Kraniche gelten als Glücksbringer und symbolisieren ein langes Leben. Jetzt im Herbst ziehen wieder Hunderttausende über uns hinweg – und lassen uns mit Fernweh zurück.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Jetzt beginnt wieder diese Jahreszeit. Manchmal zwängt sich ein schiefer Ton vom Himmel durch die Berliner Geräuschkulisse. Ich schaue dann suchend nach oben. Und wenn ich Glück habe, sehe ich zwischen Häuserschluchten und den gelb-grünen Blättern der Bäume noch einen spitzen Bogen am Himmel. Eine Reisegruppe nach Süden. Begleitet von diesem seltsamen Ruf, der klingt, als würde jemand zum ersten Mal in eine Trompete pusten.

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Jetzt beginnt also wieder die Jahreszeit, in der sich diese Reisenden auf Feldern, Äckern und in Sümpfen sammeln, manchmal zu Zehntausenden. Um sich auszuruhen und Kraft zu sammeln für die nächste Etappe. Der Musiker Bosse hat das einmal treffend auf den Punkt gebracht:

Ein feiner Zug, in Richtung Dünen,
Die Kraniche auf den gepflügten Feldern,
Ende September, jedes Jahr wieder,
Und ich am Gucken, als wenn's das erste Mal wär'.

Der Vogel des Fernwehs

Der Kranich ragt heraus aus unserer Vogelwelt – nicht nur im wortwörtlichen Sinne, weil er größer ist als alle anderen. Seine Wanderungen im Herbst und Frühling sind ein Naturschauspiel und die verschiedenen Kranich-Arten faszinieren Menschen weltweit seit Jahrhunderten.

In Asien stehen sie für ein langes Leben, gelten als Glücksbringer und Symbole der Wachsamkeit. In Deutschland hat der größte Luftfahrtkonzern den Kranich 1918 zu seinem Wappentier gemacht – weil er für Kompetenz, Weltoffenheit und Qualität stehe.

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Mich selbst packt bei seinem Anblick in dieser Jahreszeit das Fernweh. Und dieses zwiespältige Gefühl, das der Herbst mit sich bringt: Einerseits die Vorfreude auf Monate, in denen die Kälte das Leben einen Gang runterschalten lässt. Und anderseits die Gewissheit, dass diese Monate auch dunkel und frostig werden.

Zu Menschen hält er Abstand

Das Leben des Kranichs verläuft in geregelten Bahnen. Zur Balzzeit führt er einen spektakulären Tanz auf. Das Paar ruft gerne im Duett aus bis zu 1,3 Meter langen Luftröhren und bleibt oft ein Leben lang zusammen. Während es zur Brutzeit sein Revier verteidigt, findet es sich danach wieder mit anderen zusammen. Auf der Speisekarte steht vieles, was sich auf Feldern, Wiesen und Äckern aufschnabeln lässt. Insekten und Würmer, Frösche und Mäuse, aber auch Körner, Keime und Kartoffeln. Bauern sind nicht ganz so große Kranich-Fans wie ich.

Kranich
Immer schön wachsam: Ein Kranichpaar unterwegs mit zwei Küken in Niedersachsen. © dpa/imageBROKER/Frank Sommariva

Der Kranich ist größer als ein Storch, aber leichter als ein Schwan. Er mag ein graziler Riese sein, aber er ist auch ein Sensibelchen. Den Menschen lässt der wachsame Vogel nicht zu nah an sich heran. Ich habe an der Müritz einmal aus Versehen einen Kranich im Moor aufgeschreckt, als ich mit dem Fahrrad zu schnell um die Ecke kam. Umständlich versuchte er, mit seinen langen Beinen Anlauf zu nehmen und den großen Körper schnell in die Luft zu bringen. Der Anblick ist mir heute noch unangenehm.

Immerhin steht es nicht allzu schlecht um Grus grus, wie der Eurasische Kranich auf Lateinisch heißt. Dem Naturschutzbund (NABU) zufolge gab es in den 70er-Jahren nur noch rund 800 Brutpaare in Deutschland – inzwischen sind es wieder fast 11.000. Der Schutz seines Lebensraums zu DDR-Zeiten und auch danach bundesweit hat ihm gefallen und ihn zurückgelockt.

Denn das Sensibelchen lebt und brütet nicht irgendwo: Der Kranich braucht Felder, auf denen er Nahrung sucht. Und er braucht geschützte, bewaldete Bereiche im knietiefen Wasser. Dort baut er das Nest für die Küken und dort er verbringt seine Nächte: Er schläft stehend im Wasser.

Nominiert als Vogel des Jahres

  • Der Naturschutzbund NABU ruft wieder zur Wahl des Vogels des Jahres auf. Bis zum 10. Oktober kann man hier noch abstimmen. Die fünf Nominierten 2025 sind Hausrotschwanz, Schwarzspecht, Schwarzstorch, Waldohreule – und der Kranich.

Hunderttausende ziehen über Deutschland hinweg

Viele von uns bekommen den Kranich nur selten zu Gesicht. Etwas größer sind die Chancen im Osten und Norden, wo der Kranich regelmäßig brütet und sich zur Zugzeit in großen Gruppen trifft.

Ende September und im Oktober machen sich die großen Vögel auf den Weg Richtung Mittelmeer und Nordafrika. Gemeinsam mit Artgenossen aus Nordeuropa. Mehrere Hunderttausend von ihnen überqueren dann Deutschland, lassen uns staunend und doch mit einem mulmigen Gefühl zurück.

Auf der Route über Deutschland ziehen auch Kraniche aus Nordeuropa Richtung Süden. © dpa/imageBROKER/Ronald Wittek

Woher die Vögel jedes Jahr wissen, wann und wohin sie los- und im Frühling wieder zurückfliegen müssen, ist wie bei allen Zugvögeln in Teilen immer noch ein Rätsel. Auf jeden Fall machen sie es. Aber es gibt auch unter Kranichen Individualisten. Ich habe am Rand von Berlin jedenfalls auch im tiefsten Winter noch ein Paar beobachtet. Ob es vergessen hatte, nach Süden zu ziehen? Oder sich einfach bewusst dagegen entschieden hat?

Ein niederländischer Freund von mir sagt immer: Ihr Deutschen seid so furchtbar schwermütig. Vielleicht mögen wir den Kranich deshalb so gern. Weil er mit seiner zerbrechlichen Schönheit und seinem wehmütigen Trompeten immer ein wenig wirkt, als würde das Leben schwer auf ihm lasten. Ich nehme mir zwar vor, das Leben unbeschwerter und unverkrampfter zu nehmen. Aber zur Kranich-Zeit mache ich eine Ausnahme. Ein bisschen Schwermut kann ja auch ganz schön sein.

Zum Weiterlesen und Weiterhören

  • Bosse auf YouTube: Kraniche
  • Bernhard Weßling: Der Ruf der Kraniche – Expeditionen in eine geheimnisvolle Welt, Verlag Goldmann

Verwendete Quellen

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