Einst stand Georg Gänswein Benedikt XVI. nah wie kaum jemand anderes. Eine Nähe, die ihm zum Verhängnis wurde. Nun könnte er sich mit Benedikts Nachfolger ausgesöhnt haben.

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Das Leben im sonnigen Freiburg hatte für Erzbischof Georg Gänswein nichts mit den unmenschlichen Strafen zu tun, die Päpste während der Inquisition gegen ihre Gegner verhängten. Aber als harte päpstliche Strafe muss es der Deutsche dennoch verstanden haben, dass Franziskus ihn im vergangenen Jahr aus seinem geliebten Rom ohne Aufgabe nach Deutschland versetzte.

Ein Jahr dauerte diese Demütigung - jetzt kehrt Gänswein als päpstlicher Botschafter ins Arbeitsleben zurück.

Gänswein wird ins Baltikum geschickt - eine Stelle mit politischer Brisanz

Der Vatikan beendete am Montag in einem Zweizeiler alle Spekulationen, was aus Gänswein wird. Der 67-Jährige soll in der litauischen Hauptstadt Vilnius neuer päpstlicher Botschafter für das Baltikum werden.

Es handelt sich durchaus um eine Stelle mit politischer Brisanz, weil sich Estland, Lettland und Litauen durch den Angriff Russlands auf die Ukraine bedroht fühlen. Gänsweins Vorgänger war der kroatische Erzbischof Petar Antun Rajic, der Apostolischer Nuntius für Italien und San Marino wurde.

Der Papst beendete mit der Entscheidung für eine neue Verwendung Gänsweins ein Muskelspiel, das zumindest ungewöhnlich ist. Denn üblich ist eigentlich, die Sekretäre von Päpsten nach deren Tod zu belohnen - und nicht wie in diesem Fall zu bestrafen.

Gänswein soll Keil zwischen Benedikt XVI. und Papst Franziskus getrieben haben

Dabei ist die aufopferungsvolle Rolle des am 30. Juli 1956 in Riedern am Wald im Schwarzwald geborenen Gänswein an der Seite von Papst Benedikt XVI. unstrittig. Gänswein diente Benedikt, dem ersten deutschen Kirchenoberhaupt seit fast 500 Jahren, viele Jahre lang. Nachdem Benedikt an Silvester 2022 gestorben war, verabschiedete Gänswein dessen Sarg mit einem Kuss - Emotionen, die weltweit für Aufsehen sorgten.

Aber Gänsweins Emotionen für Benedikt waren aus Sicht von Papst Franziskus nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite war, dass Gänswein einen Keil zwischen die beiden Päpste getrieben haben soll.

Der Streit ging 2020 los, als Franziskus den Deutschen als Präfekt des Päpstlichen Hauses beurlaubte und damit die Funktion für beide Päpste beendete. Gänswein bezeichnete dies später als demütigend. Der Zoff eskalierte, als Gänswein direkt nach der Beerdigung Benedikts sein Buch "Nichts als die Wahrheit" veröffentlichte.

Durch das Werk wurde für die Weltöffentlichkeit sichtbar, dass das historisch beispiellose jahrelange Nebeneinander eines emeritierten Papsts und eines amtierenden Papsts einige Reibungen hatte. Gänswein schrieb etwa vom "Schmerz im Herzen" bei Benedikt, nachdem Franziskus die Feier der traditionellen Messe eingeschränkt hatte.

Franziskus warf Gänswein "einen Mangel an Edelmut" vor

Das Buch wurde ein Bestseller. Persönlich wurde es aber Gänsweins Desaster. Noch in diesem Frühjahr kritisierte Franziskus "einen Mangel an Edelmut und Menschlichkeit" durch die Veröffentlichung und warf Gänswein das Verbreiten von Unwahrheiten vor.

Es stellt sich die Frage, ob der zwischenzeitlich auch als Bischofskandidat verschiedener Bistümer in Deutschland gehandelte Gänswein also ein Negativbeispiel der Illoyalität ist - oder ob mit dem in Rom auch als "George Clooney des Vatikans" bezeichneten sportlichen Deutschen einfach eine gewisse Eitelkeit durchging.

Gänswein mischt gerne in der Öffentlichkeit mit, wie er immer wieder durch Interviews zeigte. Er veröffentlichte auch Benedikts angeblich letzten Worte "Herr, ich liebe Dich", was dem Deutschen von Kritikern als pietätlos ausgelegt wurde.

Möglicherweise hat sich der Ärger aber wieder gelegt. Mit dem Botschaftsstandort in Vilnius trifft Gänswein es nicht schlecht. Das große Botschaftsgebäude liegt am Neris, einem Nebenfluss der Memel. Und Vilnius hat gleich zwei Beinamen, die dem Theologen gefallen dürften. Es galt einst als "Jerusalem des Nordens" und gilt heute wegen seiner vielen Kirchen als "Rom des Ostens".

Ganz böse scheint Franziskus auf Gänswein also nicht mehr zu sein. (AFP/ank)

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