Die Täter sperren ihre Opfer ein, halten sie über Jahre gefangen und bleiben mit ihren Taten oft lange Zeit unentdeckt. Immer wieder sorgen spektakuläre Kriminalfälle wie jener in den USA für Schlagzeilen - dort steht derzeit ein Elternpaar vor Gericht, das seine 13 Kinder jahrelang gefoltert, gefesselt und eingesperrt haben soll. Im Interview geht Profiler Axel Petermann auf die Hintergründe solcher Fälle ein.
Es sind Namen und Fälle, die im Gedächtnis bleiben. Josef Fritzl sperrte seine eigene Tochter 24 Jahre lang in einer unterirdischen Wohnung ein, missbrauchte sie und zeugte mit ihr sieben Kinder.
Und derzeit sorgt ein Elternpaar aus den USA weltweit für Fassungslosigkeit und Entsetzen. Sie sollen ihre 13 Kinder über Jahre hinweg unter grausamen Umständen in Ketten und Fesseln im eigenen Haus gehalten haben.
Axel Petermann ist einer der bekanntesten Profiler Deutschlands - er wagt einen Erklärungsversuch zum eigentlich Unerklärlichen.
Herr Petermann, welche Motive stecken hinter dieser grausamen Art der Machtausübung?
Axel Petermann: Oft steckt der Wunsch dahinter, jemanden für sich ganz allein zu behalten, zu beherrschen, zu quälen und zu missbrauchen.
Das sind häufig Menschen, die selbst in ihrer Kindheit negative Erfahrungen gemacht haben, die viel allein mit sich waren und niemanden hatten, der ihnen Empathie, Zuneigung und Vertrauen entgegengebracht hat.
Oft gab es keine Bindung zur Mutter oder dem Vater. Wenn wir als Beispiel Josef Fritzl nehmen: Es heißt, er wurde von seiner eigenen Mutter nie akzeptiert und hat sich immer nach Zuneigung gesehnt.
Es soll so gewesen sein, dass er seine Tochter und die mit ihr gezeugten Kinder für sich allein haben wollte, um sie für sich haben, um sie zu beherrschen und bestimmen. Er hat auch ausgesagt, er habe seine Tochter vor schlechten Einflüssen schützen wollen.
Wie können Täter jahrelang solch eine Fassade aufrecht halten?
Sicherlich mag es Täter geben, bei denen nie jemand etwas bemerkt hat. Oft ist es auch so, dass das Umfeld gewisse Anzeichen ignoriert oder wegschaut.
Aber diese Täter sind meist sehr akkurat in ihren Planungen, sie können sich gut verstellen, haben schnell Erklärungen parat, und schaffen sich bei ihren Kontaktpersonen Freiräume, indem sie ihnen harte Strafen androhen, wenn sie Grenzen überschreiten; zum Beispiel einen "verbotenen Raum" aufsuchen.
Wenn wir dabei den Fall des Ehepaares aus Kalifornien einmal genauer anschauen: Sie kamen mit ihrer Familie in eine neue Gegend, haben sehr zurückgezogen gelebt und ihr Umfeld hat sie eigentlich nicht wirklich beachtet.
Die Schulbehörde hat erlaubt, dass die Kinder selbst unterrichtet werden und da gab es keine Kontrollen. Auch mit dem Rest der Familie gab es nur sehr wenig Kontakt.
Und natürlich vermutet im Umfeld meist auch niemand solche schlimmen Gräueltaten. Das passiert immer bei anderen und nie im eigenen Umfeld.
Welchen Bezug haben sie zu ihren Opfern - steckt eher Hass oder ein falsches Verständnis von Liebe dahinter?
Es ist schwer, das zu verallgemeinern. Viele der Täter bauen schon eine Art Beziehung zu ihren Opfern auf und versuchen, sie auf eine abartige Art und Weise vor dem in ihren Augen "Bösen" in der Welt bewahren.
Hier kann man durchaus auch von einem falschen Verständnis von Liebe sprechen. Andererseits ist es aber in vielen Fällen einfach nur der Wunsch, die Opfer zu beherrschen und für sich alleine zu haben, sie zu unterdrücken und zu quälen.
Der Hass bezieht sich jedoch meist nicht auf diese bestimmte Person, sondern rührt von eigenen traumatischen Erlebnissen aus der Kindheit her. Bei der Familie in Kalifornien kann man kaum von Liebe oder Empathie gegenüber den Opfern sprechen.
Während die Eltern wohlgenährt waren und sich auch Dinge gegönnt haben, haben sie ihren Kindern kaum etwas zu essen gegeben. Sie durften sich ja auch nicht einmal waschen oder auf die Toilette gehen.
Erkennen solche Täter, die ihre Opfer jahrelang einsperren, überhaupt ihre Schuld? Wissen sie, dass sie etwas Falsches tun oder steckt da eine psychische Störung dahinter?
Diese Art von Täter sind oft Meister im Verdrängen. Das was sie tun, empfinden sie oft nicht als Unrecht und sind davon in gewisser Weise überzeugt, dass ihr Weg eigentlich der richtige Weg ist.
Sie können wenig Mitleid mit ihren Kindern beziehungsweise Opfern empfinden, haben wenig Empathie. Natürlich gibt es auch Täter, die sich daran ergötzen können, wenn ihre Opfer leiden.
Das sind Täter, die sadistische Wesenszüge in sich bergen. Sie erfahren Erfüllung aufgrund des Leidens anderer und der Art, wie diese darauf reagieren. Wenn man den Fall des Horror-Hauses in Höxter nimmt, dann ist die Täterin eine Frau, die selbst eine unfertige und unreife Persönlichkeit zu sein scheint und selbst Gewalterfahrungen machen mussten.
Sie transportierte ihre Gewalterfahrung auf ihre Opfer, um nicht selbst diejenige zu sein, die leidet durch Gewalt und Missbrauch des Partners. Das war bei der Täterin in Höxter ein Ansatz: Sie hat sich dadurch über die anderen Opfer erhöht und sich so Anerkennung durch ihren Partner erhofft.
Können solche Täter resozialisiert werden?
Das kann man so einfach nicht sagen. Es hängt von den einzelnen Täterpersönlichkeiten, ihren Motiven und einer möglichen dahintersteckenden psychischen Erkrankung ab.
Bei paraphilen Störungen wie sexuellem Sadismus oder Pädophilie wissen wir ja beispielsweise, dass sie nicht heilbar sind. Man muss die Taten also stets konkret von Fall zu Fall und von Täter zu Täter betrachten, welche Art von Motiv und Störung zugrunde liegt.
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