In Neuss wollten mehrere Schüler Scharia-Regeln an ihrer Schule durchsetzen. In Brandenburg sahen sich zwei Lehrer im vergangenen Jahr nach rechten Bedrohungen dazu gezwungen, ihre Schule zu verlassen. Immer häufiger wird über Extremismus an Schulen berichtet. Wie groß ist das Problem und was kann dagegen getan werden?

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"Es ist nicht lustig, verfassungsfeindliche Symbole einfach mal so irgendwo hinzukritzeln oder zu malen. Da rufen wir dann die Polizei", sagt Stefan Düll. Er ist Schulleiter in Bayern und gleichzeitig Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Auch, wenn manche Eltern ihm dann ein "Spinnen Sie jetzt völlig?" entgegenriefen, dürfe man das nicht so durchlaufen lassen, sagt der Lehrer.

Andere Situationen seien für Lehrende schon schwieriger. Als Lehrkraft merke man nicht auf den ersten Blick, wer schon komplett "in die AfD-Welt abgeglitten ist", sagt Düll. "Wenn ein Schüler sagt, er findet eine Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland gut, muss er deswegen noch lange nicht mit den restlichen Positionen der AfD übereinstimmen." Andere Schüler hingegen, die sich genauso äußerten, täten dies, gerade weil sie auch sonst der AfD nahestünden.

Es gäbe seit zwei Jahren mehr Diskussionsbereitschaft in den Schulklassen, sagt der Präsident des Lehrerverbandes. Dabei geht es um den Überfall auf die Ukraine, die Energiekrise, die Sorge um den Erhalt unserer Demokratie und Donald Trump. Nicht zuletzt der Klimawandel sei seit Jahren ein großes Thema in den Schulen.

Das bewege junge Menschen natürlich. Und sie wollten diskutieren, manchmal auch provozieren. "Entweder, weil man tatsächlich extrem eingestellt ist oder eine intensive Diskussion provozieren will, in der es zur Sache geht." Das sei für Lehrkräfte manchmal nicht leicht einzuordnen.

Nicht allein Schüler bringen Extremismus in die Schulen

Ob nun als Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Islamismus, Islamfeindlichkeit oder allgemeine Menschenfeindlichkeit. Extremismus kann mit ganz unterschiedlichen Gesichtern auftreten. Welche vielfältigen Ausprägungen dies dann an Schulen ganz konkret annehmen kann, hat sich die Dresdener Bildungsforscherin Anja Besand in einer Untersuchung angesehen.

So kommt es vor, dass an Schulen Verschwörungstheorien, oder volksverhetzende Aussagen verbreitet werden. Es kam andernorts zu Elternbeschwerden wegen "verordneter Weltoffenheit". Manche Schulen mussten damit umgehen, dass rechte Parteien bei ihnen werben wollten. Gelegentlich ist es auch der Fall, dass Schüler Fotos Rechtsextremer als Profilbild für ihr Smartphone nutzten oder rechte Musik, Videos oder Kleidung bei sich haben.

Dabei reichen die Ursachen für solches Verhalten offenbar weit über den Klassenraum hinaus. Denn es greife zu kurz, diese Radikalisierung allein einzelnen Schülern anzulasten, sagt Anja Besand. Denn auch Lehrer und Eltern würden diese Einstellungen und Konflikte mit in die Schulen tragen. So sei es auch schon vorgekommen, dass auch Lehrer, die sich für die Demokratie einsetzten, dann vom eigenen Kollegium alleingelassen würden. "Das ist eine extrem bedrohliche Situation", sagt die Bildungsforscherin.

Bisher keine genauen Zahlen über die Anzahl der Vorfälle

Wie hoch die Anzahl der extremistischen Vorfälle bundesweit tatsächlich ist, lässt sich nicht genau sagen, weil es keine belastbaren Zahlen dazu gibt, sagt Besand. Die Bildungsforscherin spricht mit Blick auf die Schulen derzeit aber von einer "zugespitzten Lage". Erst in der vergangenen Woche habe ihr ein Schulleiter unter Tränen erklärt, dass seine Schule "gekippt" sei.

Für Sachsen könne Bildungsforscherin Besand, die in Dresden lehrt, jedoch aus eigener Anschauung sagen, dass sie eine Veränderung festgestellt habe. Immer mehr Menschen würden sich trauen, sich entsprechend zu äußern, weil sie damit glaubten, auf Zustimmung zu stoßen. "Der gesellschaftliche Grundkonsens scheint sich hier verschoben zu haben", sagt Besand.

Diesen Eindruck teilt auch Stefan Düll. Die Schulen seien letztlich immer auch Spiegelbild der Gesellschaft. "In manchen Orten in Ostdeutschland bewegen sich manche ja nicht bloß online in einer AfD-Blase, sondern vermeintlich auch, wenn sie zur Haustür rausgehen", sagt Düll. Das beeindrucke dann auch junge Menschen.

"Da steckt eine Ablehnung dahinter, die dem Grundgesetz zuwiderläuft"

Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands

Dabei warnt der Präsident des Lehrerverbandes davor, aufgrund aktueller Debatten andere Phänomene der Abwertung von Menschen außen vor zu lassen. "Dann erzählt Ihnen mal ein homosexueller Schüler, vor fünf Wochen hätten ihm andere Mitschüler gesagt: Möge Gott dich auf den rechten Weg weisen", sagt Düll.

Dies geschehe nicht nur aus islamistischer Motivation, sondern auch aus christlichem Fundamentalismus heraus. "Da steckt eine Ablehnung dahinter, die dem Grundgesetz zuwiderläuft", erklärt Düll. "So etwas verschwindet nicht, nur weil wir nun verstärkt auf den Rechtsextremismus blicken, weil die AfD stärker geworden ist."

Präventionsangebote müssten gestärkt werden

Der Umgang mit solchen Phänomenen sei für Lehrer und auch Schulleitungen nicht immer einfach, sagt der Präsident des Lehrerverbandes, der eben selbst Schulleiter einer Schule ist. "Schulen sind pädagogische Einrichtungen, aber es gibt eben Punkte, wo man einfach knallhart sagen muss: keine Toleranz."

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Neben dem harten Eingreifen sei aber vor allem die Präventionsebene wichtig, erklärt Stefan Düll. So berichtet er aus eigener Erfahrung von Workshops zur Sensibilisierung gegenüber queeren Menschen, die er auch an seiner Schule durchführen lasse. So etwas sei wichtig, weil viele Dinge den jungen Menschen altersmäßig und aufgrund ihres privaten Umfeldes noch nicht geläufig seien. Die Jugendlichen bekämen dann durch diese Workshops Informationen, mit denen sie lernen müssten, umzugehen.

Den Stellenwert von Prävention betont auch Anja Besand. Wichtig sei jedoch, dass Unterstützungsangebote für Schulen nicht in einmaligen, zeitlich begrenzten Workshops bestehen dürften. Die Schulen bräuchten nachhaltige Unterstützung. Gut seien Projekte, die nicht nur Wissen und Handlungskompetenz vermitteln würden, sondern mit den Lehrkräften konkret und langfristig an den Problemen vor Ort arbeiteten. "Wir haben mit thematisch abgestimmten Coachings gute Erfahrung gemacht", sagt die Expertin für politische Bildung.

Über die Gesprächspartner

  • Stefan Düll ist Schulleiter in Bayern und Präsident des Deutschen Lehrerverbands
  • Prof. Dr. Anja Besand hat einen Lehrstuhl für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden. Ihre Studie zu Ursachen und Lösungsansätzen gegen Extremismus in Schulen ist hier einsehbar.
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