Kaum eine Minderheit ist im Sport so wenig zu sehen wie Sinti und Roma. Der Forscher Pavel Brunssen geht davon aus, dass es unter anderem im Fußball zahlreiche Profis gibt, die zu den Volksgruppen gehören. Aber aus Angst, diskriminiert zu werden, halten viele diesen Teil ihrer Identität geheim.

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Olga Carmona schoss Spanien im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft zum 1:0-Sieg. Dass die 23-Jährige der Volksgruppe der Roma angehört, wurde erst nach dem Endspiel durch spanische Medienberichte und einen Tweet der Federación de Asociaciones de Mujeres Gitanas öffentlich, dem Verband der spanischen Roma.

Carmona ist nur eine von wenigen Spitzensportlerinnen, bei der die Zugehörigkeit zu der Minderheit bekannt ist. Weitere Beispiele sind der französische Profi-Fußballer Teji Savanier (HSC Montpellier), der frühere portugiesische Nationalspieler Ricardo Quaresma und der deutsche Ex-Boxer Oswald Marschall aus Minden.

"Es gilt als offenes Geheimnis, dass mehrere Profis aus der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga (in Deutschland, Anm. d. Red.) Angehörige der Sinti und Roma sind", sagt der Antiziganismus-Forscher Pavel Brunssen. "Aber aus Angst, diskriminiert und stigmatisiert zu werden, halten sie ihre Zugehörigkeit zur Minderheit geheim. Sie betreiben Identitätsmanagement." Wie hoch die Dunkelziffer im Spitzensport insgesamt ist, bleibt unklar.

Antiziganismus wird nicht als Problem wahrgenommen

Woher kommt diese Angst, sich zu den eigenen Wurzeln zu bekennen? Zum einen aus der Geschichte: Die Nationalsozialisten ermordeten zwischen 1933 und 1945 etwa eine halbe Million Sinti und Roma. Gewalt, Alltagsrassismus, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungswesen sind heute noch europaweit ein Problem.

Auch im Fußball sind Fangesänge wie "Zick, Zack, Zigeunerpack" oder vermeintlich lustig gemeintes "Feiern" des Namens der eigenen Trainer und Spieler mit dem Zusatz "Du Zigeuner" präsent. Während rassistische oder antisemitische Vorfälle von den Vereinen auch aufgrund der öffentlichen Empörung und gestiegener Sensibilisierung meist zumindest thematisiert werden, steht die Diskriminierung gegen Sinti und Roma in der Hierarchie laut Brunssen weit unten.

"Antiziganismus im Fußball wird zumeist nicht einmal als Problem wahrgenommen", sagt der Wissenschaftler. Daher müssten Sportlerinnen und Sportler, die sich zu ihrer Herkunft bekennen, gerade in dieser Sportart wohl mit Anfeindungen leben. Auch über die sozialen Medien wäre mit Hasskommentaren zu rechnen.

Istvan Pisont: "Sie wollten mich einfach loswerden"

Istvan Pisont absolvierte zwischen 1991 und 1999 insgesamt 31 Länderspiele für Ungarn. Er bekannte sich – damals wie heute unüblich – zu seinen Roma-Wurzeln. Und das hatte in seinem Heimatland schwerwiegende Folgen. "Als die Fans erfahren haben, dass ich Roma bin, haben sie mich nur noch als Zigeuner beschimpft. Zigeuner, Zigeuner, Zigeuner, immer wieder. Ich war jung, es hat mich sehr verletzt. Sie haben mich gehasst, egal, wie gut ich gespielt habe, sie wollten mich einfach loswerden", sagt Pisont dem Journalisten Ronny Blaschke. Sogar Gegenspieler verweigerten ihm den Handschlag.

Andere Roma-Fußballer wiederum hätten ihre Herkunft verleugnet. "Viele verbergen ihre Wurzeln, sie wollen sich nicht wie Aussätzige fühlen. Auch im Fußball." Pisont verließ Ungarn schließlich, spielte im Anschluss zehn Jahre lang im Ausland. Darunter auch in Deutschland, wo er in der Saison 1998/99 für Eintracht Frankfurt 17 Partien absolvierte. Nach seinem Karriereende wurde er unter anderem Trainer der ungarischen U19-Nationalmannschaft.

Gefeierter Roma-Fußballer: Teji Savanier

Wären solche extrem negativen Reaktionen wie bei Pisont heute auch noch zu erwarten? Ein Blick nach Frankreich. Der Profi-Fußballer Teji Savanier (31) wird von den Fans des HSC Montpellier für seine Tore und Vorlagen gefeiert. Der Kapitän des südfranzösischen Teams spricht ganz offen über seine familiäre Herkunft und sein Leben in einer Großfamilie.

"Ich bin sozusagen der Sprecher der Roma-Gemeinschaft in Montpellier und darüber hinaus. Es gibt viele Gypsies in Frankreich, und ich bin stolz darauf, sie zu vertreten", sagte er 2022 in einem Porträt der "Times". Seine Herkunft war für den italienischen Spitzenklub AC Mailand vor einigen Jahren kein Hindernis, Savanier ein attraktives Angebot zu unterbreiten.

Er lehnte aus Verbundenheit mit seinem Heimatverein ab. Episoden über Anfeindungen von Fans lassen sich zumindest im Internet nicht über Savanier finden.

Wie würden Fans auf die Öffentlichmachung der Herkunft reagieren?

Einen wie Teji Savanier gibt es im deutschen Fußball nicht. Noch nicht. Für Pavel Brunssen ist nicht klar, wie die Fans in Deutschland reagieren würden. Er sagt: "Viele Fans, Verbände und Vereine machen heute viel mehr als früher aktiv etwas gegen Diskriminierung."

Ein Stadion sei nicht nur ein Ort, wo Probleme auftreten, sondern auch ein Ort für Austausch und gesellschaftliche Veränderungen zum Positiven, ein Aushandlungsraum für gesellschaftliche Teilhabe. Wahrscheinlich wäre es nur eine verschwindend kleine Minderheit, die sich gegen einen Fußballer aus den Reihen der Sinti und Roma stellen würde. Aber so genau weiß das niemand.

Brunssen erinnert an den Fall Mesut Özil. Bei den Erfolgen der deutschen Nationalmannschaft galt der türkischstämmige Profi aus Gelsenkirchen als Musterbeispiel gelungener Integration. "Als der Erfolg dann ausblieb, ist er zum Sündenbock geworden und es wurde auf einmal gefragt, warum er die deutsche Nationalhymne nicht mitsingt." Als Teil einer Minderheit sei man "Teil der Dominanzgesellschaft auf Zeit – solange man performt", so Brunssen. "Aber man hat immer die Gefahr, dass es kippen kann und bei Misserfolg Rassismus, Ausgrenzung, Hass und Wut zutage treten."

Das hat auch Ricardo Quaresma, der portugiesische Fußballer, erfahren. Ihm haftete laut "Kicker" der Stempel des "puto lelito", des "verdammten Zigeuners", an. Weil er nicht alles aus seinem riesigen Talent herausgeholt und seine Begabung mit Füßen getreten habe. Sobald er nicht seine Leistung brachte, machten einige aus dem Profi-Fußballer Queresma den "Zigeuner" Queresma.

Zur Person: Pavel Brunssen, 35, ist Antiziganismus-Forscher. Er arbeitet ab Oktober an der Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg, wo er sich hauptsächlich mit Antiziganismus im Fußball beschäftigen wird.

Verwendete Quellen:

  • thetimes.co.uk: Traveller Téji Savanier at home being Ligue 1’s unlikely star
  • deutschlandfunkkultur.de: Abseits im eigenen Land
  • kicker.de: Quaresma - Die einstige Goldene Mülltonne
  • Pavel Brunssen, Antiziganismus im Fußball und in Fußball-Fankulturen, Gutachten im Auftrag der Unabhängigen Kommission Antiziganismus des Deutschen Bundestages, 2020
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