• Carsten Maschmeyer hat kürzlich seine überwundene Tablettensucht öffentlich gemacht hat - und damit ein wichtiges Thema in den Fokus gerückt.
  • Welche Medikamente schnell abhängig machen und wie man erkennt, ob man selbst betroffen ist.

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In einem überraschend persönlichen Post machte Investor Carsten Maschmeyer seine frühere Tablettensucht bei Instagram öffentlich. In Maschmeyers Fall hatte ein Burnout zu Schlafstörungen geführt. Gegen die quälende Schlaflosigkeit nahm er verschreibungspflichtige Schlaftabletten ein, die ihm sein Hausarzt verordnet hatte.

Beruhigungsmittel machen schnell abhängig

Körper und Geist gewöhnen sich bereits nach kurzer Zeit an beruhigende Substanzen wie die häufig verordneten Benzodiazepine oder Z-Medikamente. So erging es auch Carsten Maschmeyer. "Das ist die Krux bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln", sagt Marc Pestotnik von der Fachstelle für Suchtprävention in Berlin.

"Länger als vier Wochen sollten sie eigentlich nicht verschrieben werden, da sie ein sehr hohes Suchtpotential haben. Hat der Körper sich schon an die Dosierung gewöhnt, können bereits leichte Entzugserscheinungen auftreten. Diese führen nicht gleich zur Dosissteigerung, verursachen aber ein unwohles Gefühl und erwecken den Eindruck, die Ausgangsbeschwerden seien noch da." Diese Niedrigdosisabhängigkeit als Sucht zu erkennen, ist für Betroffene besonders schwer, da sie die Tabletten wie verordnet einnehmen.

Medikamentensucht in Deutschland

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) schätzt, dass rund 1,5 bis 1,9 Mio. Menschen in Deutschland abhängig von Medikamenten sind - insbesondere von Beruhigungs- und Schlafmitteln. In Deutschland gibt es schätzungsweise bis zu 1,9 Millionen Menschen, die abhängig Medikamente konsumieren. Besonders häufig betroffen sind ältere Frauen. Auch Opiat- oder Opioid-Schmerzmittel haben ein hohes Suchtpotential und werden missbräuchlich oder in Abhängigkeit eingenommen.

"Das sind mehr Medikamenten- als Alkoholabhängige. Diese Zahl steht allerdings in starker Diskrepanz zu den Zahlen aus den Suchtberatungsstellen. Nur etwa ein Prozent derjenigen, die eine Suchtberatung aufsuchen, geht auf eine Medikamentenabhängigkeit zurück. Das heißt, sie erreichen die Betroffenen nicht. Die Menschen müssen ermutigt werden, dieses Angebot anzunehmen. Und sie müssen erst einmal die Einsicht haben, dass sie eine Abhängigkeit haben. Aufgrund der Niedrigdosisabhängigkeit wissen viele aber gar nicht, dass sie vielleicht schon abhängig sind“, sagt Marc Pestotnik.

Können Schmerzmittel süchtig machen?

Mediziner und Suchtexperten warnen davor, dass auch rezeptfrei in Apotheken erhältliche Medikamente wie Schmerzmittel bei häufiger und längerer Einnahme süchtig machen können. Tritt nach regelmäßigem und übermäßigem Gebrauch ein Gewöhnungseffekt ein, können Beschwerden wie der medikamenteninduzierte Kopfschmerz und andere Nebenwirkungen auftreten.

Marc Pestotnik sagt: "Ein gewisses Missbrauchs- bzw. Suchtpotential haben zum Beispiel Schmerzmittel-Kombi-Präparate mit Koffein, da sie einen bestimmten weckenden Effekt haben und leistungsfördernd wirken. Das kann sich der Körper merken.“

Repräsentative Untersuchungen zeigen, dass auch viele Kinder regelmäßig Schmerzmittel einnehmen. Pestotnik fordert, die Menschen mehr für einen verantwortungsvollen Umgang mit Medikamenten zu sensibilisieren.

Benzodiazepine und Z-Substanzen – schnelle Entspannung, hohes Suchtpotential

Bei Angsterkrankungen, Spannungszuständen und Schlafstörungen werden oft Benzodiazepine (kurz Benzos) oder Z-Substanzen verschrieben. Diese verstärken im zentralen Nervensystem die Wirkung des Botenstoffs GABA und beruhigen die Nervenzellen. Kurz nach der Einnahme setzt die entspannende Wirkung ein.

Nicht nur der Körper kann sich schnell an die Substanzen gewöhnen, auch psychisch entsteht schnell eine Abhängigkeit. Immerhin ist es äußerst verlockend, belastende Situationen durch die Einnahme einer kleinen Pille schnell zu entschärfen. Zudem lässt sich eine Medikamentensucht gut verschleiern und ist gesellschaftlich weitaus akzeptierter als etwa Alkohol- oder Drogensucht. Doch wie erkennt man eigentlich eine beginnende Medikamentenabhängigkeit?

Anzeichen für eine Medikamentensucht

"Verschiedene Medikamente können unterschiedlich abhängig machen. So kann sich auch eine Sucht unterschiedlich äußern", sagt Suchtexperte Pestotnik. Hinweise auf eine Medikamentenabhängigkeit können sein:

  • häufig an das Mittel zu denken
  • die Dosis eigenständig zu steigern
  • ein Verlangen nach dem Medikament zu verspüren
  • nach längerer Einnahme keine richtige Wirkung mehr wahrzunehmen
  • Sorge, ob Arzt oder Ärztin das Medikament weiter verschreibt
  • aus Scham oder Angst Ärzte- oder Apotheken-Hopping zu betreiben
  • Medikamente zu verstecken oder die Einnahme zu verheimlichen
  • Medikamentenlager einzurichten
  • die Substanz immer griffbereit zu haben

Ob die Abhängigkeit körperlich oder psychisch ist, hängt auch vom jeweiligen Medikament ab. "Die von Carsten Maschmeyer eingenommenen Medikamente aus der Gruppe der Z-Substanzen sind den Benzodiazepinen sehr nahe", sagt der Referent für Suchtprävention. "Gerade wenn sie in höheren Dosen konsumiert wurden, können diese Medikamente körperliche Entzugserscheinungen verursachen."

Süchtig nach Benzos?

Wer Benzodiazepine einnimmt und den persönlichen Umgang mit dem Beruhigungsmittel besser einschätzen möchte, kann sich mit dem "Lippstädter Benzo-Check" einen ersten Überblick verschaffen. Entwickelt wurde der Test von Dr. Rüdiger Holzbach, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Hochsauerland. Der Test ersetzt keine Beratung durch einen Arzt oder Suchtexperten.

Beruhigungsmittel ausschleichen

Werden Z-Substanzen oder Benzodiazepine über einen längeren Zeitraum oder in höheren Dosen eingenommen, dürfen diese niemals abrupt abgesetzt werden. Marc Pestotnik warnt: "Diese Mittel müssen ausgeschlichen werden. Ansonsten können schwerwiegende körperliche Folgen wie Krampfanfälle auftreten. Diese können auch lebensbedrohlich sein." Das Ausschleichen, also das schrittweise Reduzieren eines Medikaments, sollte unbedingt unter medizinischer Aufsicht erfolgen. Dies kann ambulant oder stationär geschehen.

Grundsätzlich orientieren kann man sich an der 4-K Regel:

  • Konkrete Diagnose
  • Kleinste mögliche Dosis
  • Kein abruptes Absetzen
  • Kurze Behandlungsdauer

Und wie sieht es mit dem Absetzen aus, wenn Beruhigungsmittel nur über einen kurzen Zeitraum eingenommen werden? "Diese Substanzen haben einen berechtigten Nutzen. Gerade bei Angsterkrankungen, Panikattacken oder Schlafstörungen können sie für eine gewisse Zeit wunderbar wirken. Ob die Dosis auch nach kurzer Einnahme und moderater Dosis erst einmal beispielsweise halbiert wird, muss dann der Arzt oder die Ärztin individuell entscheiden. Wichtig ist im Blick zu behalten, dass auch ein kurzer Konsum den Wunsch nach Wiederkonsum befördern kann", so Pestotnik.

Nebenwirkungen und Folgeschäden

Der Langzeitkonsum von Medikamenten wie Z-Medikamente oder Benzodiazepinen kann Folgeschäden verursachen. Die lange Halbwertszeit der Präparate kann etwa zu Tagesmüdigkeit, Verwirrtheit oder Gangunsicherheit und Stürzen führen. In seltenen Fällen kann ein Beruhigungsmittel eine paradoxe Wirkung wie Angstzustände, innere Unruhe oder Schlafstörungen entfalten.

Hilfe bei Medikamentenabhängigkeit

Bei Carsten Maschmeyer trat eine Depression als Nebenwirkung der von ihm eingenommenen Schlaftabletten auf. Er entschied sich für einen professionell begleiteten Entzug und eine Psychotherapie, um den Teufelskreis aus Erschöpfung, Schlaflosigkeit und Medikamentensucht zu durchbrechen.

Doch an wen wende ich mich, wenn ich befürchte, nicht mehr ohne die Medikamente auszukommen? "Erster Ansprechpartner sollte der verschreibende Arzt sein", sagt Marc Pestotnik. Auch der Hausarzt oder die Hausärztin sollten informiert werden, wenn Beruhigungsmittel eingenommen werden, da verschiedene Medikamente Wechselwirkungen haben können.

Experten fordern mehr Prävention und Hilfe

Kerstin Jüngling ist Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin. Sie fordert einen leichten Zugang zu Vorsorge, Frühintervention und Hilfe, insbesondere für vulnerable Gruppen: "Unsere Gesellschaft übt Druck auf die Menschen aus, funktionieren oder sich schnell erholen zu müssen - zum Beispiel auf das alleinerziehende, arbeitende Elternteil oder traumatisierte Menschen, an die Integrationsanforderungen gestellt werden. Hinzu kommen soziale Isolation und Vereinsamung von Teilen der älteren Generation. Wir müssen wieder lernen, Verantwortung füreinander zu übernehmen, aufeinander zu achten und uns Bedingungen zu schaffen, die ein unabhängiges Leben in Teilhabe sozialen Miteinanders ermöglichen.“

Um auf den riskanten Umgang mit Medikamenten und die bestehenden Probleme aufmerksam zu machen, veranstaltet die "Berliner Initiative gegen Medikamentenmissbrauch" am 17. September den Online-Fachtag "Für Alle(s) was dabei?! Riskanter Medikamentengebrauch im Alltag.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Marc Pestotnik, Referent für Suchtprävention bei der Fachstelle für Suchtprävention Berlin
  • ESA: Epidemiologische Suchtsurvey: https://www.esa-survey.de/studie/uebersicht.html
  • Flexikon: Benzodiazepin
  • Flexikon: Z-Drug
  • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen: Die Sucht und ihre Stoffe

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Carsten Maschmeyer geht mit Pharmaindustrie hart ins Gericht. Zuvor hatte er seine einstige Tablettensucht öffentlich gemacht.
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