Der neu gewählte Präsident des Verbandes der Europäischen Automobilhersteller ACEA Ola Källenius mahnt in einem fünfseitigen Brief an die EU-Spitzen die Notwendigkeiten der Autobranche an. Wir fassen das Wichtigste zusammen:
Am 1. Januar 2025 hat Mercedes-Chef Ola Källenius die Präsidentschaft des Verbandes der Europäischen Automobilhersteller (kurz: ACEA) von Renault-CEO Luca de Meo übernommen, der das Amt für zwei Jahre ausfüllte. Eine der ersten Amtshandlungen von Källenius: Er zeichnet die angespannte Situation in der europäischen Industrie in einem Brief auf und fordert die Politik zum Handeln auf. Die Automobilindustrie sei das Herzstück der europäischen Wirtschaft.
"Als Führungskraft in der Automobilindustrie bin ich bestrebt, die Chancen des Wandels zu maximieren, einen optimistischen und zukunftsorientierten Blick zu bewahren und gleichzeitig die damit verbundenen Risiken zu minimieren," macht Källenius gleich zu Beginn klar.
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13 Millionen Arbeitsplätze am Scheideweg
"Als einer der wichtigsten und modernsten Sektoren Europas bieten wir rund 13 Millionen Europäerinnen und Europäern entlang der Wertschöpfungskette Arbeitsplätze und tragen sieben Prozent zum BIP der EU bei. Unsere Branche erwirtschaftet rund ein Drittel der privaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Europa. Darüber hinaus bringen wir weit über 390 Milliarden Euro an Staatseinnahmen ein," heißt es in dem Brief.
Da die europäische Wirtschaft und die Auto-Industrie an einem Scheideweg stünden, wäre es jetzt entscheidend, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit wieder neue Kapitel aufgeschlagen werden könnten.
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit
"Seit seiner Gründung im Jahr 1886 hat sich die Autoindustrie immer wieder neu erfunden. Sie wird alles Notwendige tun, um sich erfolgreich zu transformieren, damit sie auch in Zukunft nachhaltigen Verkehr und individuelle Mobilität gestalten, Arbeitsplätze und Wohlstand sichern und dazu beitragen kann, die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber China und den USA zu stärken.
Der Schwede macht weiter klar: "Zu Beginn meines Mandats als Präsident des Verbands der europäischen Automobilhersteller (ACEA) möchte ich Ihnen die wichtigsten Prioritäten vorstellen und aufzeigen, wo politische Unterstützung von Vorteil wäre."
Realistischer Weg zur Dekarbonisierung der Auto-Industrie
Erste Forderung im Brief von Ola Källenius: "Erstens brauchen wir in der EU einen realistischen Weg zur Dekarbonisierung der Automobilindustrie – einen, der marktorientiert und nicht strafgesteuert ist. Der European Green Deal muss einem Realitätscheck und einer Neuausrichtung unterzogen werden – um ihn weniger starr und flexibler zu machen und die Dekarbonisierung der Automobilindustrie in ein grünes und profitables Geschäftsmodell zu verwandeln."
"Die Dekarbonisierungsstrategie für den Automobilsektor muss jedoch Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit schaffen – und darf sie nicht bremsen. Schließlich sind wir die Risikokapitalgeber unserer eigenen Transformation. Um das finanzieren zu können, müssen wir wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich bleiben. Damit die emissionsfreie Mobilität gedeihen kann, muss das Ökosystem als Ganzes für die Kunden attraktiver werden."
Steuerliche und nicht-finanzielle Förderung
"Die Förderung des Kaufs und der Nutzung von Elektro- und Elektrofahrzeugen mit steuerlichen und nicht-finanziellen Anreizen würde sicherlich dazu beitragen, sich auf einen selbstfahrenden Markt zuzubewegen. Neben der Förderung stärker marktbasierter Ansätze für die Dekarbonisierung müssen wir auch den derzeitigen Rechtsrahmen überarbeiten. Dies reicht von der Förderung erneuerbarer Energien und mehr Ladeinfrastruktur bis hin zu einer effektiven CO2-Bepreisung und der Anpassung der aktuellen strafbasierten Vorschriften."
Sogar die CO₂-Flottenziele und die harte, finanzielle Hersteller-Bestrafung stellt Källenius in den Fokus. Die Automobilindustrie müsse vor allem wissen, wie sie das Risiko erheblicher Verstöße mindern könne. In einer kritischen Phase der Transformation würde das Risiko, hohe Strafen für die Nichteinhaltung von CO2-Emissionen zu zahlen, notwendige Mittel aus F&E und anderen Investitionen abziehen.
Falsche Leitlinien in Europa
Nur sehr wenige Prognosen hätten laut Källenius die aktuellen geopolitischen und makroökonomischen Realitäten vorhergesagt. Die meisten politischen Ziele und Leitlinien würden in Europa auf alten Prognosen basieren, die sich nicht bewahrheitet hätten. "Deshalb müssen diese Ziele und Leitlinien nun an die veränderte Realität angepasst werden." Dafür bräuchte es neben der notwendigen politischen Unterstützung auch mehr sektorübergreifende Zusammenarbeit.
"Wir müssen Energieversorger, Netzbetreiber, Telekommunikations- und IT-Unternehmen mit ins Boot holen, um nur einige zu nennen. Politik und Wirtschaft müssen gemeinsam vorankommen, wenn es darum geht, flächendeckende Lade- und Wasserstofftankstellen in der gesamten EU weiter auszubauen, den Fluss von bezahlbarem und reichlich vorhandenem grünem Strom durch intelligente Netze zu erhöhen und den Zugang zu einer sicheren und nachhaltigen Versorgung mit kritischen Rohstoffen zu gewährleisten."
Rechtsrahmen, der die europäische Industrie stärkt
Als wichtigen Punkt stellt Ola Källenius eine ganzheitliche Industriestrategie in den Fokus. "Der Bericht über die europäische Wettbewerbsfähigkeit von Mario Draghi, der von der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, initiiert wurde, entwirft einen klaren und umfassenden Fahrplan zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten EU. Jetzt geht es darum, dafür zu sorgen, dass die Vorschläge aus diesem Bericht in Entscheidungen und Reformen umgesetzt werden. Daher fordern wir die europäischen Staats- und Regierungschefs auf, eine Reihe koordinierter Maßnahmen zu ergreifen."
"Darüber hinaus sollte eine Industriepolitik gefördert werden, die es den europäischen Herstellern ermöglicht, auf den globalen Automobilmärkten in hohem Maße wettbewerbsfähig zu sein. Dazu gehört die Förderung von F&E und Innovation sowie deren Umsetzung in die Kommerzialisierung, während gleichzeitig Talente aus der ganzen Welt angezogen werden, um das Wachstum voranzutreiben."
EU muss vorteilhafte Handelsbeziehungen schaffen
Die politischen und handelspolitischen Unterschiede zwischen der EU, den USA und China drohen sich lauf Källenius noch weiter zu vertiefen. Die EU müsse zusammen mit der Industrie darüber nachdenken, wie zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb navigiert werde. "Wir Europäer haben in den letzten Jahrzehnten erheblich von der Öffnung der Märkte und der weltweiten Ausweitung des Freihandels profitiert. Und so haben wir natürlich auch viel zu verlieren, wenn diese Entwicklung umgekehrt wird."
Fast zuletzt spricht Ola Källenius auch die Strafzoll-Situation mit China an. "Beide Regionen, die EU und China, wollen Arbeitsplätze auf ihren Heimatmärkten sichern und gleichzeitig die Vorteile des freien internationalen Handels nutzen. Insoweit haben beide Seiten ein Interesse an einer Einigung. Deshalb würdigen wir die Bemühungen sowohl der EU als auch der chinesischen Politiker, eine für beide Seiten akzeptable Lösung im Fall der EU-Antisubventionen zu finden. Diese Verhandlungen müssen so bald wie möglich zu einem positiven Abschluss kommen."
Handel mit China und USA am wichtigsten
Zum Schluss fasst der Mercedes-CEO noch zusammen: "Insgesamt ist es wichtig anzuerkennen, dass der Handel mit China und den USA für den Wohlstand der europäischen Wirtschaft am wichtigsten ist." Europa stünde genau jetzt an einem Scheideweg. Das könne beunruhigend sein. Und es könne Unsicherheit schaffen. "Aber ich bin fest davon überzeugt, dass uns diese Transformation neue und aufregende Möglichkeiten bietet, zu wachsen und noch stärker zu werden, wenn wir den richtigen Weg einschlagen, der regulatorische Leitlinien und ein marktorientiertes Geschäftsumfeld in Einklang bringt."
Nach all den konstruktiven Vorschlägen wird Källenius auf den letzten Zeilen dann doch noch persönlich: "Ich bin in Schweden geboren und aufgewachsen, lebe seit mehr als 30 Jahren in Deutschland, den USA und Großbritannien, habe die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und bin im Herzen Europäer. Deshalb ist es mir wichtig, dass wir sowohl die Automobilindustrie als auch Europa gemeinsam voranbringen." © auto motor und sport
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