Philipp Möller ist Aktivist und Autor, der sich für die Abschaffung von Sonderrechten für Religionsgemeinschaften einsetzt. Im Interview geht er nicht nur mit den Kirchen hart ins Gericht.
Bewerber kategorisch ausschließen, weil sie geschieden oder homosexuell sind? Das darf in Deutschland kein Arbeitgeber – mit der Ausnahme kirchlicher Einrichtungen. Mit der Pluralisierung unserer Gesellschaft beanspruchen auch andere Religionsgemeinschaften diese und weitere Privilegien für sich.
Der bessere Weg wäre, die Sonderrechte komplett abzuschaffen, findet Philipp Möller. Er war das öffentliche Gesicht der Säkularen Buskampagne, die vor einigen Jahren den Glauben an einen Gott werbewirksam infrage gestellt hat.
Nun ist im Fischer Verlag sein Buch zum Thema erschienen: „Gottlos glücklich“, in dem er argumentiert, dass unsere Gesellschaft ohne Religion besser dran wäre. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt er auf, wie „Religionsfreiheit“ missbraucht wird und erklärt konfessionellen Religionsunterricht für verfassungswidrig.
Herr Möller, gönnen Sie den Menschen ihren Glauben nicht?
Philipp Möller: Ich gönne jedem alles, solange damit die Rechte und Interessen anderer nicht eingeschränkt oder verletzt werden.
Ich persönlich bin gottlos glücklich, und so geht es auch 79 Prozent der 180.000 Deutschen zwischen 18 und 34 Jahren, die im Rahmen der repräsentativen Studie "Generation What" befragt wurden.
Wenig überraschend ist daher, dass gerade mal 17 Prozent dieser Befragten Vertrauen in religiöse Institutionen haben - und genau diese Institutionen kritisiere ich, weil sie Religion als Weltanschauungsbetrug betreiben.
Sie versprechen den Menschen, zumeist im Kindesalter, das Blaue vom Himmel und sichern mit diesem sehr erprobten System ihren Einfluss in die Politik und ihre massiven Privilegien.
Ist die Religionsfreiheit, auf die sich Religiöse dabei berufen, nicht aus guten Gründen durch das Grundgesetz geschützt?
Aber sicher, und auch ich setze mich vehement für die Religionsfreiheit ein. Die beinhaltet aber eben auch das Recht, frei von Religion sein zu dürfen - ein Recht, dass in der Aufklärung erbittert gegen Kirchenfürsten erkämpft werden musste!
Fairer fände ich es allerdings, von "Weltanschauungsfreiheit" zu sprechen, denn es gibt schließlich nicht nur religiöse Weltanschauungen, die übernatürliche Wunder wie die Jungfrauengeburt oder die Wiederauferstehung benötigen.
Aber vor allem auf einem Gebiet wird die Religionsfreiheit durch die Kirchen schamlos ausgenutzt: im Arbeitsrecht.
Laut Artikel 140 unseres Grundgesetzes können die Religionsgemeinschaften in Deutschland ihre sämtlichen Angelegenheiten ohne Eingriff oder Kontrolle durch den Staat regeln - das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!
Und durch diesen "Narrenfreiheitsartikel" werden die zwei wichtigsten Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmern ausgehebelt: das allgemeine Gleichstellungsgesetz und das Betriebsverfassungsgesetz - beide gelten für kirchliche Einrichtungen nicht!
Entsprechend agieren die zwei Jesuskonzerne nicht auf dem juristischen Boden der Bundesrepublik Deutschland und dürfen somit Juden, Muslime, Atheisten, Homosexuelle und Wiederverheiratete eiskalt diskriminieren.
Manche argumentieren, dass es viele Kindergärten und Krankenhäuser ohne die Kirchen nicht gäbe und es im Gegenzug vertretbar sei, dass sie ihre eigenen Spielregeln durchsetzen.
Wer so argumentiert, ist entweder falsch informiert oder will falsch informieren. Sämtliche Kindergärten, Krankenhäuser und auch sonstige Einrichtungen, die von den beiden kirchlichen Wohlfahrtsorgansationen getragen werden, beziehen nur den geringsten Teil ihres Etats von den Kirchen.
Aber selbst wenn Caritas und Diakonie ihre Betriebe selbst bezahlen würden, müssen wir uns diese Frage stellen: Sollten Religonsgemeinschaften wirklich das Recht auf "eigene Spielregeln" haben, wodurch sie geltendes deutsches Recht missachten dürfen?
Jeder Betrieb, vom Kleinunternehmer über den Mittelstand bis zum Konzern, muss seine Mitarbeiter auf deutschem Boden nach deutschem Recht behandeln, aber ausgerechnet die Insitutionen, die geradezu mittelalterliche Moralvorstellungen haben, können außerhalb deutscher Gerichtsbarkeit agieren - das geht normalerweise nur in Gottesstaaten.
Wo spüre ich denn – mal von den Steuergeldern abgesehen – den Einfluss religiöser Institutionen, wenn ich nicht gerade in einer kirchlichen Einrichtung arbeite?
Abgesehen von der religiösen Ruhestörug durch Glockengeläut zu allen möglichen und unmöglichen Tageszeiten spüren Sie diesen Einfluss in vielen staatlichen Institutionen: in deutschen Gerichten, wenn es etwa um die Legalität der religiös motivierten aber medizinisch unnötigen Genitalbeschneidung geht; in Krankenhäusern, wenn dank religiös motivierter Gesetze die PID nicht durchgeführt werden kann, worunter zahlreiche Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch ganz real und heftig leiden; und in Hospizen, wenn Ärzte sterbenskranken Patienten die letzte Hilfe verweigern müssen, weil christliche Politiker die Sterbehilfe kriminalisiert und uns Menschen damit das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende faktisch unmöglich gemacht haben.
Aber das vielleicht präsenteste und sehr greifbare Beispiel dafür ist der konfessionelle Religionsunterricht an staatlichen Schulen - das einzige Fach übrigens, das per Grundgesetz zum ordentlichen Lehrfach erklärt werden muss.
In solch eine Verlegenheit käme der Deutsch- oder Matheunterricht wohl kaum, zumal alle Fächer außer Reli "dem Stand der Wissenschaft entsprechen und keine Fehler in der Sachdarstellung aufweisen" dürfen - zumindest in Berlin - und Schule den offiziellen Auftrag hat, "ein Höchstmaß an Urteilskraft" und "gründliches Wissen" zu vermitteln.
Klar, denn Schule ist ein Ort der Erkenntnis und der Aufklärung, nicht des Bekenntnis und der Verklärung - dafür gibt es schließlich Kirchen!
Konfessioneller Religionsunterricht hingegen wird in Teilen sicherlich auch aufklärerisch gestaltet, indem die Kinder dort über Religion informiert werden - aber das ist allerhöchstens die halbe Wahrheit.
Denn schon 1987 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Aufgabe des Religionsunterrichts darin besteht, den Bekenntnisinhalt der jeweiligen Religionsgemeinschaft als "bestehende Wahrheit" zu vermitteln.
Und weil damit klar ist, dass Religionsunterricht eine religiöse Übung ist, in Deutschland aber laut Grundgesetz niemand zur Teilnahme an einer religiösen Übung gezwungen werden darf, sind Kinder entweder vom Grundgesetz ausgenommen (was niemand wollen kann!), oder konfessioneller Religionsunterricht ist de facto verfassungswidrig - und wird nebenbei gesagt von allen deutschen Steuerzahlern mit etwa 4 Milliarden Euro im Jahr finanziert.
In einer tatsächlich säkularen Bundesrepublik Deutschland, für die ich mich ausspreche, würden Kinder in einem säkularen Ethikunterricht nach und nach alle Informationen über die Vielfalt der Weltanschauungen erhalten, sodass sie sich ab Erreichen der Religionsmündigkeit selbstbestimmt dafür entscheiden können, welche Weltanschauung für sie die plausibelste ist.
Dass sich dabei kaum noch jemand für die Himmel-Hölle-Variante entscheiden würde, ist natürlich auch den Kirchen klar, und somit setzen sie all ihren politischen Einfluss dazu ein, im Religionsunterricht weiterhin ungestörten Zugriff auf die intellektuell eher wehrlosen Gehirne kleiner Kinder zu haben - denn die sind so ziemlich die einzigen, die sich zum braven Kirchensteuerzahler von morgen erziehen lassen.
Die Mehrheit der Menschen scheint an den bestehenden Verhältnissen nichts ändern zu wollen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ich würde sagen: die Mehrheit der Menschen ist gezielt schlecht oder gar falsch informiert - aber das ändert sich rasant. Dank der Arbeit meiner um Transparenz bemühten Kollegen - allen voran Carsten Frerk - und einiger um Aufklärung bemühter Redaktionen wird der Öffentlichkeit immer deutlicher, dass Religionsführer sie nicht nur spirituell, sondern auch ganz reell betrogen haben.
Und es gibt sehr wohl ein Feld, in dem große Veränderungen am grundsätzlichen System anstehen: Die zunehmenden Forderungen der Islamverbände nach Gleichberechtigung mit den Kirchen - inklusive ihrer Privilegien!
Solche Forderungen werden uns dazu zwingen, diese Frage zu beantworten: Wollen wir die Rechtspopulisten und -radikalen weiterhin die Fake-News von den angeblichen Werten des christlichen Abendlandes verbreiten lassen, die gegen den "bösen Islam" verteidigt werden müssten?
Sicher, unter den sehr unterschiedlichen Strömungen des Islam gibt es solche, die in einem gigantischen Konflikt mit der Vorstellung des selbstbestimmten Individuums in einer offenen Gesellschaft stehen - darauf weisen wir Säkularisten in einer sachlichen und humanistischen Islamkritik schon lange hin!
Aber deswegen sind noch längst nicht alle Muslime Islamisten, nicht alle Kopftuchträgerinnen unaufgeklärte Opfer ihrer Männer und nicht alle Menschen mit schwarzen Haaren Muslime.
Probleme gibt es aber dennoch: die Ditib betreibt Moscheen, in denen Spione von Erdogan auftreten und Hassprediger, die ihre eigenen Landsleute von der Integration abhalten - voilà: Religion als spaltendes Element.
Hätte unsere - dem Wähler sei Dank! - endlich abgewählte große Koalition solche Differenzierungen vorgenommen, statt genau dieser Ditib den staatlichen Auftrag zu geben, den muslimischen Religionsunterricht in deutschen Bundesländern zu gestalten, dann hätten sie vielleicht auch verhindern können, dass handfeste Rechtsradikale in unserem Bundestag sitzen.
Das ist die reinste religionspolitische Inkompetenz, und jetzt haben wir den Salat.
Sie kommen vom Thema ab!
Sorry, aber ich bin noch immer immer von der Wahl geschockt. Vor ziemlich genau einem Jahr hat Michael Schmidt-Salomon geschrieben, dass man Populisten dort recht geben muss, wo sie recht haben, damit man den Rest in der Luft zerreißen und somit verhindern kann, dass sie mit halben Wahrheiten ganze Erfolge erzielen - aber auf uns hört ja keiner …
Worin besteht denn für Sie der Sinn des Lebens, wenn nicht in der Hoffnung auf ein ewiges Leben nach dem Tod? Was können Sie den Menschen statt der Religion bieten?
Wir brauchen keine Hoffnung auf ein Paradies, wir brauchen keine Angst vor der Hölle und auch keine Bibel um zu erkennen, dass der Mensch, wie Michael Schmidt-Salomon sagt, unter den richtigen Umständen ein äußerst empathisches und friedliches Lebewesen ist - und diese Umstände gilt es zu schaffen!
Daran mitzuarbeiten, das ist etwas, mit dem ich meinem Schaffen, meinem Dasein Sinn verleihen kann, und auch wenn ich das durch meine Worte eher auf der ideellen Seite tue, macht mich das doch sehr, sehr zufrieden. Und Vivaldi hören, das auch.
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