Mitte Juni haben Massenschlägereien und eine Attacke auf ein Restaurant zwischen Clan-Mitgliedern in Castrop-Rauxel und Essen für Aufregung gesorgt. Es gab mehrere Verletzte, ein Mann schwebte in Lebensgefahr. Auslöser soll eine Kinderstreitigkeit gewesen sein, doch Beobachter vermuten mehr hinter den Geschehnissen. Islamwissenschaftler Ralph Ghadban ordnet ein, was bereits bekannt ist.
Baseballschläger, Messer, Macheten, mit Nägeln gespickte Dachlatten: Mitte Juni sorgten zwei rivalisierende Clans für Schlagzeilen weit über das Ruhrgebiet – den Ort des Geschehens – hinaus. Etwa 50 Personen waren in einer Massenschlägerei in Castrop-Rauxel aufeinander losgegangen.
Tags darauf wurde ein Mann sowie eingreifende Polizisten bei einer Attacke auf ein syrisches Restaurant in Essen verletzt, auch hier kam es wieder zu Massenprügeleien. In geparkten Autos wurden unter anderem Maschinenpistolen gefunden.
Hintergründe noch unklar
Noch immer sind Hintergründe und Zusammenhänge der Vorfälle nicht eindeutig geklärt. Ruhrgebietsstädte wie Essen, Duisburg und Gelsenkirchen gelten als Hochburgen der Clan-Kriminalität.
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Laut Bundeskriminalamt (BKA) gehören hierzulande rund 200.000 Menschen Clans an, meist haben sie türkisch-arabische Wurzeln. Bekannte Namen der Großfamilien sind etwa Miri, Remmo, Al-Zein und Omeirat. Wichtig ist: Die meisten Familienmitglieder sind nicht kriminell. Einige Gruppierungen sind aber im Bereich der organisierten Kriminalität aktiv und begehen schwere Straftaten wie Menschenhandel, Betrug, Erpressung und Raub.
Konflikt zwischen Libanesen und Syrern
Viele Großfamilien sind sogenannte Mhallami, eine arabischstämmige Volksgruppe. Ihre Vorfahren sind nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei in den Libanon eingewandert. "Als dort Mitte der 1970er-Jahre der Bürgerkrieg ausbrach, flohen im Laufe der Jahre viele der Familien nach Deutschland", weiß Islamwissenschaftler Ralph Ghadban, der sich seit Jahren mit Clan-Strukturen befasst.
"Nach ihrer Duldung als Bürgerkriegsflüchtlinge erhielten sie mit der 'Altfallregelung' einen Aufenthalt. Ausgeschlossen waren die Straftäter", sagt Ghadban. Einige Gruppen hätten ihre Clansolidarität genutzt, um Straftaten zu begehen.
"Was wir an dem Juni-Wochenende gesehen haben, war ein Konflikt zwischen libanesisch-türkischstämmigen Clans und syrischen Clans", sagt Ghadban. Beide Seiten hätten im Vorfeld in großem Umfang über digitale Medien und Chatgruppen mobilisiert.
Syrer als "neue Konfliktpartei"
Bereits Innenminister Reul hatte Syrer als "neue Konfliktpartei" im Clan-Geschehen identifiziert. Allein in Essen hat sich die syrische Community innerhalb weniger Jahre von 500 auf 18.000 Mitglieder vergrößert. Ursächlich ist vor allem der syrische Bürgerkrieg und die damit zusammenhängenden Fluchtbewegungen in den Jahren 2015 und 2016.
Die Zusammensetzung der Gruppen sei aber noch nicht geklärt, hieß es aus dem Innenministerium. Der zuständige Oberstaatsanwalt Carsten Dombert sah zunächst keine Hinweise für einen Clan-Hintergrund der Massenschlägereien.
Offiziell galt ein Streit zwischen zwei Elfjährigen, einem Libanesen und einem Syrer, die im selben Mietshaus leben, als Auslöser. Beim Spielen soll es zu einer leichten Verletzung gekommen sein. Die Streitigkeit der Kinder sei auf die Familien übergesprungen, hieß es.
Der wahre Grund für den Konflikt?
"Ob es sich um die Fortführung von Streitigkeiten unter einzelnen Familienmitgliedern handelt oder mehr dahintersteckt, wissen wir noch nicht", hatte Reul gesagt. Beobachter vermuten, dass syrische Großfamilien in die Geschäftsfelder drängen, die einst in kurdisch-libanesischer Hand waren. Rivalität im Drogenhandel könnte demnach der wahre Grund für den Konflikt sein.
Innenminister Reul hatte bereits 2019 im Gespräch mit dem "Focus" gewarnt: "Wir haben Anzeichen dafür, dass sich Großfamilien aus dem irakisch-palästinensisch-syrischen Bereich formieren, die versuchen, die bisherigen Platzhirsche zu verdrängen." Dies gelte insbesondere im Bereich des illegalen Rauschgifthandels. Reul warnte: Unter den neuen Clans würden sich auch junge Männer mit Kriegserfahrung aus den Konflikten in Syrien und im Irak befinden.
Experte: "Es geht um mehr"
Auch Experte Ghadban ist sich sicher: "Es geht um mehr als die Kinderstreitigkeit." Die Gründe seien weitreichend. "Es geht nicht nur um einen Konflikt zwischen Nachbarn, die einfach ihre Großfamilien geholt haben", betont er. Ghadban vermutet materielle Interessen im Hintergrund. "Die Profitdimension bestimmt die Beziehungen zwischen den Clans", sagt er.
Inzwischen gilt der Streit zwischen den Familien als geschlichtet. In Duisburg soll mithilfe eines "Friedensrichters" ein Abkommen geschlossen worden sein. Das berichtet das ARD-Magazin "Kontraste". Damit wäre die Auseinandersetzung an der staatlichen Justiz vorbei geregelt worden. Ein Sprecher in Essen betonte: "Wir werden keine Selbstjustiz dulden und den Clans mit massiven Kontrollen auf die Füße treten."
"Friedensrichter" vermittelt Abkommen
Der Staat möchte eine Rolle spielen in den Parallelwelten, in denen Scharia, Blutgeld und Familienehre wichtiger sind als Strafgesetzbuch und Rechtsstaat. In dem ARD-Beitrag werden allerdings auch Clan-Vertreter zitiert, die die deutschen Behörden um "Entschuldigung" bitten. Gewaltausbrüche wie in Essen sollten nicht noch einmal passieren.
Die Clan-Politik der Polizei in NRW wird vom Innenministerium mit einem "System der 1000 Nadelstiche" beschrieben. Kriminelle Clans sollen – etwa durch ständige Kontrollen – immer wieder bei ihren Aktivitäten gestört werden. Behördenvertreter betonen aber auch: Es handelt sich nicht um einen Sprint, sondern um einen Marathon. Schließlich hätten die Clans jahrzehntelang Zeit gehabt, sich zu etablieren.
Vor knapp fünf Jahren hatte die Landesregierung eine Ermittlungsgruppe aus Polizisten, Staatsanwaltschaften und Steuerfahndern gegen "Clans, Terroristen und Mafiamitglieder" ins Leben gerufen. Zwar verzeichnen die Spezialermittler Schläge gegen Geldwäscher, Cybercrime und Sozialbetrug, in den vergangenen Jahren prügelten sich aber trotzdem immer wieder dutzende Männer auf offener Straße, etwa in Essen.
Rückschlag für Innenminister Reul
Reuls Politik der staatlichen Präsenz und Repression habe durch die Vorfälle einen Rückschlag erlitten, sagt Experte Ghadban. Aber: Im Vorfeld der Auseinandersetzung hätte eine Moschee, die die Schlichtung der Konfliktparteien übernehmen sollte, den Termin abgesagt.
"Die Politik hat deutlich gemacht, dass es Aufgabe des Rechtssystems ist, sich um juristische Konflikte zu kümmern. Durch diese Haltung ist also mindestens ein Versuch, die Probleme in einer Parallelwelt zu lösen, zurückgegangen", sagt Ghadban. Dennoch gelte: "Es gibt zwar offiziell eine Befriedung, aber das ist keine endgültige Lösung." Solange die Hintergründe des Konflikts nicht geklärt seien, müsse man erwarten, dass die Clans wieder aufeinander losgehen.
Ghadban: "Konflikte vorprogrammiert"
"Mit der Existenz der Clans sind Konflikte vorprogrammiert", sagt Ghadban. Neben Repression sei Integrationsarbeit nötig, um Clan-Strukturen abzubauen. "Das ist Sache des Bundes, aber Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist unglaubwürdig" kritisiert der Experte – ihre Clan-Politik sei ein reines Wahlkampfmanöver.
"Die SPD war lange in NRW an der Macht und hat immer die Anwesenheit von Clans geleugnet", erinnert Ghadban. Als Reul dann übernommen habe, habe er in einem Lagebild über 100 Clans erfasst. "Diese Dimension darf man nicht vergessen."
Verwendete Quellen:
- wdr.de: Massenschlägereien im Ruhrgebiet: Neue Dimension der Clankriminalität?
- focus.de: "Friedensschluss" nach KrawallenScharia statt Gesetze - Clans zeigen dem deutschen Rechtsstaat wieder den Mittelfinger
- tagesschau.de: Clankriminalität: Libanesische und syrische Familien schließen offenbar "Frieden"
- Landesregierung NRW: Erfolgsmodell: Ermittler aus drei Ressorts jagen Clans, Terroristen und Mafiamitglieder
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