Neugeborene weinen, wenn sie Hunger haben, müde sind, Schmerzen haben – und aus vielen anderen Gründen. Eine Wissenschaftlerin hat herausgefunden, dass Babys je nach Herkunftsland unterschiedlich weinen. So weinen beispielsweise französische Babys mit Akzent.
Seit Jahrzehnten erforscht Kathleen Wermke die Lautäußerungen von Säuglingen und Kleinkindern an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Dazu gehört das Schreien, Weinen, Quieken und Brabbeln. In ihrem Buch "Babygesänge. Wie aus Weinen Sprache wird" (Molden Verlag) hat die Verhaltensbiologin ihre Erkenntnisse aus der Forschung zusammengefasst.
Französische Babys weinen mit Akzent
Sprachen klingen teilweise sehr unterschiedlich – klar ist aber auch, dass Babys in der Lage sind, jede noch so komplexe Sprache zu erlernen. Zuvor gibt jedes Neugeborene aber vorsprachliche Lautäußerungen von sich und weint. Kathleen Wermke und ihr Team konnten feststellen, dass sich bereits in diesem Alter kulturelle Unterschiede in den Lautäußerungen bemerkbar machen. So weinen beispielsweise französische Babys tatsächlich mit einem Akzent. Das Forschungsteam erklärt, dass die Melodiekontur von französischen Babys von tief nach hoch verläuft, während es bei Babys mit deutschsprachigen Müttern genau andersherum ist.
Interessant ist auch, dass den Analysen zufolge, japanische und schwedische Babys deutlich komplexer weinen als deutsche Säuglinge. Die Unterschiede konnten nicht durch anatomische oder physiologische Ursachen begründet werden. Deshalb geht das Forscherteam davon aus, dass die Variationen in der Melodiekontur von der Umgebungssprache her rühren.
Schreie enthalten Spuren der Muttersprache
Es ist bekannt, dass Babys bereits im Mutterleib hören können und die Stimme ihrer Mutter und anderen Vertrauten nach der Geburt wiedererkennen. Auch konnte bereits bewiesen werden, dass Neugeborene ihre Muttersprache von anderen unterscheiden können. Die Muttersprache lernt das Neugeborene im letzten Drittel der Schwangerschaft kennen. Nach der Geburt haben bereits die ersten Schreie charakteristische Spuren der eigenen Muttersprache, wie Wermke bereits in früheren Studien darlegte.
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Dieses Phänomen wird besonders bei Sprachen mit vielen Tonhöhen deutlich. Dazu zählt beispielsweise Mandarin, das in China, Taiwan und Singapur gesprochen wird. Mandarin hat vier Tonhöhen. Unterschiedliche Tonhöhen bestimmen in dieser Sprache die Bedeutung von Wörtern. Noch deutlicher lässt es sich bei Lamnso erkennen, der Sprache des Nso-Volkes aus Kamerun. Die Sprache enthält acht verschiedene Tonhöhen und zusätzlich spezifische Tonhöhenverläufe. Das Weinen der Nso-Babys gleicht Forschungen von Wermke zufolge einem Singsang. Der Abstand zwischen dem tiefsten und höchstem Ton ist bei ihnen viel größer, als es bei deutschen Neugeborenen der Fall ist.
Nachahmen soll emotionale Bindung stärken
Die Professorin schließt daraus, dass uns die Sprachmelodie der Mutter bereits vor der Geburt prägt und Kinder diese durch Schreien und Gurren nachahmen. Säuglinge versuchen ihre Emotionen und Bedürfnisse durch ihre Lautäußerungen auszudrücken. Wermke geht davon aus, dass durch die Ähnlichkeit in der Sprachmelodie eine natürliche Bindung zur Mutter und der Gemeinschaft aufgebaut werden soll.
"Ich bin überzeugt davon, dass ein besseres Verständnis der Babygesänge helfen kann, die physischen und kognitiven Anstrengungen wertzuschätzen, die Babys vollbringen, um mit ihrer Umwelt akustisch in Kontakt zu treten und eine emotionale Bindung zu Bezugspersonen über die Stimme herzustellen", heißt es in ihrem Buch.
Der Forscherin möchte mit ihren Veröffentlichungen Erwachsene – nicht nur Eltern – dazu animieren, Babys einfach mal zuzuhören. Das Schreien von Säuglingen oder Kleinkindern findet in der Gesellschaft häufig keine Akzeptanz und wird als nervig abgetan. "Akzeptiert, dass diese Gefühlssprache der Weg zur Sprache ist! Babys verdienen Respekt und wertschätzendes Verständnis ihrer stimmlichen Botschaften", sagt Kathleen Wermke.
Verwendete Quellen
- uni-wuerzburg.de: Wie aus Weinen Sprache wird
- apotheken-umschau.de: Was hört der Fötus im Mutterleib?
- jvoive.org: Fundamental Frequency Variation in Crying of Mandarin and German Neonates
- tandfonline.com: Fundamental frequency variation within neonatal crying: Does ambient language matter?
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