Sinti und Roma werden in Deutschland häufig diskriminiert. Ein Historiker erklärt, wo es zu Benachteiligungen und Stigmatisierung kommt und wie vor allem die politische Rechte Antiziganismus in der Migrationsdebatte einsetzt.

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Kelly Laubinger konnte gar nicht glauben, was sie da in einer E-Mail zu lesen bekam. Laubinger hatte ausdrücklich im Namen der Sinti Union Schleswig-Holstein für eine Literaturveranstaltung ein Hotelzimmer für einen Gast gebucht. Erst wurde Laubinger ein Zimmer in Aussicht gestellt, doch dann kam die Absage. "Weil man schlechte Erfahrungen mit der Familie Laubinger gemacht habe", so die Begründung. Sie selbst sei noch nie in diesem Hotel gewesen, sagt Laubinger, und der Nachname sei ein sehr weit verbreiteter Sinti-Name. Dementsprechend seien auch nicht alle Menschen mit dem Namen Laubinger miteinander verwandt. Der Hotelbesitzer sagt, er habe nicht diskriminieren wollen, wie er gegenüber SAT1 erklärte.

Für Kelly Laubinger ist dies nicht die erste Erfahrung dieser Art. "Bereits 2022 habe ich als erste Sinteza ein Fitnessstudio erfolgreich verklagt, das mich aufgrund meiner ethnischen Zugehörigkeit als Neumitglied abgelehnt hat", sagt die Aktivistin für die Rechte von Sinti und Roma. Nach ihrer Ablehnung habe sie weitere sechs Sinti getroffen, die dort aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit abgelehnt worden seien.

621 Fälle von Diskriminierung von Sinti und Roma in Deutschland

Diskriminierung von Sinti und Roma ist keine Seltenheit in Deutschland. So gab es im Jahr 2022 dem Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) zufolge 621 Fälle, bei denen Sinti und Roma diskriminiert oder angegriffen wurden. Darunter fielen 343 Fälle von Diskriminierung und 245 Fälle von sogenannter "verbaler Stereotypisierung". Das bedeutet, dass Menschen in Gesprächen Vorurteile entgegengebracht wurden. Es gab aber auch elf Fälle von Bedrohung, 17 Angriffe, vier Sachbeschädigungen und einen Vorfall von "extremer Gewalt." Bei letzterem handelte es sich um eine Attacke auf mehrere Menschen im Saarland, die zuerst beleidigt und später mit einer Druckluftpistole angegriffen wurden.

Dass Diskriminierung nicht nur durch Privatpersonen geschieht, sondern auch im Behördenalltag stattfindet, hat der Jahresbericht der MIA ebenfalls herausgestellt. Demnach hätten knapp 20 Prozent aller Vorfälle in staatlichen oder öffentlichen Einrichtungen stattgefunden. Hierzu zählen etwa Jobcenter, Jugendämter oder andere Verwaltungen. Auch sei es vorgekommen, dass Sinti und Roma Diskriminierungen durch die Polizei erfahren hätten. Die meisten Vorfälle kämen aber weiterhin im Alltag der Menschen vor. Zudem trete Diskriminierung oftmals unterschwellig auf. Und längst würden nicht alle erlebten Fälle auch gemeldet, wie die Studienautoren schreiben.

Vorurteile wegen angeblich fehlender Arbeitsmoral und mangelnder Zugehörigkeit

In der Öffentlichkeit scheint es eine zweischneidige Entwicklung zu geben im Umgang mit Rassismus gegen Sinti und Roma. So sieht es der Antiziganismus-Forscher Frank Reuter von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. "Es gibt eine Fülle von lokalen und regionalen Erinnerungszeichen und Gedenkstätten, aber dieses gewachsene Wissen führte nicht zu verminderten antiziganistischen Einstellungen." Auf der politischen Ebene gebe es vielfache symbolische Anerkennung. Auch die Bundesregierung hat mit Mehmet Daimagüler einen eigenen Antiziganismus-Beauftragten.

Auf der anderen Seite finde derzeit ein gesellschaftlicher Rechtsruck statt, sagt Reuter. Die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma hätten sich über die Zeit verändert, sagt Reuter. Historisch habe es ein stark exotisierendes Motiv gegeben. Dies sei verbunden mit dem Vorurteil von Magie, mit Wahrsagefiguren oder Naturverbundenheit. In der heutigen Gesellschaft sei indes das "Motiv der Verachtung" stärker geworden. Hier gehe es um den Vorwurf von fehlender Arbeitsdisziplin und mangelnder Zugehörigkeit. Es gehe konkret um die Zuschreibung von Kriminalität und von Asozialität, so Reuter.

Der Fokus auf die Armutsmigration führt nach Ansicht von Frank Reuter auch dazu, dass die Vielfältigkeit der Sinti- und Roma-Communitys in der öffentlichen Wahrnehmung verloren gehe. Einwanderung von Roma habe es seit dem späten 19. Jahrhundert gegeben, andere seien als Gastarbeiter, als Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien oder erst in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen. "Sie alle bringen unterschiedliche Erfahrungen und Selbstverständnisse mit, sagt Reuter. Insbesondere die Alteingesessenen seien ohnehin eher wertkonservativ und betonten ihre vielhundertjährige Geschichte in Deutschland.

Forscher: Antiziganismus auch in der politischen Mitte salonfähig

Auch für die Mehrheitsgesellschaft habe diese Diskriminierung eine bestimmte Funktion, sagt Reuter. Sie solle Binnenkonflikte einhegen und Leitvorstellungen stärken, etwa "eine rigide bürgerliche Sexualmoral oder Arbeitsdisziplin". Dafür brauche man Gegenfiguren, denn dann bräuchten in der Gesellschaft kaum noch soziale Konflikte und grundlegende Fragen sozialer Ungleichheit thematisiert werden. Es sei erkennbar, dass dies gerade von der politischen Rechten in der Migrationsdebatte eingesetzt werde, "denn der Antiziganismus ist auch in der politischen Mitte salonfähig und lässt sich so als Waffe einsetzen", sagt Reuter.

Der Antiziganismus solle ja gerade den Eindruck vermitteln, dass Sinti und Roma alle gleich und unterschiedlich zur Mehrheitsgesellschaft seien, erklärt Frank Reuter. Ausdrücklich warnt der Historiker vor generalisierenden Aussagen. Spezifische Integrationshemmnisse, bezogen auf die ethnische Zugehörigkeit als solche, gebe es erst recht nicht. Hier spielten vielmehr soziale Faktoren eine Rolle, erklärt der Forscher: "Man nimmt Sinti und Roma nicht als Individuen wahr, sondern nur durch ein Raster von Vorurteilen."

Kelly Laubinger will nun den Gerichtsweg beschreiten, weil ein Schiedsverfahren nichts gebracht habe. Sie plant, Anzeige wegen Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Herkunft zu erstatten. Und sie will weiter kämpfen: "Ich engagiere mich sehr auf diesem Gebiet in der Gesellschaft. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass möglichst viele Fälle in die Statistik eingehen, damit diese Diskriminierung sichtbar wird."

Über die Gesprächspartner

  • Kelly Laubinger ist Geschäftsführerin der Sinti Union Schleswig-Holstein und Vorsitzende der Bundesvereinigung der Sinti und Roma.
  • Dr. Frank Reuter ist wissenschaftlicher Geschäftsführer der Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Verwendete Quellen

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