• Für die Politik ist eine COVID-Impfpflicht derzeit tabu und auch der Deutsche Ethikrat legt sich (noch) nicht fest.
  • Es wird noch lange dauern, bis alle sich impfen lassen können, die das möchten; ist die Impfquote aber am Ende schlechter als erhofft, wird sich die Frage nach der Impfpflicht womöglich stellen.
Eine Analyse

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Mehr aktuelle News

Menschen, die heute um die 50 und älter sind, erinnern sich noch an sie: die Pocken-Impfpflicht. Sie war bis vor Kurzem die einzige Impfpflicht, die die Bundesrepublik je hatte. In diesem Jahr gibt es wieder eine: die Masern-Impfpflicht unter anderem für Kinder, Lehrer und Erzieher in Kitas und Schulen.

Beim Coronavirus soll es hingegen trotz der nie gekannten Auswirkungen und Einschränkungen durch die Pandemie keine Impfpflicht geben. Das hat die Bundesregierung inzwischen mehrfach bekräftigt.

Das Thema ist für die Politik schwierig, weil es hierzulande einige Menschen gibt, die Impfungen generell skeptisch gegenüber stehen. Es ist aber auch schwierig, weil körperliche Unversehrtheit ein Grundrecht ist (Grundgesetz, Artikel 2, Absatz 2). Dazu gehört auch, sich gegen das Verabreichen von abgeschwächten, abgetöteten oder Teilen von Viren entscheiden zu können.

Laut Infektionsschutzgesetz ist eine Impfpflicht möglich

Allerdings steht in Absatz 2 auch: In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. "Nur" - aber es darf. Die Möglichkeit einer Impfpflicht steht folglich auch im Infektionsschutzgesetz (IfSG). In § 20, Absatz 6, heißt es, das Gesundheitsministerium könne durch "Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates" solche Schutzimpfungen für "bedrohte Teile der Bevölkerung" anordnen, wenn eine "übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist". Der Zusatz "bedrohte Teile der Bevölkerung" ist wichtig. Denn damit wird eine generelle Impfpflicht schwerer durchsetzbar.

Das sah auch der Deutsche Ethikrat bei seiner Einschätzung zur Masern-Impfpflicht so: In diesem Paragrafen gebe es keine Grundlage, um einen "allgemeinen Impfzwang" zu etablieren. Der Ethikrat sah im Fall der Masern aber sehr wohl eine moralische Verpflichtung, sich impfen zu lassen, weil dies zur Ausrottung dieser ansteckenden und mitunter tödlich verlaufenden Krankheit beitrage.

Vorbild Masern-Impfpflicht?

Die Bundesregierung selbst nennt die Regelung bei den Masern eine "Impfpflicht". Allerdings, sagt der Jurist und Rechtsphilosoph Horst Dreier, handele es sich streng genommen eben nicht um eine Impfpflicht, sondern um eine Zugangsvoraussetzung. Kitas können Kinder ablehnen, die keine Masernimpfung haben. Für schulpflichtige Kinder gilt das aber zum Beispiel ausdrücklich nicht.

Auch Erziehern, Lehrern, Krankenhauspersonal, Pflegern und Menschen in ähnlichen betreuenden Berufen kann das Gesundheitsamt den Zugang zur Arbeit verwehren, sollten sie nicht gegen Masern geimpft sein. Kritiker solcher Bestimmungen sprechen deswegen manchmal von einer "Impfpflicht durch die Hintertür".

Doch wie wird ein Verstoß gegen die Impfpflicht eigentlich sanktioniert? Denn klar ist: Dass jemand körperlich zu einer Impfung gezwungen wird, ist ausgeschlossen.

Bei der Masern-Impfpflicht lauten die Sanktionen: Geldstrafen und Tätigkeitsverbote, wobei ein Buß- oder Zwangsgeld normalerweise nur je einmal verhängt werden darf. Ob ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen werden darf, hängt vom Arbeitsverhältnis ab.

Allerdings müsste es dafür, wie bei den Masern, eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes geben. Das Arbeitsrecht allein sehe so etwas wie eine Impfpflicht nicht vor, betont der Jurist Volker Lipp, der stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates ist. "Der Betreiber eines Pflegeheims kann nicht sagen: All meine Pflegekräfte müssen sich impfen lassen und wenn sie das nicht tun, ist das eine Verletzung des Arbeitsvertrages und sie können entlassen werden", sagt Lipp im Gespräch mit unserer Redaktion.

Schutz vor Corona: So funktioniert der mRNA-Impfstoff

mRNA-Impfstoffe sind die große Hoffnung im Kampf gegen das Coronavirus. Wie aber funktionieren diese Mittel überhaupt? (Foto: iStock-kovop58)

Solange es nicht genug Impfstoff gibt, ist die Frage nicht akut

Um überhaupt über eine Impfpflicht nachdenken zu können, müssten erst einmal zwei Voraussetzungen erfüllt sein, die für Corona noch nicht erfüllt sind: genug Impfstoff und der Nachweis, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend sind.

Doch selbst, wenn beides gelöst ist, hat die COVID-Schutzimpfung eine weitere Komplikation. Denn möglicherweise wird es nicht bei einer oder zwei Impfungen bleiben, die dann lebenslangen Schutz gewähren. Vielleicht müssen sie jedes Jahr erneuert werden, weil die Schutzwirkung nachlässt. Das würde Sanktionierungen schwieriger machen. "Gegebenenfalls müssten Menschen dann bei jedem Impfgang erneut mit einer Strafe oder Ordnungswidrigkeit belegt werden", sagt Dreier, der von 2001 bis 2007 im Nationalen Ethikrat, dem Vorläufer des Deutschen Ethikrats, war.

Die Frage ist natürlich auch, ob man dann nicht nur mit Geldstrafen sanktioniert, sondern auch, indem man Nicht-Geimpften den Zugang zu bestimmten Dingen verwehrt - ein Thema, das bei der Diskussion um die sogenannten Impfprivilegien schon kürzlich eine Rolle spielte. Der Deutsche Ethikrat vertritt da die Auffassung, dass die grundlegenden Eingriffe in die Freiheitsrechte, also etwa die Kontaktbeschränkungen und Reisefreiheit für alle zur gleichen Zeit aufgehoben werden müssen und es keine Unterschiede geben darf.

Privatunternehmen können Unterschiede zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften machen

Anders sieht das in der Privatwirtschaft aus: Aufgrund der Vertragsfreiheit können Firmen nämlich selbst bestimmen, mit wem sie Verträge schließen – und folglich können sie auch Menschen ausschließen. Zum Beispiel Menschen, die nicht geimpft sind. "Vorstellbar wäre etwa, dass in einer Zeit nach dem Ende der staatlichen Beschränkungen, ein Club-Besitzer sagt: Ich lasse aber jetzt nur Menschen rein, die eine Impfung nachweisen können", sagt Volker Lipp.

Das mag für Clubs gelten, für andere Bereiche gilt das aber nicht. Denn manche von ihnen sind so grundlegend und wichtig für Menschen und ihre Teilhabe an der Gesellschaft und am Leben, dass man niemanden davon ausschließen darf, etwa: Bahn fahren und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Beim Beispiel Supermärkte ist es aber schon weniger eindeutig. "Supermarktbetreiber könnten Menschen ausschließen. Aber auch nur, wenn sie ersatzweise Bringdienste oder einen Abholservice bieten – oder wenn es einen weiteren Supermarkt in der Nähe gibt, den die betreffende Person aufsuchen kann", sagt Lipp.

Es ist kompliziert mit der Impfpflicht. Horst Dreier sagt, sie wäre aus seiner Sicht ethisch und rechtlich zu rechtfertigen, wenn sie dazu führe, dass die Coronakrise bewältigt werden kann. Allerdings bezweifelt auch er, dass sie kommt, weil sie politisch nicht erwünscht sei.

Volker Lipp sagt zusammenfassend: "Derzeit liegen die Voraussetzungen für eine Impfpflicht beim Coronavirus einfach nicht vor."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Professor Horst Dreier, ehemals Mitglied des Nationalen Ethikrates, und
  • Gespräch mit Professor Volker Lipp, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates
  • Infektionsschutzgesetz (IfSG)
  • Website der Bundesregierung und des Bundesgesundheitsministeriums
  • Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Masern-Impfpflicht (PDF) vom 27. Juni 2019
  • Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrats zu sogenannten Impf-Privilegien
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.