Es ist eine ökologische Katastrophe, die unser Weltklima bedroht: Seit Wochen steht Brasiliens Amazonas-Regenwald in Flammen. Warum lässt das so viele Menschen kalt?

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Anja Delastik dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Als vergangenen November Thomas Gottschalks Villa in Malibu niederbrannte, reagierten die Medien und damit wir alle mit Entsetzen und Empathie. Na gut, einige vielleicht auch mit einer Portion Sensationsgier.

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Gefühlt stündlich wurden wir informiert, ob die Flammen rund um den Promi-Wohnort nahe Los Angeles bereits das Haus von Lady Gaga oder Jessica Simpson erreicht hatten – oder Miley Cyrus und Cher evakuiert werden mussten.

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Das schlimmere Elend der Welt

Gewiss, es ist tragisch, wenn so etwas passiert. Und natürlich tut es jedem anständigen Menschen leid, wenn das Hab und Gut eines anderen Menschen, Promi oder nicht, in Flammen aufgeht. Doch selbst Thomas Gottschalk, dessen Anwesen komplett vom Feuer zerstört wurde, sagte danach: "Es gibt schlimmeres Elend auf dieser Welt."

Doch scheint dieses schlimmere Elend weit weniger interessant. Über die Brände in Malibu und das Feuerunglück von Notre Dame wurde ausführlicher und mit mehr Anteilnahme berichtet, als über das Inferno, das sich momentan in den Regenwäldern der Amazonas-Region abspielt. Und das ist zutiefst verstörend.

Die Klimaanlage der Welt

Der Regenwald gilt als "grüne Lunge der Erde", produziert 20 Prozent unseres Sauerstoffs, beeinflusst das Wetter, reguliert das Klima: Die Wolkendecke, die sich durch Verdunstung darüber bildet, wirkt wie eine gigantische Klimaanlage.

Sie verhindert, dass sich die Erde zu stark aufheizt und austrocknet. Klimaforscher sind sogar der Meinung, dass eine Wiederaufforstung des Regenwalds dem Klimawandel Einhalt gebieten könnte. Doch leider passiert das Gegenteil.

Seit ganzen drei Wochen brennt der Regenwald im Amazonasbecken nun schon vor sich hin – doch bisher wurde nur am Rande darüber berichtet. Erst jetzt, nachdem Fotos aus São Paulo aufgetaucht sind, werden Menschen langsam stutzig: In der 2.000 Kilometer entfernten Stadt nahe der südöstlichen Atlantikküste Brasiliens verdunkeln Asche und Rauch die Nachmittagssonne.

Brandstiftung für Weideflächen

Hunderte Quadratkilometer Regenwald stehen mittlerweile in Flammen. Alleine in Brasilien wurden in diesem Jahr beinahe 73.000 Feuer registriert, über 80 Prozent mehr als im Vorjahresvergleich.

Die momentane Trockenheit begünstigt die Ausbreitung der Brände. Und täglich kommen neue hinzu.

Wahrscheinlich ist Brandstiftung die Ursache vieler Feuer. In Brasilien, dem weltweit größten Rindfleisch-Exporteur, gibt es mehr Rinder als Menschen – es wird spekuliert, dass durch die Brandrodung Weideflächen, aber auch Anbauflächen für Sojabohnen und Plantageflächen für Ölpalmen geschaffen werden sollen.

Anderthalb Fußballfelder pro Minute

Schon im Juni wurde bekannt, dass pro Minute (!) Regenwaldstücke so groß wie anderthalb Fußballfelder abgeholzt werden. Und Brasiliens Regierung toleriert das nicht nur, sondern scheint es sogar zu fördern. Aber wir tun es auch ­– ob uns das bewusst ist oder nicht.

Wir streichen Margarine oder Nuss-Nugat-Creme auf unsere Brote, kaufen importiertes Fleisch aus Südamerika oder, falls das zu teuer ist, aus industrieller Massentierhaltung – gefüttert wird dort mit Soja, zum Großteil da angebaut, wo einst Regenwald war... Die Liste ist lang und deprimierend.

Auch wenn wir die Entwaldung nicht eigenhändig vorantreiben und die Feuer nicht selber entfachen: Wir tragen einen Teil der Schuld, sind mitverantwortlich. Nein, es lässt uns nicht kalt, wenn der Regenwald brennt.

Wir schauen nur lieber nicht so genau hin. Denn manchmal ist es leichter, vor bitteren Wahrheiten die Augen zu verschließen. Dabei ist hier nicht nur das Zuhause einiger Promis in Gefahr, sondern das von uns allen.

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