• Bis zu 175 Euro bekommen Ärzte für ihren Einsatz in einem Impfzentrum pro Stunde. Die Dienste sind deshalb sehr attraktiv.
  • Die Bezahlung ist aus Sicht von Kritikern viel zu hoch.
  • Die zuständigen Ministerien und Kassenärztlichen Vereinigungen verteidigen die Entscheidung.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

120 Euro pro Stunde als Honorar für einen Einsatz in einem Impfzentrum. Dieser Betrag ist offenbar so lukrativ, dass Ärzte in Berlin ein übergroßes Maß an Engagement an den Tag legten, um an möglichst viele dieser Dienste zu gelangen. Laut dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" soll sogar eine Software verdeckt im Einsatz gewesen sein, um eingeweihte Ärzte möglichst schnell über freie Termine zu informieren.

Eine Berliner Hausärztin, die nicht mit Namen in diesem Artikel erscheinen möchte, berichtet gegenüber unserer Redaktion, dass sie zu den Vergabezeiten oft stundenlang vor dem Computer sitzen musste, um einen Termin für einen Einsatz in einem Impfzentrum zu bekommen. Dort arbeitete sie gemeinsam mit einer Krankenschwester aus ihrer Praxis, für die die Ärztin neben ihren 120 Euro noch einmal 60 Euro zusätzlich überwiesen bekam - obwohl nicht einmal kontrolliert worden sei, ob es sich um eine ausgebildete Krankenschwester handelt, sagt die Medizinerin.

Die Berliner Hausärztin findet die Honorare persönlich zu hoch - vor allem, weil sie die Dienste in ihrer Freizeit übernommen habe und ansonsten weiter in ihrer Praxis tätig war. "Ich habe aus Interesse mitgemacht, nicht wegen des Geldes", sagt sie. Die gesamten Einnahmen habe sie mit ihrer Krankenschwester geteilt. "Die Schwestern vergeben ja die Spritzen, wir als Ärzte übernehmen die Beratung."

Die Ärztin ist mittlerweile nicht mehr im Impfzentrum tätig. Der zeitliche Aufwand - insbesondere bei der Vergabe der Impftermine - sei ihr zu hoch gewesen. Sie impft aber weiter in ihrer Praxis - für 20 Euro pro Impfung inklusive Beratung.

Sachsen und Thüringen sind Spitzenreiter

Während die 20 Euro pro Impfung in einer Praxis (bei intensiver Beratung kann etwas mehr abgerechnet werden) bundesweit gleich sind, gibt es keine einheitlichen Richtlinien für die Honorierung des Personals in Impfzentren. Die Bezahlung der Impfärzte handeln die Bundesländer mit den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) vor Ort aus.

Und dabei liegt der Berliner Stundensatz von 120 Euro eher im Mittelfeld. In Sachsen und Thüringen wurden und werden mit 175 Euro weitaus üppigere Honorare ausgezahlt, wenn ein niedergelassener Arzt in einem Impfzentrum tätig ist.

Zu den vergleichsweise hohen Beträgen in Sachsen, die bis vor einigen Wochen im Freistaat ausgezahlt wurden, erklärt eine Sprecherin des dortigen Sozialministeriums auf Anfrage: "Es musste zu Beginn der Umsetzung der Impfstrategie ein Anreiz gesetzt werden, um sowohl in den mobilen Teams, die in den Pflegeheimen impfen, als auch in den Impfzentren die erwarteten Impfstoffmengen verimpfen zu können."

Für den Gesundheitsökonomen Joachim Kugler ist dieser Stundensatz viel zu hoch angesetzt. Wer ein Wochenende in einem Impfzentrum im Einsatz ist, könne ein "Traumgehalt" von 2.000 Euro beziehen - bezahlt aus Steuergeldern, so der Wissenschaftler gegenüber unserer Redaktion. Selbst medizinische Gutachter vor Gericht bekommen laut Kugler im Durchschnitt nur 80 Euro und maximal 125 Euro, wenn es sich um einen Professoren handelt.

Mediziner verteidigt Honorare

Der Unfallchirurg Ulrich Glatzel hingegen findet die Kritik an den Ärzten überzogen - in seinem Bundesland Rheinland-Pfalz werden 150 Euro pro Stunde für einen Einsatz im Impfzentrum gezahlt. Er argumentiert im Gespräch mit unserer Redaktion, der Stundensatz sei durchaus berechtigt, um die laufenden Praxiskosten zu decken. Hier rechnet Glatzel eher mit einem Betrag von 185 Euro pro Stunde und bezieht sich auf eine repräsentative Befragung von 7.000 niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten.

Joachim Kugler weist allerdings daraufhin hin, dass ein Großteil des Personals in den Impfzentren Praxisärzte in der Freizeit, Ärzte in Weiterbildung, in Ruhestand und in Kurzarbeit seien, die mit ihrem Gehalt eben keine Praxiskosten decken müssten. Das Ziel, dass gerade Praxisärzte mit vollen Wartezimmern in die Impfzentren gelockt werden müssten, findet er ohnehin den falschen Ansatz. Es habe genug Einrichtungen wie beispielsweise Rehakliniken gegeben, in denen die Ärzte in Kurzarbeit waren. Außerdem gebe es auch Ärzte und Pflegekräfte, die für weniger Geld gearbeitet hätten und ihren Einsatz als Dienst an der Bevölkerung sehen.

Mittlerweile weniger Honorar in Sachsen

In Sachsen wurde der Höchstsatz für einen Dienst im Impfzentrum ab April dieses Jahres von 175 auf 150 Euro gesenkt. "Nachdem die Impfzentren in Gang gekommen waren, wurde die Vergütung auf das Notwendige verringert, um den weiteren Betrieb in der erforderlichen Intensität sicherzustellen", begründet die Sprecherin des Sozialministeriums in Dresden.

Die maximalen 150 Euro pro Stunde bekommen nur Vertragsärzte mit eigener Praxis. Nach Angaben der KV Sachsen erhalten vertragsärztlich angestellte Mediziner 130 Euro pro Stunde; 100 Euro pro Stunde gibt es für nicht vertragsärztlich tätige Ärzte. "Bei den zum Beispiel in einer Klinik angestellten Ärzten wurde davon ausgegangen, dass diese die Arbeit in den Impfzentren überwiegend in ihrer Freizeit und damit teilweise zusätzlich zu ihrem Gehalt verrichten", heißt es zur Begründung.

Lesen Sie auch: Digitaler Impfnachweis: So finden Sie eine Apotheke in Ihrer Nähe

Thüringen verteidigt hohe Honorare

Der Freistaat Thüringen hat den Stundensatz für Impfärzte dagegen bei 175 Euro belassen und liegt damit deutschlandweit mittlerweile allein an der Spitze. Laut der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung sind Mediziner in Praxen, Krankenhäusern und Gesundheitsämtern mehr denn je durch die Erkennung und Behandlung Infizierter über das normale Maß hinaus belastet.

"Die Frage, wie man Ärzte unter diesen Bedingungen dafür gewinnen kann, im Rahmen des staatlichen Impfprogramms zusätzlich freiwillig Zeit aufzubringen und Verantwortung zu übernehmen, war für die Honorarfindung entscheidend", sagt KV-Pressesprecher Matthias Streit auf Anfrage und ergänzt: Die Leistung der Ärzte umfasse nicht nur die mündliche Aufklärung und die Prüfung der Dokumente - "der Arzt trägt die volle Verantwortung für die gesamte sachgerecht durchgeführte Impfung".

Ihm zufolge sind in den Impfstellen Thüringens vor allem niedergelassene Ärzte tätig, die oft mit ihrem Praxisteam gemeinsam diese Tätigkeit durchführen. Er ergänzt: "Diese Teams fehlen während der Impfschichten in ihren Praxen. Das Impfhonorar stellt in diesem Sinne auch eine Praxisausfallentschädigung dar, denn die Praxiskosten laufen weiter."

Über die Experten:
Professor Joachim Kugler ist Gesundheitsökonom und Bereichsleiter für den Forschungsbereich Gesundheitswissenschaften/Public Health an der TU Dresden.
Dr. Ulrich Glatzel ist Unfallchirurg und Orthopäde aus Germersheim in Rheinland-Pfalz.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit einer Hausärztin mit Praxis aus Berlin Tempelhof, die nicht namentlich genannt werden möchte
  • Schriftliches Statement der Pressestelle des Sozialministeriums Sachsen
  • Schriftliches Statement der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen
  • Schriftliches Statement der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen
  • Spiegel.de: Mit diesen Tricks sichern sich Berliner Ärzte lukrative Dienste.
  • Studie/Umfrage über Kostenstrukturen in Praxen niedergelassener Ärzte
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "Einblick" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.