Über die Häfen in Hamburg, Rotterdam und Antwerpen kommt immer mehr Kokain nach Europa. Der Handel boomt wie nie zuvor. Mit dem weißen Gift droht auch die Drogengewalt zuzunehmen.
Die Zahlen der deutschen Behörden zum Kokainhandel sind schwindelerregend: Nach Angaben des Bundeskriminalamts wurden im vergangenen Jahr rund 43 Tonnen der Droge in Deutschland sichergestellt. Ein Gramm Kokain kostet nach Angaben des Hamburger Zollfahndungsamts um die 70 Euro. Somit hatte das abgefangene Rauschgift einen Gesamtwert von rund drei Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 belief sich die gesamte in Deutschland sichergestellte Kokainmenge auf lediglich 1,3 Tonnen. Damals kostete das Gramm zwischen 50 und 60 Euro auf dem Schwarzmarkt.
Die weltweite Kokainproduktion ist nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. So seien zuletzt fast 2.000 Tonnen Kokain hergestellt worden, mehr als doppelt so viel wie noch 2014, heißt es in dem jüngsten UNODC-Bericht aus dem vergangenen Jahr. Die mit dem Coca-Strauch bestückte Anbaufläche in den wichtigsten Herstellerländern Kolumbien, Peru und Bolivien stieg auf über 300.000 Hektar.
Bundeskriminalamt warnt vor Drogengewalt in Deutschland
Die enormen Gewinnmargen wecken Begehrlichkeiten: In Lateinamerika liefern sich die Kartelle blutige Verteilungskämpfe und das Drogengeld korrumpiert Teile der Politik und der Justiz. Seit Jahrzehnten wird in der Region der sogenannte Krieg gegen die Drogen geführt – bislang ohne jeden Erfolg. In Deutschland sehen die Behörden die Gefahr: Das BKA warnt in seinem jüngsten Lagebild vor Bestechungsversuchen, massiver Gewalt und Drohungen gegen Politiker.
Die Rekordwerte bei der weltweiten Kokainproduktion spiegelten sich auch in den Riesenmengen, die derzeit in Europa beschlagnahmt würden, sagte eine Europol-Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur in Den Haag. Im vergangenen Jahr waren mehr als 300 Tonnen Kokain in Europas Häfen beschlagnahmt worden. Allein in Antwerpen stellten die Ermittler die Rekordmenge von 121 Tonnen Kokain sicher – etwa zehn Prozent mehr als im Vorjahr. In den Niederlanden wurden rund 60 Tonnen sichergestellt.
Hamburger Hafen Hochburg des Kokainschmuggels
2023 gelang den deutschen Ermittlern ihr bislang größter Schlag gegen den organisierten Kokainhandel: Wie Staatsanwaltschaft, Zoll und Polizei Mitte Juni in Düsseldorf berichteten, wurden nach einem Tipp kolumbianischer Behörden in Hamburg 25 Tonnen, in Rotterdam 8 und in Ecuador weitere 3 Tonnen sichergestellt.
Der Hamburger Hafen ist der Brennpunkt des Kokainschmuggels in Deutschland. Nach Angaben des Zolls wurden im vergangenen Jahr dort insgesamt 35 Tonnen abgefangen. Weitere zwei Tonnen entdeckten die Zollfahnder in Bremerhaven. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) warnte kürzlich die Beschäftigten im Hafen eindringlich davor, sich mit Drogenschmugglern und der organisierten Kriminalität einzulassen. Polizei, Zoll und Hafenwirtschaft starteten eine Präventionskampagne. Ein neues Hafensicherheitszentrum soll die Kooperation der Behörden verbessern.
Zoll kontrolliert nur minimalen Anteil der Container
Wie viel Kokain trotz aller Bemühungen an den Kontrollen vorbeigeschmuggelt werden, ist unklar. Zwar werte der Zoll seine Erfolge fortlaufend statistisch aus, erklärte ein Sprecher des Zollfahndungsamts Hamburg. Welche Mengen an den Kontrollen vorbei auf den deutschen oder europäischen illegalen Markt kommen, ist unklar. Die seit Jahren steigenden Zahlen bei den Sicherstellungen in ganz Europa deuteten auf eine anhaltende Schwemme aus Südamerika hin. Nicht jeder der fast acht Millionen Container, die pro Jahr im Hamburger Hafen umgeschlagen werden, kann kontrolliert werden. In der Containerprüfanlage des Zolls in Hamburg-Waltershof können sieben bis acht Container pro Stunde durchleuchtet werden, wie der Senat mitteilte. Bei maximaler Auslastung läge die Kapazität also bei höchstens einem Prozent.
Die Erfolge der Drogenfahnder zeigten, dass Ermittler immer mehr Einsicht in die Arbeitsweise der Banden hätten, sagte die Europol-Sprecherin. Grundlage dafür war unter anderem das Knacken krimineller digitaler Kommunikationsnetzwerke wie Encrochat. Kürzlich hatte Europol die 821 gefährlichsten Netzwerke des organisierten Verbrechens in der EU identifiziert.
Schmuggel verlagert sich nach Europa
Aktuell verlagere sich der Schmuggel teilweise von Nordamerika nach Europa, aufgrund der hier zu erzielenden höheren Preise, vermutet der deutsche Zoll. Das sieht auch das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung so. Neben dem typischen Weg von Kolumbien über Mittelamerika in die USA oder über Ecuador nach Europa gewinne die Route über Paraguay, Argentinien oder Brasilien nach Westafrika und weiter nach Europa ständig an Bedeutung. Innerhalb von Europa haben die Niederlande und Belgien mittlerweile Spanien als wichtigstes Einfallstor für Kokain abgelöst.
Die Schmuggelmethoden entwickeln sich ebenfalls weiter: Während früher praktisch nur zum Konsum fertiges Kokain nach Europa verschifft wurde, nutzen die Kartelle mittlerweile komplexe chemische Verfahren, um beispielsweise Textilien mit Kokain zu imprägnieren oder das Rauschgift in Flüssigkeiten zu lösen. Das erschwert das Aufspüren der Drogen. In Europa wird das Kokain dann extrahiert und für den Verkauf aufbereitet. Zuletzt seien eine ganze Reihe solcher Labore in Europa ausgehoben worden, heißt es in dem jüngsten EU-Drogenreport.
Nach Angaben des UNODC gibt es weltweit über 20 Millionen Kokain-Konsumenten, die meisten davon in Nordamerika und Europa. Das Forschungsinstitut Global Financial Integrity schätzt, dass mit dem Kokain-Handel zwischen 94 und 143 Milliarden US-Dollar (88 bis 133 Milliarden Euro) im Jahr umgesetzt werden. (dpa/mcf)
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