Ist es die Nostalgie? Die Verbindung zwischen realer und virtueller Welt? Oder der alte Jagdinstinkt des Menschen? Das Smartphone-Spiel "Pokémon Go" zieht Millionen Nutzer in seinen Bann. Warum der Hype?

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Warum jagen Millionen Menschen auf der Straße virtuelle Monster? Innerhalb weniger Tage versetzten "Pokémon"-Figuren die Welt in Aufruhr. Mit "Pokémon Go" hat der zuletzt schwächelnde Spiele-Anbieter Nintendo den Schritt auf den Smartphone-Markt gewagt und einen furiosen Erfolg verbucht. Auch Deutschland wird inzwischen vom Pokémon-Hype überrollt. Wie konnte es dazu kommen?

"Die Gründe sind vielfältig", sagt Medienpädagoge André Weßel vom "Institut Spielraum" der Technischen Hochschule Köln. Da ist zum einen die Verquickung eines alten Spielkonzepts mit einer neuen Technik, der Augmented Reality. "Es liegt voll im Trend, die wirkliche Welt mit digital generierten Zusatzobjekten zu bereichern und die Grenzen zischen der realen, physisch erfahrbaren Welt und der virtuellen Welt zu verwischen."

Ein neuer Blick auf die eigene Umwelt

Zum anderen werde der Entdeckungsdrang bedient. "Man hat die eigene Stadt oder das Umfeld als Spielwelt und bekommt einen ganz neuen Blick darauf." Und: "Es widerspricht dem klischeebehafteten Bild des zockenden Couchpotato".

Es ist schon erstaunlich: Verließ ein typischer Nerd eher tagelang nicht das Haus, um in abgedunkelten Räumen Computerspiele zu zocken, gehen die "Pokémon-Go"-Nutzer auf der Straße, in öffentlichen Gebäuden, in Wäldern oder an Flüssen auf Monsterjagd. "Gerade dieses Rausgehen ist was Neues", sagt der Direktor des Berliner Computerspielemuseums, Andreas Lange. "Das hängt natürlich mit der Verbreitung von Smartphones zusammen, die inzwischen jeder in der Tasche stecken hat." Hinzu komme der Aspekt des Jagens und Sammelns.

Was hat es mit den "Pokémon" nochmal auf sich? Die kleinen Monster, die 1996 erstmals in einem Spiel in Japan auftauchten, sind darauf versessen, gegeneinander zu kämpfen. Der Spieler - der "Pokémon"-Jäger - fängt sie mit Hilfe weiß-roter Bälle ein. Insgesamt gibt es mehr als 700 Figuren. Neben den Videospielen blüht das Geschäft mit Fanartikeln, von Sammelkarten über Plüschfiguren bis zu Brotdosen.

Das neue "Pokémon Go" ist seit dem 6. Juli in den USA erhältlich, in Deutschland kann die App seit Mittwoch runtergeladen werden. Der Clou ist die Standort-Erkennung (GPS) auf dem Smartphone. Die Monster verstecken sich an verschiedenen Orten - der Spieler sieht sie, wenn er in der Nähe ist. Dann werden die Figuren auf dem Display des Telefons in die echte Umgebung eingeblendet ("Augmented Reality"). Mitunter sammeln sich schon große Menschenmengen an Orten mit populären "Pokémon" an.

Datenschützer und ADAC warnen

Der Hype ist enorm, es wurde aber auch Kritik laut. Datenschützer warnen, dass Bewegungsprofile aufgezeichnet werden könnten. Es gab Berichte über "Pokémon"-Spieler an sensiblen Orten, wie der KZ-Gedenkstätte Auschwitz. Erste Verkehrsunfälle wurden gemeldet und auch der ADAC warnt vor abgelenkten und achtlosen Menschen, die auf Monstersuche sind.

Aaron Schellhaas und Sarah Weichenhein sind vor dem Berliner Dom auf Jagd. Für die Mittzwanziger werden alte Erinnerungen wach. "Ich habe das schon als Kind gespielt und freue mich total, dass es wieder da und so real ist", sagt Weichenhein. Die beiden haben schon mehr als zehn Kilometer zurückgelegt und sind dabei auch auf andere Jäger gestoßen. "Ich finde es cool, dass man tatsächlich rumlaufen muss", sagt Schellhaas. Am Anfang hätten sie sich noch komisch gefühlt, aber dann seien sie auf immer mehr Gleichgesinnte gestoßen.

Auch Spieler Bruno Heine, der in der Nähe des Brandenburger Tors unterwegs ist, sagt: "Es ist etwas völlig Neues, aber ich finde das ziemlich gut. Man ist an der frischen Luft und tritt mit anderen Leuten in Kontakt."

Die "Pokémon"-Figuren sind ein Dauerbrenner im Spielegeschäft und mit immer neuen Games auch ein Zugpferd für Nintendos Konsolen. Laut Weßel spielt der Nostalgie-Aspekt eine wichtige Rolle: "Dadurch, dass das Spiel schon zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hat, machen auch viele Erwachsenen mit", betont Weßel.

"Gerade die, die jetzt Mitte, Ende 30 sind, haben das viel in ihrer Jugend gespielt und schwelgen nostalgisch in alten Zeiten", sagt der Medienpädagoge. "Pokémon Go passt in das Revival der 90er-Jahre, das wir gerade erleben. Was bei Mode und Musik geht, funktioniert auch bei digitalen Spielen." Für Weßel ist klar: Auch wenn sich "Pokémon Go" optisch und durch die einfache Spielweise eher an Kinder und Jugendliche richte, ist es ein "Multigenerationen-Phänomen".   © dpa

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