Von Beginn an wird die Rückkehr der Wölfe hitzig diskutiert. Sie sind anpassungsfähige Allesfresser und reißen Schafe und andere Nutztiere. Menschen sind für sie in der Theorie leichte Beute. Sollten wir uns deswegen vor ihnen fürchten? Die Zahlen sprechen für sich.

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Nach der Wiedervereinigung kamen die Wölfe zurück nach Deutschland, das ist rund 20 Jahre her. Seitdem haben sich die hierzulande streng geschützten Tiere rasant ausgebreitet. Bald zeigten sie sich weit weniger scheu als von manchen Experten erwartet.

Immer wieder traben sie am helllichten Tag durch Siedlungen, sogar Rinder und Pferde werden gerissen. In Niedersachsen wurde im vergangenen November ein Mann in die Hand gebissen. Es sei ein Wolf gewesen, sagte er, eine DNA-Analyse erbrachte dafür aber keinen Nachweis.

Tollwütige Wölfe sind besonders aggressiv

Vor allem auf dem Land ist die Sorge groß, dass es in absehbarer Zeit zu einem - möglicherweise tödlichen - Wolfsangriff auf einen Menschen kommen könnte. Experten sind sich allerdings weitgehend einig, dass das sehr unwahrscheinlich ist, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen.

"Wenn wir in die Länder schauen, wo der Wolf schon immer war, können wir beruhigt sein", sagt Experte und Buchautor Frank Faß. "Übergriffe von Wölfen auf Menschen waren dort bisher extrem selten."

Faß leitet das Wolfcenter im niedersächsischen Dörverden. "Seit der Rückkehr der Tiere ist uns aus Deutschland keine einzige gefährliche Situation bekannt", betont Nabu-Expertin Marie Neuwald.

Einen guten Überblick über Wolfsangriffe gibt eine Studie des Norwegischen Instituts für Naturforschung (NINA) aus dem Jahr 2002, die dokumentierte Wolfsattacken auf Menschen ausgewertet hat.

Demzufolge wurden in Europa zwischen 1950 und 2000 neun Menschen getötet - bei geschätzten 10.000 bis 20.000 Wölfen am Ende dieser Zeitspanne. "Fünf der Wölfe waren tollwütig, bei den anderen Fällen wurden Kinder in Spanien zum Opfer", erklärt Faß. "In zwei der Fälle ist zu befürchten, dass es sich um Beuteverhalten der Wölfe gehandelt hat."

Insgesamt haben die NINA-Forscher 59 Attacken in dem Zeitraum gefunden, 38 davon in Zusammenhang mit Tollwut. Tollwütige Wölfe, die als besonders aggressiv gelten, sind in Deutschland nicht bekannt.

Expertin warnt vor Panikmache

Faß ergänzt: "Der NINA-Studie ist aus den vergangenen drei Jahrhunderten kein tödlicher Wolfsangriff in Deutschland und Österreich bekannt." Die letzte tödliche Attacke eines wildlebenden Wolfes auf einen Menschen dürfte mehrere Jahrhunderte zurückliegen.

"Im 17. Jahrhundert haben tollwütige Wölfe während des Dreißigjährigen Krieges Menschen gebissen, die dann an der Krankheit starben."

In Delmenhorst in Niedersachsen wurde 1977 ein sieben Jahre alter Junge von einem Wolf getötet, der einige Tage zuvor bei einem Transport entkommen war. "Das ist ein Sonderfall, weil es kein wildlebender Wolf, sondern ein ausgebrochenes Tier war", betont Faß. Der Wolf wurde erschossen.

Die Buchautorin und Fachjournalistin Elli H. Radinger warnt vor Panikmache. Wolfseltern brächten ihrem Nachwuchs bei, was sichere Nahrung sei. "Wir bewegen uns anders, als ihre "normale" Beute: Wir laufen selbstbewusst und vor allem aufrecht", erklärt sie.

"Auch Bären richten sich manchmal auf, und Wölfe meiden Bären." Durch Tollwut seien Menschen früher angegriffen worden, bestätigt sie. "Allerdings ist diese Krankheit in Mitteleuropa längst ausgerottet."

Wolf hat keine natürliche Scheu vor Menschen

Eckhard Fuhr hat in seinem Buch "Rückkehr der Wölfe" auch historische Aspekte untersucht. Erfahrungen früherer Jahrhunderte müssten relativiert werden, sagt er. "Wir haben ganz andere Bedingungen als zu Zeiten der Ausrottung des Wolfes vor 150 bis 200 Jahren." Für den Wolf sehe es heute besser aus.

"Dank der intensiven Landwirtschaft haben wir extrem hohe Bestände an wildlebenden Huftieren, die Jäger nennen das Schalenwild." Es gibt heute laut Fuhr insgesamt mehr Waldflächen, die Wölfe haben bessere Rückzugsmöglichkeiten, viel weniger Menschen arbeiten in der Landwirtschaft. "Der Wolf passt also sehr wohl auch in die heutige Kulturlandschaft", lautet Fuhrs Fazit.

Ein wenig skeptischer ist Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbands. "Der Wolf hat keine natürliche Scheu vor dem Menschen, er ist ein anpassungsfähiger Allesfresser", betont er. Der Wolf müsse sich vom Menschen und den Nutztieren fernhalten, sonst klappe es nicht mit dem Zusammenleben.

"Erfahrungen aus Norwegen, Schweden oder Nordamerika helfen uns nur bedingt", meint Reinwald. "Kein Land mit Wölfen ist so dicht besiedelt wie Deutschland", betont er. "In drei Jahren wird sich der Wolfsbestand verdoppelt haben - wie es weitergeht mit Mensch und Wolf bleibt offen."

Menschen sind leichte Beute

Frank Faß ist optimistisch. "Wir haben mittlerweile mehr als 70 Rudel in Deutschland, das lässt mit Paaren und Einzelgängern sowie umherwandernden Jährlingen auf bundesweit ungefähr 1.000 Tiere schließen", sagt er. "Dabei hat es keinen einzigen nachgewiesenen Wolfsangriff auf Menschen gegeben, obwohl wir leichte Beute wären", meint er. "Aus den Erfahrungen der letzten 20 Jahre in Deutschland ist nicht zu erkennen, dass sich das ändert, auch wenn der Wolf hier nicht bejagt wird."

Doch auch für Faß ist klar: "Wenn einzelne Tiere doch auffällig gegenüber Menschen werden, müssen sie vergrämt und notfalls sogar getötet werden." (ff/dpa)

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