390 Quadratkilometer von Deutschlands Fläche sind mit Autobahnen bedeckt. Das ist grob vergleichbar mit der Größe Kölns (etwa 405 km²). Kann man diesen Platz gleichzeitig für die Energiegewinnung nutzen, indem man die Straßen mit Solarmodulen überdacht? Diese Frage will ein internationales Projekt beantworten.
Damit die Energiewende gelingt, soll auch die Stromerzeugung aus der Sonnenenergie ausgebaut werden. Doch reine Solarparks nehmen viel Platz ein. Darum versuchen Wissenschaftler, Photovoltaik mit anderen Formen der Flächennutzung zu verbinden.
Die Gewinnung von Solarstrom soll ausgeweitet werden, ohne dass zusätzlich Platz dafür gebraucht wird. Ein Projekt unter der Leitung des Austrian Institute of Technology in Wien untersucht aktuell, ob es sinnvoll ist, Autobahnen mit einem Dach aus Solarmodulen zu versehen.
Dabei lag der Ausgangsgedanke für diese Idee laut Martin Heinrich nicht einmal bei der Energiegewinnung. Er forscht am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg, das ebenfalls an dem Projekt beteiligt ist.
Solardach verbindet mehrere Vorteile
Die Überlegung war demnach, wie man die Lebensdauer von Straßen erhöhen kann, die Niederschlägen und Hitze ausgesetzt sind. "Der Gedanke war, die Straße zu beschützen, indem wir sie überdachen. Und wenn man das tut, kann man diese Dachfläche auch gleichzeitig für die Energieversorgung nutzen."
Im Idealfall sollen neue Anlagen nicht nur Platz sparen, sondern auch einen zusätzlichen Nutzen bringen. "Es gibt auch vom Fraunhofer-Institut Versuche, wie man Photovoltaikanlagen mit der Agrarwirtschaft kombinieren und dabei auch die Erträge der Pflanzen durch angepasste Abschattung steigern kann", so Heinrich.
Etwa fünf Prozent der Fläche Deutschlands nehmen Straßen ein. Hier steckt ein großes Potenzial für die Gewinnung von Solarenergie. Wenn man über allen geeigneten Autobahnabschnitten Photovoltaik-Module installieren würde, könnte eine Nennleistung von 58 Gigawatt erzeugt werden, hat das Fraunhofer-Institut errechnet.
"Aktuell sind in Deutschland insgesamt ungefähr 50 Gigawatt an Solarleistung installiert. Theoretisch kann man das also durch die zusätzliche Installation auf den Autobahnen mehr als verdoppeln", betont Heinrich.
Sicherheit hat hohe Priorität
Doch das Konzept bringt auch neue Herausforderungen mit sich. Bei der Planung einer Autobahn-Überdachung gibt es ganz andere Fragen zu bedenken als etwa bei der Integration von Photovoltaik-Modulen in Hausfassaden und –dächer.
Weil unter den Solarmodulen Straßenverkehr fließen soll, habe die Sicherheit eine hohe Priorität: "Was passiert, wenn es einen Unfall unter diesem Solardach gibt oder wenn es brennt? Wie können Rettungskräfte die Stelle sehr gut erreichen, wie kann ein Hubschrauber dort landen?" Solche Fragen spielen laut Heinrich eine wichtige Rolle bei der Konzeption.
Forscher wollen Tunneleffekt vermeiden
Die Akzeptanz in der Bevölkerung wird ebenfalls bedacht. Autofahrer sollen nicht das Gefühl haben, die ganze Zeit in einem Tunnel zu fahren. Die Seitenflächen sollen offen bleiben. Außerdem werden verschiedene Methoden erforscht, um die Solarmodule transparent zu gestalten, sodass sie Tageslicht durchlassen.
Das Forschungsprojekt befindet sich Heinrich zufolge momentan in der Konzeptphase. Noch bis April 2021 wollen die Wissenschaftler unterschiedliche Lösungsansätze theoretisch durchdenken. Danach soll an einem ausgewählten Autobahnabschnitt ein Prototyp errichtet werden. Wie das aussehen könnte, hat das Schweizer Architekturbüro LABOR3 visualisiert.
Der Bau dieses Demonstrators soll zeigen, welche Herausforderungen sich bei der Installation ergeben. Erst dann wird eine Einschätzung möglich sein, ob die Idee praktisch wirklich umsetzbar und auch wirtschaftlich sinnvoll ist.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Dr. Martin Heinrich
- Austrian Institute of Technology: Pressemitteilung Photovoltaik-Überdachung für die Autobahn
- Österreichisches Bundesministerium für Klimaschutz: Ein Dach aus Solarzellen für die Autobahn
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