Übelkeit und Erbrechen treten in der Schwangerschaft oft auf - und bedrohen in wenigen Fällen sogar die Gesundheit von Mutter und Kind. Eine Studie zeigt nun eine Ursache dieser Hyperemesis gravidarum - und etwaige Möglichkeiten für Prävention und Therapie.
Die Beschwerden sind bei Schwangeren weit verbreitet - und können im Extremfall für Mutter und Nachwuchs lebensbedrohlich sein. Etwa zwei Drittel der werdenden Mütter erleben während der Schwangerschaft Übelkeit und Erbrechen - im Fachjargon Emesis gravidarum genannt -, meist in vergleichsweise milder Form.
Doch bei bis zu drei Prozent der Schwangeren sind die Beschwerden überwiegend im ersten Trimester so stark, dass ihnen und dem Kind Flüssigkeits- und Nährstoffmangel drohen. Bis vor Kurzem lag die Ursache dieser sogenannten Hyperemesis gravidarum (HG) - auch als unstillbares Schwangerschaftserbrechen bezeichnet - im Dunkeln.
Starke Übelkeit auf Hormon zurückzuführen
Jetzt berichtet ein internationales Forschungsteam in der Zeitschrift "Nature", dass die Erkrankung häufig auf das Hormon GDF15 zurückgeht, dessen Konzentration im Blut während der Schwangerschaft deutlich steigt. Demnach sind die Beschwerden bei jenen Schwangeren besonders ausgeprägt, bei denen die GDF15-Werte im Vergleich zu vor der Schwangerschaft besonders stark zunehmen.
Schon 2018 hatte eine Genomanalyse von mehr als 50.000 Frauen ergeben, dass jene Frauen besonders gefährdet sind, die vor der Schwangerschaft nur geringe GDF15-Werte haben. Im Gegensatz dazu steigern während der Schwangerschaft hohe Konzentrationen des Hormons das HG-Risiko. Wie diese beiden Phänomene zusammenhängen, zeigt das Team um Marlena Fejzo von der University of Southern California in Los Angeles nun in einer Reihe von Untersuchungen detailliert auf.
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Hormon stammt vom Fötus
So berichtet die Gruppe zunächst, dass der überwiegende Anteil von GDF15, dessen Werte in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft ansteigen, vom Fetus stammt - und nicht von der Mutter. Eine weitere Analyse ergab, dass jene Frauen, die genetisch bedingt vor der Schwangerschaft besonders wenig GDF15 bilden, besonders gefährdet sind, eine Hyperemesis gravidarum zu entwickeln. Umgekehrt schützt die Erbkrankheit ß-Thalassämie, die generell mit hohen GDF15-Konzentrationen einhergeht, vor schwerem Schwangerschaftserbrechen.
Dies erklärt das Team um Fejzo dadurch, dass jene Frauen, die schon an höhere Werte des Hormons im Körper gewöhnt sind, weniger sensibel auf den Anstieg während der Schwangerschaft reagieren. Im Gegensatz dazu leiden jene Schwangere, die vorher nur geringe Werte des Hormons aufwiesen, besonders stark. Dass eine Gewöhnung an hohe Hormonwerte tatsächlich vor akuten Beschwerden schützen kann, zeigte die Gruppe an Mäusen: Wurden die Tiere an höhere Konzentrationen von GDF15 gewöhnt, reagierten sie weniger heftig auf einen plötzlichen Anstieg des Hormons.
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Erkenntnisse könnten der Symptomlinderung dienen
"Die Ergebnisse liefern eine wissenschaftliche Grundlage für Hyperemesis gravidarum, die genutzt werden könnte, um Behandlungen von und Schutzmaßnahmen gegen schwere Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft zu entwickeln", schreiben Alice Hughes und Rachel Freathy von der englischen Universität Exeter in einem "Nature"-Kommentar. "Das Blockieren der Wirkung von GDF15 könnte HG-Symptome mildern, und die GDF15-Werte empfänglicher Menschen vor der Schwangerschaft therapeutisch zu erhöhen könnte sogar möglicherweise den Beginn von Symptomen verhindern." Vor einer Anwendung müsse ein solcher Schutzeffekt jedoch in Studien an Menschen nachgewiesen werden, betonen die Expertinnen.
Auch Sven Kehl von der Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen spricht von einer Studie zu einem wichtigen Thema. "Der gefundene Zusammenhang ist sehr interessant", sagt der Experte, der nicht an der Studie beteiligt war. Wichtig seien nun Studien dazu, ob sich dieses Wissen sowohl zur Prävention als auch zur Therapie nutzen lasse.
Theorie: Hormon ist wichtig für Fötus
Die Kommentatorinnen Hughes und Freathy schreiben, möglicherweise könnten neben GDF15 auch andere Faktoren an Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft beteiligt sein. Zudem gelte es zu klären, welche evolutionären Vorteile der gefundene Mechanismus während der Schwangerschaft biete. "Eine Theorie besagt, dass dieser Mechanismus den sich entwickelnden Fetus vor Vergiftung schützt", nennen sie eine Möglichkeit.
Auf die mögliche Funktion des Hormons geht auch das Team um Fejzo ein. "GDF15 scheint sich vor allem als Signal dafür entwickelt zu haben, dem Gehirn Informationen über eine Reihe körperlicher Stressfaktoren zu übermitteln, um den weiteren Kontakt mit diesen zu vermeiden", schreibt es unter Verweis auf manche Lebensmittel und Giftstoffe. (Walter Willems, dpa/mak)
Verwendete Quellen
- nature.com: GDF15 linked to maternal risk of nausea and vomiting during pregnancy (aktuelle Studie)
- nature.com: Nausea and vomiting in pregnancy linked to hormone from fetus (Kommentar zur Studie)
- nature.com: Placenta and appetite genes GDF15 and IGFBP7 are associated with hyperemesis gravidarum (Studie von 2018)
- hyperemesis-netz.de: Hyperemesis gravidarum (Blog)
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