- Virologe Christian Drosten warnt in einem Interview mit dem "Spiegel" vor einem düsteren Szenario.
- Sollten die Corona-Maßnahmen zu früh gelockert werden, rechnet er mit bis zu 100.000 Neu-Infektionen mit SARS-CoV-2 pro Trag.
- Gleichzeitig sieht Drosten aber auch eine Chance, durch entschlossenes Handeln der Bedrohung durch die ansteckendere Virus-Variante B.1.1.7 Herr zu werden.
Nach jüngsten Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind in Deutschland inzwischen mehr als 50.000 Menschen im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion gestorben. Die Gesamtzahl der Infizierten liegt bei 2,1 Millionen.
Davor, dass dies noch lange nicht das Ende der Fahnenstange ist, warnt
Es gebe "eine neue Studie aus Oxford, wirklich solide Daten, die zeigen, dass diese Mutante bis zu 35 Prozent infektiöser ist als der Wildtyp des Virus. Es ist schon erstaunlich, dass das Virus derart an Ansteckungsfähigkeit zugelegt hat. Das ist leider gefährlicher, als wenn es tödlicher geworden wäre; denn jeder neue Infizierte wird dadurch mehr Menschen anstecken und jeder dieser Menschen wiederum mehr Menschen, sodass die Zahl der Infizierten exponentiell wächst", erklärt Drosten.
Christian Drosten: Müssen auf die Null zumindest zielen
Angesichts dessen müssten die Fallzahlen nun möglichst weit nach unten gedrückt werden, sagte Drosten. "Es wäre absolut erstrebenswert, jetzt auf die Null zumindest zu zielen." Es bestehe momentan noch "die einmalige Gelegenheit", die Verbreitung dieser Variante in Deutschland zu verhindern oder zumindest stark zu verlangsamen.
Wichtig sei im Kampf gegen die Corona-Pandemie die Senkung der Reproduktionszahl. "Derzeit liegt dieser Wert bei 0,9. Es ist gut, dass wir es jetzt endlich unter 1 geschafft haben, sodass die Fallzahlen zu sinken beginnen. Aber 0,9 reicht nicht, wenn wir die Bremse schnell wieder lockern wollen. Bei 0,9 dauert es ungefähr einen Monat, bis sich die Infektionszahlen halbieren. Das ist zu lang", sagte Drosten im "Spiegel" (Artikel liegt hinter Paywall).
"Wir sollten versuchen, durch die Verschärfung des Shutdowns auf einen Wert von 0,7 zu kommen. Dann halbieren sich die Fallzahlen in nur einer Woche und man kann es schaffen, sie so stark zu senken, dass wir die Ausbreitung von B.1.1.7 stoppen oder uns zumindest einen Vorsprung verschaffen können."
Drosten: "Im schlimmsten Fall 100.000 Neu-Infektionen pro Tag"
Sollten die Fallzahlen jetzt nicht tief genug gesenkt werden, könne dies im Frühjahr und Sommer negative Folgen nach sich ziehen.
"Wenn die alten Menschen und vielleicht auch ein Teil von Risikogruppen geimpft sein werden, wird ein riesiger wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und vielleicht auch rechtlicher Druck entstehen, die Corona-Maßnahmen zu beenden", sagte Drosten.
Dann würden sich innerhalb kurzer Zeit sehr viele Menschen mit SARS-CoV-2 infizieren. "Dann haben wir Fallzahlen nicht mehr von 20.000 oder 30.000, sondern im schlimmsten Fall von 100.000 pro Tag", warnte Drosten.
Betroffen seien dann zwar eher jüngere Menschen, die seltener schwere Verläufe haben als ältere. "Aber wenn sich ganz viele junge Menschen infizieren, dann sind die Intensivstationen trotzdem wieder voll", sagte Drosten. "Und es gibt trotzdem viele Tote. Nur, dass es jüngere Menschen trifft."
Drosten zieht Parallele zu Entwicklung in Spanien
Der Virologe geht auch nicht davon aus, dass die Fallzahlen automatisch wieder sinken werden, wenn es wärmer wird. "Dass wir 2020 einen so entspannten Sommer hatten, hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass unsere Fallzahlen im Frühjahr unter einer kritischen Schwelle geblieben sind", sagte Drosten. "Das ist inzwischen aber nicht mehr so."
Er fürchte, dass Deutschland eine Entwicklung wie in Spanien drohe. Dort seien "im Sommer die Fallzahlen nach Beendigung des Lockdowns schnell wieder gestiegen, obwohl es sehr heiß war. Auch in Südafrika, wo derzeit Sommer ist, bewegen sich die Fallzahlen auf hohem Niveau".
Mit Material der afp.
Verwendete Quellen:
- Spiegel.de: "Wir müssen durchhalten – und vor allem: auf die Bremse treten" (Artikel hinter Paywall)
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