort sind die sinkenden Fangquoten dagegen ein Desaster. Obwohl sie Ausgleichszahlungen von der EU erhalten, werfen viele das Handtuch.

Aus diesem Grund löst sich auch der Landesfischereiverband Mecklenburg-Vorpommern auf, dessen Vorsitzender Kahlfuß viele Jahre war. Die Fischer seien nicht generell gegen Fangquoten, sagt der 80-Jährige, aber in der jetzigen Höhe kämen sie einem Berufsverbot für das zweite Halbjahr gleich.

Viele Fischbestände hätten sich auch wieder erholt und die Wissenschaft hätte Grenzwerte einfach weiter nach oben gesetzt. "Die Fischer haben ihren Teil in den vergangenen Jahren schon erfüllt", sagt Kahlfuß und verweist darauf, dass allein beim Hering der Fischertrag aus der Ostsee in den letzten 30 Jahren von 100.000 Tonnen auf 3.000 Tonnen gesunken ist. "Der Fischer ist der einzige, den man am Arsch kriegen kann. Das Klima kann man eben nicht beeinflussen."

Wer ist schuld am Fischmangel in der Ostsee?

Weltweit gesehen hat zwar die Fischerei den größten Einfluss auf den Zustand der kommerziell genutzten Meeresfischbestände. In der Ostsee ist das aber anders, weil sie ein sehr spezielles Meer ist, in dem der Salzgehalt von West nach Ost immer geringer wird. "Meeresfische leben an der Grenze ihres Verbreitungsgebietes, und die Umweltbedingungen haben einen viel größeren Einfluss auf die Meeresfische als anderswo", erklärt Christopher Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Eine andere wichtige Ursache ist die Klimaerwärmung. So reduziert die Temperaturerhöhung die Nachwuchsproduktion beim Hering der westlichen Ostsee. "Wir Menschen können darauf nur reagieren, indem wir die Fischerei einschränken, auch wenn die Fischerei hier nicht Verursacher des schlechten Zustands ist", sagt Zimmermann.

Beim Dorsch der östlichen Ostsee hätten die Umweltbedingungen - hier vor allem die Überdüngung auf den Feldern - inzwischen einen neunmal größeren Einfluss als die Fischerei. "Auch hier können wir Menschen aber nur versuchen, zu verhindern, dass durch die Fischerei der Bestand noch kleiner wird und so die Erholungschancen wahren", gibt Meeresforscher Zimmermann zu.

Dorsch der westlichen Ostsee ist dagegen überfischt worden, sodass er im Jahr 2015 kollabierte. Der Fisch konnte im Folgejahr zwar einen starken Jahrgang produzieren, der den Bestand nun wieder aufbaut. Allerdings ist die nach 2016 weiter sehr geringe Nachwuchsproduktion nicht wieder angesprungen.

Neben Dorsch und Hering ist der europäische Aal in einem schlechten Zustand. "Sie ist eine der ganz wenigen genutzten Fischarten, die vom Aussterben bedroht sind", so Zimmermann. Die Bedrohung des Aals sei allerdings vor allem in den Flüssen zu finden, in denen der Fisch die meiste Zeit seines Lebens verbringt. "Verbauung der Flüsse durch Kraftwerke, Verschmutzung und ein Schwimmblasenparasit machen ihm das Leben schwer", erklärt der Wissenschaftler. "Die Fischerei spielt hier nur eine kleine Rolle, und ist dennoch der einzige Faktor, den wir unmittelbar regulieren können."

Was wird außerdem getan?

Die Reduzierung der Fangmengen ist nicht die einzige Maßnahme, die die Politik ergriffen hat. Es gibt Vorgaben für Schonzeiten, technische Vorschriften für Fanggeräte wie die Maschenöffnungen der Netze und Meldeverpflichtungen für die Fischerei. Für die Dorschbestände der östlichen und westlichen Ostsee seien Laichschonzeiten für mehrere Gebiete festgelegt worden, in denen größere Fischereifahrzeuge verboten sind, sagt Claus Tantzen, Pressesprecher des Landwirtschaftsministeriums Mecklenburg-Vorpommern.

Um die Wasserqualität der Flüsse und damit indirekt auch der Ostsee zu verbessern, sollen außerdem die Phosphoreinträge bei Kläranlagen vermindert werden. Zu hoher Phosphoranteil im Wasser steigert das Algenwachstum, was langfristig zu Sauerstoffmangel im Wasser führt.

Was empfiehlt die Wissenschaft?

Kurzfristig könnten Laichschonzeiten und -gebiete zwar helfen, die Nachwuchsproduktion wieder anzukurbeln. "Die oft propagierten Meeresschutzgebiete sind in der Ostsee aber viel zu klein, um für die Entwicklung der beweglichen Fischbestände einen positiven Beitrag leisten zu können", sagt Wissenschaftler Zimmermann. Wichtig sei vor allem, den Nährstoffeintrag in die Ostsee durch die Düngung in der Landwirtschaft zu reduzieren, besonders in der Nähe der Laichzonen.

Der Zustand vieler Ostsee-Fischbestände ist aber besser, als in der Öffentlichkeit weithin angenommen wird. Den meisten Beständen geht es gut, so wie der Sprotte, drei von vier Heringsbeständen und den allermeisten Plattfischen wie Scholle, Flunder, Kliesche und Steinbutt. "Lediglich Hering der westlichen Ostsee und Dorsch der östlichen Ostsee sind in sehr schlechtem Zustand. Und Dorsch der westlichen Ostsee entwickelt sich zwar positiv, ist aber noch nicht über den Berg", sagt Zimmermann. Da die letzten drei Bestände von herausragender Bedeutung für die deutsche Küstenfischerei sind, entsteht hierzulande leicht der Eindruck, dass es insgesamt schlecht bestellt ist um die Fischressourcen der Ostsee. Das sei aber nicht der Fall.

Welche Fische kommen an der Ostsee auf den Teller?

Die Chance, einen Ostseefisch auf dem Teller zu haben, ist daher am ehesten bei Plattfischen wie Flunder, Steinbutt und Scholle gegeben. Der Ostsee-Hering wird wegen seiner geringeren Größe vor allem für Marinaden wie Rollmops verwendet. "Schauen Sie für Ostseefisch am besten bei einem Fischer vorbei, der ein Restaurant betreibt", empfiehlt Kahlfuß.

Viele andere Frischfische, die in Deutschland und damit auch an der Ostseeküste auf den Tisch kommen, stammen zumindest aus europäischen Fanggebieten. So bezieht der Großhändler Deutsche See seinen Seelachs und seinen Kabeljau aus der nördlichen Nordsee. Der Hering wird laut Pressesprecherin Martina Buck aus dem Skagerrak bezogen und Rotbarsch kommt aus Island. "Aus der Ostsee wird saisonal Hornhecht und Schnäpel, sowie ganzjährig Zander aus der Bodden-Region geholt", sagt Buck.

Und wie geht es mit den Fangquoten für Dorsch und Hering in der Ostsee weiter? Die Höhe der jährlichen Quoten erfolgt auf Grundlage wissenschaftlicher Empfehlungen des Wissenschaftlichen Rates für Meeresforschung (ICES) durch die Europäische Union. Für 2021 werden die Quoten erneut angepasst, der Ministerrat der EU entscheidet darüber im Oktober.

Verwendete Quellen:

Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "Einblick" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.