Audi führt zusammen mit seinem Partner SAIC in China eine neue Elektro-Plattform ein. Was ist bei ihr anders als beim Europa-Pendant, dem PPE-Baukasten? Und wäre sie was für westliche Märkte?
So wie auf unserem Aufmacherbild über diesem Artikel wird man Audis neue "Advanced Digitized Platform" vorerst nicht verpackt sehen. Wer genau hinschaut, erkennt die vier – von uns per Photoshop eingefügten – Ringe zwischen den Scheinwerfern des kürzlich vorgestellten Audi E Concepts. Die Plattform ist jedoch vorerst allein für Elektro-Modelle gedacht, die in China auf den Markt kommen. Und zwar nicht unter dem bekannten Audi-Label, erkennbar an den vier ineinander verschlungenen Ringen. Sondern unter der neuen Submarke AUDI, die auf das traditionelle Ringe-Logo verzichtet und sich stattdessen allein durch vier Großbuchstaben zu erkennen gibt.
Die "Advanced Digitized Platform" ist keine reine Audi-Eigenentwicklung, sondern gemeinsam mit seinem neuen Kooperationspartner SAIC entstanden. Welcher Partner welche Aspekte der neuen Plattform entwickelt hat, ist nicht ganz eindeutig zu differenzieren. Laut Audi bringe der deutsche Part "sein Know-how in den Bereichen Premiumprodukt und Design, Entwicklung und Engineering ein". SAIC biete dagegen schnelle Innovationen, ein etabliertes Technologie-Ökosystem und tiefe Kenntnisse mit Fokus auf die Anforderungen des lokalen Marktes.
Geplant ist ihre Adaption für europäische Audi-Modelle erst einmal nicht. "Die gemeinsame Plattform ist unsere Basis für eine neue Generation hochmoderner, intelligenter und vernetzter Fahrzeuge exklusiv für China", sagt der Vorstandsvorsitzende Gernot Döllner. Dennoch stellt sich die Frage: Wäre die "Advanced Digitized Platform" nicht auch für jene europäischen Modelle interessant, die aktuell noch auf der MEB- und neuerdings auf der PPE-Plattform basieren? Könnte sie nicht einige der Probleme lösen, auf die Audi mit Konzernmutter Volkswagen und Markenschwester Porsche bei der PPE-Entwicklung gestoßen ist?
Advanced Digitized Platform vs. PPE
Die PPE ("Premium Platform Electric") ist die aktuelle Benchmark unter den Elektro-Plattformen innerhalb des VW-Konzerns. Porsche und Audi haben sie gemeinsam entwickelt. Ihren Serienstart erlebt sie mit dem neuen Audi A6 und Q6 E-Tron sowie dem Elektro-Macan von Porsche. Die Eckdaten stimmen in weiten Teilen mit jenen der "Advanced Digitized Platform" überein. Elektromotoren lassen sich an beiden Achsen integrieren, was leistungsstarke Allradantriebe ermöglicht. Zudem arbeiten beide technische Unterbauten mit 800-Volt-Technik, was deutlich schnellere Ladezeiten als bisher ermöglichen soll.
Die Leistungsdaten
Wer sich in die Details wühlt, erkennt jedoch leichte Unterschiede in den Daten, die den Schluss zulassen: In mancher Hinsicht ist die "Advanced Digitized Platform" einen Tick leistungsfähiger als die PPE. Beispiel Antrieb: Der neue S6 als vorerst stärkster PPE-Audi leistet 370 kW (503 PS), aus denen beim Launch-Control-Start kurzzeitig 405 kW (551 PS) werden können. Für den E Concept gibt AUDI dagegen eine Gesamtleistung von schlappen 570 kW (775 PS) an. Von Null auf Hundert geht es damit in 3,6 Sekunden; der S6 in Europa-Spezifikation ist drei Zehntelsekunden langsamer. In ähnliche Dimensionen wie der AUDI könnte hierzulande allerdings der RS6 E-Tron vorstoßen, der 2025 auf den Markt kommen soll und dem 700 PS nachgesagt werden.
Reichweiten-Vergleich
Keine Abstriche müssen die PPE-Audis beim Aktionsradius machen. Mit seiner 100-Kilowattstunden-Batterie soll die reichweitenstärkste Kombi- und damit formal dem E Concept ähnlichste Variante, der Audi A6 E-Tron Performance, bis zu 720 Kilometer weit kommen. Für seine China-Konzeptstudie gibt AUDI bei gleicher Akkukapazität "mehr als 700 Kilometer" an. Und das nach dem weniger anspruchsvollen chinesischen Fahrzyklus CLTC, während die A6-Angabe den strengeren europäischen WLTP-Standard berücksichtigt. Die neuen prismatischen Lithium-Ionen-Zellen, die der VW-Konzerns im PPE erstmals verwendet, scheinen in dieser Hinsicht gegenüber dem CATL-Akku des E Concept mindestens ebenbürtig zu sein.
Video: Der elektrische Audi A6 e-tron (2024) im Ersten Check
Wer lädt schneller?
In Sachen Ladegeschwindigkeit haben die vier Großbuchstaben gegenüber den vier Ringen rechnerisch die Nase vorn. Die AUDI-Studie lädt dem Hersteller zufolge in zehn Minuten am Schnellader 370 Kilometer nach. Beim A6/S6 dauert ein Ladevorgang von zehn auf 80 Prozent SoC ("State of Charge") dagegen 21 Minuten bei einer maximalen Ladeleistung von 270 kW. Geht man von der Modellversion mit 720 Kilometern Reichweite aus, tankt der Euro-Audi rechnerisch 0,4 Zusatz-Kilometer pro Sekunde. Das ist nach aktuellen Maßstäben gewiss nicht langsam, aber eben nicht gar so schnell wie beim China-Pendant (0,62 km/s). Allerdings gilt es zu bedenken (s.o.): 370 Kilometer nach CLTC sind nach WLTP deutlich weniger – der Unterschied wird vielfach auf 15 bis 25 Prozent taxiert.
Digitale Dreingaben
Die Elektronik-Architektur des China-AUDI setzt auf vier leistungsfähige Zentralrechner und ist damit absolut State of the Art. Bei der PPE setzt die Elektronikarchitektur E3 in der Ausprägung 1.2 ebenfalls auf eine Domänenrechnerstruktur, allerdings mit fünf Hochleistungsrechnern. Mehr Rechner heißt nicht zwangsweise besser, aber auch nicht schlechter. Jeder der Computer steuert bestimmte Fahrzeugfunktionen zentral. Solche Aufgabengebiete (Domänen) sind beispielsweise Infotainment, Fahrfunktionen oder teilautomatisiertes Fahren (in späteren Evolutionsstufen). Die unterschiedliche Anzahl spricht jedenfalls nicht für Kompatibilität zwischen den elektronischen Systemen der beiden Welten.
Inwiefern sich die beiden Plattformen im Hinblick auf ihre digitalen Fähigkeiten unterscheiden, müssen Vergleiche anhand der Serienautos zeigen. Eine in dieser Hinsicht immer spektakulär gestaltete Konzeptstudie, bei der sich die Bildschirm-Landschaft über das gesamte Armaturenbrett erstreckt, ist da kein Maßstab. AUDI zufolge verfügt das E Concept etwas großspurig über "eine digitale Bühne", deren Betriebssystem sich "AUDI OS" nennt und die sich individuell an alle Fahrgäste anpassen lässt. Smartphones lassen sich demnach nahtlos ins Entertainment- und App-Ökosystem des Autos integrieren, das sich zudem mittels Gesichtserkennung steuern lässt. Hinzu kommt ein KI-Avatar, der Kommandos via Touch- sowie Sprachsteuerung entgegennimmt und sogar emotionales Feedback gibt.
Gar so bildschirmlastig ist das Cockpit eines Audi A6 E-Tron, das mit "Android Automotive OS" und nicht – wie ursprünglich geplant – mit einem Betriebssystem der Software-Konzerntochter Cariad arbeitet, nicht ausstaffiert. Doch immerhin gibt es bis zu drei von ihnen: Einen 11,9 Zoll großen Fahrer-Informations-Monitor ("Audi Virtual Cockpit"), ein zentrales 14,5-Zoll-MMI-Touch-Display und einen optionalen Beifahrer-Bildschirm von 10,9 Zoll Größe. Hinzu kommt ein Augmented-Reality-Head-up-Display. Zusatzinformationen liefern der Audi-Assistant oder, wenn dieser nicht mehr weiterweiß, ChatGPT.
Fahrassistenz-Perspektiven
Noch unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt, welche Möglichkeiten die "Advanced Digitized Platform" in Sachen Assistenzsystemen bietet. Diese sollen AUDI zufolge auf die Bedürfnisse der chinesischen Kundschaft zugeschnitten sein und das Fahren auf Schnellstraßen ebenso abdecken wie Unterstützung im dichten Verkehr der Megacity oder automatisiertes Parken. Der PPE-Baukasten bietet bereits jetzt die Voraussetzungen für den adaptiven Fahrassistent plus, der neben einem umfangreichen Hardware-Sensorik-Paket hochauflösende Kartendaten und in der Cloud berechnete Schwarmdaten anderer Fahrzeuge nutzt. Damit soll in vielen Situationen hochgradig automatisiertes Fahren möglich sein. © auto motor und sport
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