Zuletzt sorgte der Prozess gegen GZUZ für Aufsehen, immer wieder geraten deutsche Gangsta-Rapper mit dem Gesetz in Konflikt. Die Texte sind hart, die Musiker pflegen ihr Straßen-Image. Doch was davon ist real und was gehört zur Inszenierung der Rapper? Wir haben mit dem HipHop-Experten Sascha Verlan darüber gesprochen.

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"Auf der Suche nach Gott, denn sie geben mir Hölle, entweder Rap oder Leben in der Zelle."

Mit diesen Zeilen endet der Song "1999 Pt. 6 (Gabriel vs. Luzifer)", indem der Offenbacher Rapper Haftbefehl auf seine schwierige Jugend zurückblickt. Veröffentlicht wurde der Song auf Haftbefehls neuester Platte, "Das Weiße Album", Anfang Juni. Knapp einen Monat später sorgte der Rapper, der mit bürgerlichem Namen Aykut Anhan heißt, für Schlagzeilen. Im Frankfurter Bahnhofsviertel fügte er sich offenbar versehentlich selbst eine Schussverletzung zu. Dabei soll Haftbefehl unter Drogen- und Alkoholeinfluss gestanden haben und sich der Polizei gegenüber nicht sonderlich kooperativ verhalten haben.

Es war nicht der einzige Vorfall in der deutschen Gangsta-Rap-Szene in diesem Jahr, über den intensiv berichtet wurde. Gerade erst wurde der Hamburger Rapper GZUZ zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, die Frankfurter Rapperin Schwesta Ewa trat ihre Haftstrafe im Januar an. Im vielbeachteten Prozess gegen Clan-Chef Abou-Chaker tritt Bushido als Nebenkläger und Zeuge auf.

In den Songtexten der Gangsta-Rapper geht es um teure Autos, Designerklamotten, Sex, Drogen und das harte Leben auf der Straße, gerne wird mit Waffen posiert. Längst ist Gangsta-Rap kein subkulturelles Phänomen mehr, die Rapperinnen und Rapper stürmen die Charts. Sie sind echte Stars und im Mainstream angekommen, wie das große Medieninteresse an den genannten Vorfällen belegt. Ihr gefährliches Image macht sie ebenso interessant für ihre Fans wie für die breite Masse, die die Berichte über die kriminellen Verstrickungen der Gangsta-Rapper aufmerksam verfolgt.

Wie kriminell ist Gangsta-Rap wirklich?

Aber wie kriminell ist der Gangsta-Rap wirklich? Ist eine Rap-Karriere tatsächlich die einzige Alternative zu einem Leben als Krimineller, wie in Haftbefehls Song angedeutet? Oder ist die Ghetto-Attitüde nur Teil der Show der Gangsta-Rapper?

"Wie viel Authentizität beziehungsweise Klischee steckt in einem Gangster-Film, einer Serie wie 'The Wire' oder einem Kriminalroman?", stellt der Journalist und Autor Sascha Verlan eine Gegenfrage. "Letztlich ist Gangsta-Rap ein literarisches Genre, das - zugegeben - seine Wirkung vor allem daraus bezieht, dass behauptet beziehungsweise angenommen wird, diese Bühnenfiguren würden biographisch aus ihrem Leben berichten", erzählt Verlan, der mit Hannes Loh das Buch "35 Jahre HipHop in Deutschland" schrieb.

"In den USA geht dieser Irrglaube inzwischen so weit, dass Rap-Texte in Gerichtsverfahren als Beweismittel und quasi Geständnisse herangezogen werden", so Verlan weiter: "Und die Auslassungen des Richters im Fall von GZUZ zeigen deutlich, dass sich der Diskurs auch hierzulande in diese Richtung bewegt." GZUZ hatte sich mit Richter Johann Krieten während seines Prozesses regelrechte Schlagabtausche geliefert. "Sie inszenieren sich als Gangsta-Rapper und Straftäter", hatte Richter Krieten in seinen abschließenden Worten zu GZUZ gesagt: "Jetzt werden sie als Straftäter gewürdigt."

GZUZ blickt auf eine kriminelle Karriere zurück

GZUZ besitzt ohne Zweifel die oft zitierte "Street Credibility", er blickt auf eine schwierige Jugend und kriminelle Karriere zurück und verbrachte bereits einige Zeit im Gefängnis. Auch Haftbefehl kam häufiger mit dem Gesetz in Konflikt, der namensstiftende Haftbefehl wurde wegen Verstößen gegen Bewährungsauflagen ausgestellt. Kriminell zu sein ist aber keine Voraussetzung für eine Karriere als Gangsta-Rapper, die Texte und das Gangster-Gehabe sind letztlich Teil der Show. Nichts anderes erwarten Fans, Medien und die Rap-Industrie von den Musikern.

"Natürlich kann man ohne Vorstrafen ein erfolgreicher Gangsta-Rapper sein, da gibt es genügend Beispiele. Mit der Street Credibility sieht es dann schon wieder ganz anders aus. Vielen Gangsta-Rappern in Deutschland, angefangen bei Bushido, wurde ja vorgeworfen, dass sie eben nicht von der 'Straße' kommen, sondern nur mit den Themen und Codes kokettieren würden", erklärt HipHop-Experte Sascha Verlan: "Wichtig ist dabei zu sehen, wie sehr dieser Diskurs durch die Medien verstärkt wurde, was wiederum direkte Auswirkungen auf die Entwicklung des Genres hatte: Aufmerksamkeit bekam nur, wer die Härte seiner Vorgänger toppen konnte, sei es nun biographisch oder in den Texten. Eine Ausnahme war da Haftbefehl, bei ihm ging es plötzlich wieder um Textqualität und Sprache, zu Recht."

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Mit seinem Album "Russisch Roulette" von 2014 gelang Haftbefehl ein Meilenstein des deutschen HipHops, der Rapper wurde für seine Texte, Reime und den Umgang mit der deutschen Sprache von Kritikern renommierter Zeitungen und sogar von Sprachwissenschaftlern gefeiert. Haftbefehls Texte haben die Art und Weise, wie gesprochen wird, beeinflusst. Und das nicht nur bei Jugendlichen. Man denke etwa an das Wort "Babo", das sogar zum Jugendwort des Jahres 2013 gewählt wurde.

Der Einfluss von Gangsta-Rap auf Jugendliche wird immer wieder kritisiert

"Der Track ballert wie 'ne abgesägte Schrotflinte - Es ist Haftbefehl, erst ab achtzehn, Digga, nix für Kinder Kopfnuss ins Gesicht Unterkiefer rutscht ins Gehirn - Plötzlich bist du blind."

Auch das ist Haftbefehl, in dem Song "Morgenstern". Dass Gangsta-Rap mit seinen mitunter gewalt- und drogenverherrlichenden Texten vor allem bei jungen Menschen so gut ankommt und diese beeinflusst, sorgt natürlich immer wieder für öffentliche Kritik.

"Früher waren es Rock 'n Roll und Horrorfilme, heute sind es Computerspiele und Gangsta-Rap, die Diskurse ähneln und überschneiden sich", sagt Sascha Verlan: "Und ja, ich finde viele Texte des Genres bedenklich, nicht nur für Jugendliche. Dabei geht es nicht nur um Gewaltdarstellungen und Kriminalität, sondern um ein generelles Menschenbild, um Sexismus, Homophobie und Ableismus, also Behindertenfeindlichkeit, auch um Rassismus, das Recht des Stärkeren und eben nicht um Solidarität und Gemeinschaft und eine positive Vision der Zukunft.

Aber die eigentliche Frage ist doch: wer verdient eigentlich Geld mit Gangsta-Rap oder Ego-Shootern? Die Künstler und Autorinnen selbst bekommen ja nur einen Bruchteil des Umsatzes, der Hauptteil geht an die Aufmerksamkeitsindustrie, Management und Booking-Agenturen, Verlags- und Medienhäuser, und da haben in Deutschland vor allem weiße Männer jenseits der 50 das Sagen, dieselbe soziale Gruppe, die sich dann über die angebliche Morallosigkeit des Gangsta-Rap beklagt."

Gangsta-Rap ist in Deutschland längst ein Wirtschaftsfaktor geworden. Stars wie Bushido oder Haftbefehl haben eine Menge Geld verdient, sind Familienväter, pflegen aber weiterhin ihr Image als Underdogs von der Straße. Dass immer wieder Rapperinnen und Rapper mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ist unbestritten. Aber in Zeiten, in denen es Capital Bra gelingt, 13 Nummer-eins-Hits innerhalb eines Jahres in den deutschen Charts zu platzieren, ist Gangsta-Rap vor allem eines: eine gut inszenierte Show.

Über den Experten: Sascha Verlan beschäftigt sich als Autor und Journalist seit vielen Jahren mit HipHop in Deutschland, hält Vorträge und veranstaltet Workshops. Das gemeinsam mit Hannes Loh verfasste Buch "35 Jahre HipHop in Deutschland" gilt als Standardwerk zum Thema.
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