Es ist der umfangreichste Duden, den es je gab: Am Mittwoch erscheint die neue Auflage des Nachschlagewerks für deutsche Rechtschreibung. Viele der rund 3.000 neuen Wörter spiegeln wider, was unsere Gesellschaft bewegt. Kritik, aber auch Lob gibt es schon jetzt.
Trotz der Einflüsse durch die Krise sei es wirklich kein "Corona-Duden" geworden: Das sagt Duden-Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum zur neuen Auflage des Rechtschreibwörterbuches, die am 12. August erscheint. Auch bei anderen Themen wie zum Beispiel Klima/Umwelt, Technik und Geschlechtergerechtigkeit habe es Entwicklungen gegeben, die nun berücksichtigt seien.
Tatsächlich lesen sich die neu aufgenommenen Wörter wie eine Zeitreise durch die Debatten und Trends der vergangenen Jahre. Doch die Duden-Redaktion hat nicht zuletzt auch auf die im Moment alles dominierende Coronakrise reagiert und zahlreiche Wörter berücksichtigt, die uns im vergangenen Jahr zum Teil noch Rätsel aufgegeben hätten, etwa:
- Covid-19
- Reproduktionszahl
- Lockdown
- Ansteckungskette
- Intensivbett
- Atemschutzmaske
Von "Alltagsrassismus" bis "Zwinkersmiley"
"Coronavirus stand sowieso schon drin", sagt Kathrin Kunkel-Razum. Nach dem Sars-Ausbruch 2002/03 sei das Wort wohl aufgenommen worden. Auch Corona sei schon enthalten gewesen, aber mit anderer Bedeutung. Schlägt man es im neuen Duden nach, finden sich zwei Erklärungen: Corona als weiblicher Vorname und "ugs. für Coronavirus[erkrankung]".
Es sei der umfangreichste Duden, den es je gab. Unter den insgesamt 148.000 Wörtern sind 3.000 neue Stichwörter. Hier einige Beispiele:
- Alltagsrassismus
- bienenfreundlich
- Chiasamen
- Dieselaffäre
- Erklärvideo
- Fridays for Future
- Gendersternchen
- Hatespeech
- Influencer
- Klimanotstand
- Ladesäule
- Masernimpfung
- Netflixserie
- oldschool
- pestizidfrei
- rechtsterroristisch
- Shishabar
- transgender
- Uploadfilter
- Videobeweis
- Whatsapp-Gruppe
- Zwinkersmiley
Hinweise zum gendergerechten Sprachgebrauch
Zum ersten Mal finden Nutzer im Duden auch Hinweise zum gendergerechten Sprachgebrauch. Ein Thema, für das es bisher keine Norm gibt. Kunkel-Razum ist auf die Reaktionen zu den neuen drei Seiten gespannt - wohl wissend, dass sie für Diskussionen sorgen können. "Wir legen Wert darauf zu sagen, dass das keine Regel ist, die wir verordnen", betont sie. Das dürfe die Redaktion nicht und wolle sie auch nicht, aber sie erhalte eben sehr viele Anfragen zu dem Thema. Kunkel-Razum sagt, die Redaktion habe sich bemüht, die Probleme und die derzeit vorhandenen Lösungsvarianten zu beschreiben.
Im Duden steht nun zum Beispiel über den umstrittenen Genderstern: Es sei zu beobachten, dass sich diese Variante in der Schreibpraxis "immer mehr durchsetzt". Zu finden sei sie besonders in Kontexten, in denen Geschlecht nicht mehr nur als weiblich oder männlich verstanden werde und die Möglichkeit weiterer Kategorien angezeigt werden solle. Als Beispiel wird genannt: "Schüler*innen".
Wie werden neue Wörter ausgesucht?
Bei den Neuzugängen richtet sich die Redaktion unter anderem danach, wie häufig ein Wort gebraucht wird. Sie legt aber etwa auch Wert auf vorhandene Rechtschreibtücken. Mit Hilfe von Computern werden große Mengen verschiedener Texte auf Neuheiten durchsucht. Aus einer Liste von etwa 15.000 Wörtern erfolgt die Auswahl. Dabei sei viel "Schrott", der aussortiert werde, erzählt Kunkel-Razum. Namen von Fußballern etwa, die in Zeitungen vorkommen, interessierten nicht.
Professor übt Kritik an neuem Duden
Wahrscheinlich werde angesichts der Neuauflage wieder über den Zustand des Deutschen gesprochen, vermutet der Professor für Germanistische Linguistik, Kristian Berg, von der Universität Bonn. Manche Menschen ärgern sich zum Beispiel über Begriffe aus dem Englischen. Berg betont: Wenn nun beklagt werden sollte, dass Influencer und hypen im Duden stehen, dann liege das daran, dass sie systematisch im Deutschen verwendet werden. "Dem Duden das anzulasten ist so, als würde man dem Wetterbericht das Wetter vorwerfen."
Berg hat aber auch einen Kritikpunkt: In einem Rechtschreibwörterbuch sollten vor allem solche Wörter enthalten sein, die in irgendeiner Form schwer zu schreiben sind. Bei einigen Neuaufnahmen sei das sicher so, etwa bei Dystopie. Andere hingegen seien orthografisch einfach: "Wie sonst sollte man denn Intensivbett oder Geisterspiel anders schreiben?"
Hier dränge sich der Verdacht auf, dass der ursprüngliche Zweck dem Verkaufsargument (3.000 neue Wörter) geopfert werde. Der Verlag sei in dem Dilemma, dass die allermeisten neuen Wörter "rechtschreiblich leider einfach" seien, weil es sich um Verbindungen aus zwei oder mehr existierenden Wörtern handle.
Neuauflagen sollen Aufmerksamkeit erzeugen
Alexander Lasch, Vorsitzender der Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte, hält den Duden heutzutage für den "besten Duden, den wir je hatten", wie er sagte. Die Redaktion dokumentiere den Sprachgebrauch mit Quellen, auf die er als Wissenschaftler nur neidisch sein könne, weise alternative Schreibweisen aus, sei offen für den Austausch mit Sprachnutzern und auch bereit, Entscheidungen wieder zu ändern, begründet der Linguistik-Professor der TU Dresden.
Auch wenn der Duden seit der Rechtschreibreform nicht mehr verbindlich sei - maßgebende Instanz ist der Rat für deutsche Rechtschreibung -, habe er noch den "Nimbus des amtlichen Regelwerks" und damit normierende Funktion, sagte Lasch. Veränderungen der Sprache sieht er als Wissenschaftler entspannt: "Sprachwandel ist ein Zeichen, dass die Sprache lebt."
Angesichts des schwierigen Markts für Nachschlagewerke im Online-Zeitalter sei es klar, dass der Duden auch mit Neuauflagen versuche, Aufmerksamkeit zu erzeugen. "Wenn wir mehr Vielfalt an Rechtschreib-Nachschlagewerken wollten, müssten wir auch bereit sein, sie nicht nur der Privatwirtschaft anzuvertrauen." (af/dpa)
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