Zur Lösung der Energieprobleme will die Bundesregierung nun auch auf Laserfusion setzen. Das sei politisch in Deutschland lange nicht gewollt gewesen, sagt der Kernphysiker Markus Roth im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Forscher rechnet Ende 2030 mit dem ersten Testreaktor – wenn die Energieerzeugung durch Wasserstoff gewollt sei.

Ein Interview

Herr Roth, Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat kürzlich angekündigt, dass in Deutschland die Basis für Kernfusion durch Laser gelegt werden soll. Wo steht Deutschland in dieser Form der Energiegewinnung zurzeit?

Mehr zum Thema Wissenschaft & Technik

Markus Roth: Deutschland hat sich mit dieser Form der Energiegewinnung lange Zeit überhaupt nicht beschäftigt. Laserfusion war hier im Prinzip nicht möglich. Den großen Laboren der Grundlagenforschung, etwa vom Max-Planck- oder Helmholz-Institut, wurde deutlich von der Politik gesagt, dass sie sich nicht an der Grundlagenforschung beteiligen sollen. Deshalb haben wir im internationalen Vergleich einiges an Boden gut zu machen.

Warum entschied man sich bei uns dagegen?

Das war hauptsächlich politisch gewollt. Einerseits hatte man sich auf den Ansatz der Magnetfusion festgelegt und dort alle Ressourcen reingegeben. Andererseits hatte es im Ausland in einem Teil der Laserprogramme einen Dual-Use-Effekt (Anm. d. Red.: Doppelverwendungsfähigkeit) gegeben, den man in Deutschland auf alle Fälle vermeiden wollte. Dual Use bezeichnet eine Technologie, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann.

Darum setzt die Regierung jetzt auf Laserfusion

Warum hat die Bundesregierung jetzt Laserfusion für sich entdeckt?

Wir haben einen hohen Energiebedarf und wollen unsere Versorgung langfristig sicherstellen. Im Bereich der Magnetfusion laufen in Großprojekten die Kosten davon, wie ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) zeigt.

ITER ist ein internationales Forschungsprojekt um einen Versuchs-Kernfusionsreaktor, mit dem Fernziel der Stromerzeugung aus Fusionsenergie. Der Reaktor ist seit 2007 beim südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache im Bau. Schätzungen gehen von Gesamtkosten von über 50 Milliarden US-Dollar aus.

Auch die beiden Durchbrüche, im August 2021 und im Dezember vergangenen Jahres, haben die deutsche Politik in puncto Laserfusion wachgerüttelt. Bei letzterem gab es erstmalig einen positiven Energiegewinn – man bekam also mehr Energie raus, als reingesteckt wurde.

Deshalb wurde vom Forschungsministerium vor einem Jahr ein Gipfel einberufen, um zu schauen, wo wir bei der Kernfusion stehen. Daraufhin fiel die Entscheidung, die Unterstützung auf Laserfusion zu erweitern, was Sinn macht, weil wir weltweit die besten Firmen haben, die die Laser bauen können.

Nochmal zurück zu einer grundlegenden Frage: Was genau ist Kernfusion eigentlich?

Im Gegensatz zur Kernspaltung werden bei der Fusion zwei leichte Atome miteinander verschmolzen, sodass ein schweres entsteht. Diese Verschmelzung kann nur funktionieren, wenn die Teilchen unter hohen Temperaturen zusammengehalten werden.

Michael Roth: "Der ganze Brenn-Mechanismus läuft in weniger als in einer Zehntelmilliardstel-Sekunde ab"

Und da gibt es zwei Wege: Laser oder Magnet.

Unsere Kollegen von der Magnetfusion versuchen, ein sehr dünnes Plasma mit Magnetfeldern über sehr lange Zeit zusammenzuhalten. Und wir von der Laserfusion versuchen, ein heißes Gas – Wasserstoff – in kurzer Zeit extrem stark zu komprimieren, sodass die Abstände zwischen den Teilchen sehr kurz werden. Und dann läuft die Reaktion so schnell ab, dass die eigene Trägheit der Masse dafür sorgt, dass die Teilchen lange genug zusammenbleiben, um zu fusionieren.

Das nennt man auch Trägheitsfusion, weil die eigene Trägheit der Masse des Teilchens dafür sorgt, dass der Brennstoff nicht sofort flüchtet. Ein liegengebliebenes Auto braucht ja beispielsweise auch eine Weile, bis es sich beim Anschieben in Bewegung setzt. Der ganze Brenn-Mechanismus läuft in weniger als in einer Zehntelmilliardstel-Sekunde ab. Bei einem Laserfusionsreaktor ist dann das Ziel, 160-mal mehr Energie rauszubekommen, als man reingesteckt hat. Am Ende erhoffen wir uns ein Gigawatt Strom zu erhalten.

Dieses Schaubild zeigt, wie mit Laserfusion Energie gewonnen werden soll. © dpa/dpa-infografik GmbH

"Ein Gramm Wasserstoff entspricht einem Energiegehalt von elf Tonnen Steinkohle"

Was ist der Vorteil gegenüber der Kernspaltung?

Durch Kernfusion kann wesentlich mehr Energie umgesetzt werden als bei der Spaltung. Ein Gramm Wasserstoff entspricht einem Energiegehalt von elf Tonnen Steinkohle. Nicht umsonst ist die Kernfusion der Motor des Universums. Alle Sterne am Himmel und alle Sonnen sind große Fusionsreaktoren. Auch unsere Sonne. So wird nicht nur Licht, Energie und Wärme produziert, sondern auch die schweren Elemente, aus denen wir Menschen bestehen. Kohlen-, Stick- und Sauerstoff – all das ist irgendwann einmal aus einer Kernfusion entstanden.

Bereits seit den 1950er-Jahren wird zu Kernfusion geforscht. Warum gibt es bis jetzt noch kein Kernfusionskraftwerk?

In den 50ern hat man mit der Magnetfusion angefangen. Mit Laser konnte man erst in den 60ern arbeiten, weil er dann erfunden wurde. Aber erst in den 90ern wurden Laser zur Energiegewinnung eingesetzt. Wir Forscher sagen übrigens spaßeshalber: Es ist keine Raketen-Wissenschaft. Wäre es so, hätten wir bereits in den 60ern Laserfusion nutzen können. Einen Stern auf die Erde zu holen und daraus Energie zu gewinnen, ist einfach das komplizierteste Experiment, das es je gab.

Was bedeutet der Durchbruch für die weitere Kernfusions-Forschung?

Wir vergleichen den Moment gerne mit den Gebrüdern Wright, als sie mit ihrem Motor-Flugzeug, der "Kitty-Hawk", abgehoben sind – erstmalig in der Weltgeschichte. Zwar dauerte der Flug nur 12 Sekunden und war 37 Meter lang, aber von da an wusste man, dass man mit motorisierten Flugzeugen fliegen kann.

Die gelungene Laserfusion im Dezember 2022 war ein ähnlicher Durchbruch. Es wurde mehr Energie erzeugt, als reingesteckt wurde. Treiben wir die Forschung nun weiter voran, können wir in zehn bis 15 Jahren daraus im großen Stil Energie erzeugen.

Ein Laserschuss benötigt die Energie eines startenden Düsenjägers

Bisher ist aber sehr viel Energie nötig.

Unterm Strich hat der Laser natürlich viel mehr Energie aus dem Stromnetz geschluckt, als Fusionsenergie rausgekommen ist. 400 Megajoule Energie hat der Laserschuss insgesamt benötigt. Das entspricht der kinetischen Kraft eines startenden Düsenjägers von einem Flugzeugträger. Aus den 400 wurden am Ende 2 Megajoule Laser-Energie. Es gibt also noch gewaltige Verluste. Der nächste Schritt ist der "Engineering Breakeven" - der Durchbruch der Ingenieure -, damit letztendlich wirklich mehr Energie rauskommt, als man zugeführt hat.

"Wir sind mit unseren Lasersystemen auf einem guten Weg"

Was braucht es dafür?

Wir sind mit unseren Lasersystemen in Europa schon auf einem guten Weg. Die Amerikaner nutzen mit dem Verfahren des "indirect drives" den Umweg über die Laser-Umwandlung in Röntgenstrahlung. Das wäre ungefähr so, als wenn sie für eine Weihnachtsgans den Ofen erst lange aufheizen und am Ende wegwerfen. Besser ist es, das Wasserstoff-Kügelchen direkt mit Laser zu beschießen. Dieser "direct drive" ist effizienter und spart das Aufheizen.

Ab wann wird in Kernfusionsreaktoren Strom erzeugt? Sie forschen nicht nur zu dem Thema, sondern haben in Darmstadt auch das Start-up Focused Energy gegründet.

Ende 2030 wollen wir das erste Testkraftwerk fertig gebaut haben. Ob das in Deutschland oder in Amerika sein wird, hängt stark von den Randbedingungen ab. Focused Energy sitzt auf beiden Seiten des Atlantiks, denn: Die meisten Forscher und die meiste Erfahrung im Bereich der Laserfusion sitzen in den USA. Die beste Industrie und die Industriepartner sitzen in Europa. Um erfolgreich voranzukommen, brauchen wir von beiden Seiten des Atlantiks die besten Köpfe und die beste Technologie.

Flugzeugabsturz oder Erdbeben: "Die Reaktoren sind absolut sicher"

Wird Laserfusion "all unsere Energieprobleme in Deutschland lösen", wie die Forschungsministerin verkündet hat?

Wenn wir das wollen, dann ja. Wasserstoff ist überall unendlich vorhanden, er liefert zuverlässig große Mengen an CO2-freier Energie und die Reaktoren sind absolut sicher. Da kann nichts passieren. Ein Freund sagte einmal: Eine Kernspaltung ist einfach zu starten, aber schwer zu stoppen. Eine Kernfusion ist schwer zu starten, stoppt aber sofort, wenn irgendwas schiefläuft. Selbst, wenn dort ein Flugzeug auf den Reaktor abstürzen sollte oder die Erde bebt, garantiere ich ihnen, dass die Laserstrahlen das Kügelchen nicht mehr treffen. Ohne Zündung geht das Kraftwerk einfach aus.

Und beim Brennmaterial reden wir nicht von 100 Tonnen Uran, wie bei der Spaltung, sondern von ungefähr drei Milligramm Wasserstoff. Wegen des niedrigen Gefahrenpotenzials haben die Engländer und Amerikaner Fusionskraftwerke aus dem Atomrecht rausgenommen und es in die gleiche Kategorie wie Tumortherapie-Anlagen und Teilchenbeschleuniger eingeteilt.

So gesehen ist Kernfusion die Lösung für unsere derzeitigen Energieprobleme?

Langfristig schon. Kurzfristig, im Kampf gegen den Klimawandel, hilft es nicht. Wenn wir bis Ende der 2040er-Jahre nichts tun und abwarten, haben wir die Chance vertan. Deshalb bin ich strikt gegen die eine, selig machende Technologie. Wir brauchen in Zukunft alle möglichen Technologien, die uns helfen, Energie zu produzieren – ohne unsere Atmosphäre weiter zu belasten. Solar- und Windenergie müssen so schnell wie möglich ausgebaut werden.

Täglich verbrennt jedes der 58.000 Handelsschiffe zwischen 100 und 200 Tonnen Öl

Kann allein damit die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft gelingen?

Ein Beispiel: 90 Prozent des Welthandels finden per Schiff statt. Das leisten 58.000 Handelsschiffe, wovon jedes zwischen 100 und 200 Tonnen Öl täglich verbrennt. Für einen CO2-freien Ersatz gibt es nur drei Wege: Segeln, Kernkraft oder E-Fuels. Ersteres scheidet wegen Unzuverlässigkeit aus, das zweite auch, weil nicht jedes Schiff mit einem Atomkraftwerk versehen wird.

Also brauchen wir Kohlenstoff aus der Atmosphäre und Wasserstoff aus Wasser, um synthetisches E-Fuel herzustellen. Dafür werden gigantische Mengen Primär-Energie benötigt, die über kurz oder lang nicht über Erneuerbare Energien erreicht werden. Dafür wären nach meinen Berechnungen Kernfusions-Kraftwerke mit einer Leistung von 1500 Gigawatt gut – und das reicht dann erst für die Hälfte des aktuellen Schiffshandels.

Wenn es dann einmal so weit sein sollte - wie hoch schätzten Sie die Kosten für den Bau eines Kernfusionsreaktors?

Ein typischer Reaktor wird zwischen fünf und neun Milliarden Euro kosten. Das ist mit dem Bau von Atomreaktoren vergleichbar, wenn man keine Mehrkosten für Verzögerungen hat. Auch der Aufbau eines Windparks, der ein Gigawatt Energie im Jahr erzeugt, kostet in etwa zehn Milliarden Euro.

Zur Person: Markus Roth ist Professor für Laser- und Plasma-Physik am Institut für Kernphysik der TU Darmstadt. Er beschäftigt sich mit Laser-Ionen-Beschleunigung und Erzeugung hoher Energiedichten mit Lasern und erforscht die Möglichkeiten der Kernfusion. Roth ist zudem Mitglied der Geschäftsführung der Darmstädter Firma Focused Energy GmbH, das mithilfe von Kernfusion Strom erzeugen will.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.