Die Berliner Polizei ist in der Nacht auf Dienstag mit mehr als 200 Einsatzkräften gegen einen arabischen Familienclan vorgegangen. In Deutschland werden Tausende Mitglieder solchen kriminellen Strukturen zugeordnet, Ermittler sprechen von "mafiaähnlichen Strukturen". Warum ist es so schwer, die Macht der Clans zu brechen?

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Berlin, Bremen, Lüneburg, Hildesheim, Essen und Duisburg. Diese Städte sind nach Auffassung von Experten deutschlandweit am meisten von kriminellen Clan-Strukturen betroffen. "Inzwischen gibt es Stadtviertel, in denen man nur einen bestimmten Familiennamen nennen muss, und alle zucken zusammen", sagt der Islamwissenschaftler Matthias Rohe der Nachrichtenagentur dpa.

Ihre Mitglieder sollen Drogengeschäfte und das Rotlichtmilieu kontrollieren. Es wird ihnen nachgesagt, Schutzgeld zu kassieren, Banken zu überfallen und mit anderen dunklen Geschäften ihr Geld zu verdienen.

Sie werden abweichend als kurdisch-libanesische Clans, arabische Großfamilien oder Mhallamiye-Kurden bezeichnet. Heute zählen die meist in den 1970er- und 1980er-Jahren nach Deutschland eingewanderten Clans zu den gefährlichsten Gruppen in der Organisierten Kriminalität.

Nach Statistiken des Bundeskriminalamts (BKA) rangieren im Nationalitätenvergleich libanesisch-dominierte Gruppen auf dem neunten Platz. Dabei stellten Libanesen 2014 mit 35.000 Menschen in Deutschland nur 0,04 Prozent der Gesamtbevölkerung. Warum sind diese Clans so mächtig? Wie sind sie strukturiert? Und warum ist die Polizei offenbar mit ihrer Bekämpfung überfordert?

Ermittler: "Mafiaähnliche Strukturen"

Allein die Berliner Behörden haben gut ein Dutzend Großfamilien mit oft Hunderten Mitgliedern auf dem Radar. Bis zu 20 Prozent der Angehörigen seien kriminell, schätzt ein Berliner Ermittler bei "Zeit Online" – insgesamt bis zu 800 Personen.

40 Prozent der Taten im Bereich der Organisierten Kriminalität in der Hauptstadt gehen nach Angaben des Landeskriminalamts auf ihr Konto. Als bekanntester Clan gilt die Abou-Chaker-Familie, die unter anderem beim so genannten Pokerraub im Berliner Grand Hyatt Hotel 2010 beteiligt war und Verbindungen zum bekannten Rapper Bushido unterhält.

In Bremen, einem weiteren Ballungsraum, sind nach Angaben der Polizei von 2.590 Mhallamiye-Kurden zirka 1.300 polizeibekannt. Die Hansestadt gilt als Hoheitsgebiet der Miri-Familie. "Mafiaähnliche Strukturen in der Nähe der Organisierten Kriminalität" nennt es ein Beamter.

Was den Behörden die Ermittlungen besonders erschwert, sind die gefestigten Strukturen und Hierarchien der patriarchalisch aufgebauten Familien. Diese stärken Zusammenhalt und Solidarität.

"Die Strukturen dieser Großfamilien kann man nicht einfach durchbrechen. Da kann man nicht einfach einen V-Mann schicken, der sich darunter mischt", erklärt der Berliner Migrationsforscher Ralph Ghadban der dpa.

Zudem sagen Clan-Mitglieder so gut wie nie gegeneinander aus. Eher belasten sie sich selbst. Manchmal sucht der Familienrat ein Mitglied aus, das gestehen muss. Das Motto: Besser du drei Jahre als ich sechs.

Die Clans seien "sehr schwer zu bekämpfen. Es gibt keine Aussteiger, keine Zeugen. Die Ermittlungen sind daher sehr rechercheintensiv", weiß Erich Rettinghaus, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Nordrhein-Westfalen.

Druck gegen Richter, Anwälte und Zeugen

Zudem wird die Zusammenarbeit mit den staatlichen Organen fast vollständig abgelehnt. Lieber vertraut man auf eine Paralleljustiz, zu der so genannte Friedensrichter gezählt werden.

Bundesweit soll es bis zu 50 Personen geben, die bei internen Streitigkeiten oder Auseinandersetzungen mit anderen Familien unter Ausschluss staatlicher Stellen vermitteln.

"Die Existenz irgendwelcher Scharia-Gerichte in Berlin lässt sich nicht belegen", betont aber Islamwissenschaftler Rohe noch im Dezember 2015.

Dennoch ignorieren und unterlaufen die Clans teilweise vorsätzlich die deutschen Gesetze. Nicht nur durch ihre kriminellen Tätigkeiten, sondern auch indem sie bei laufenden Strafverfahren Opfer und Zeugen unter Druck setzen und zum Schweigen bringen.

So musste ein Richter am Landgericht Bremen im Jahr 2013 einen Prozess gegen Angeklagte aus einem polizeibekannten Clan unter Polizeischutz führen, weil er und seine Familie bedroht wurden.

Auch in Niedersachsen standen in der Vergangenheit bereits Staatsanwälte und Richter unter Polizeischutz, als Prozesse gegen mutmaßlich kriminelle Libanesen eröffnet wurden. Zeugen mussten ins Schutzprogramm. Familienmitglieder, Zeugen und Anwälte würden so lange eingeschüchtert, bis der Prozess platze, sagt Experte Ghadban.

Es gibt aber auch ein großes Problem für alle jene, die aus den Clan-Strukturen ausbrechen wollen. Neben der Angst vor Rache, so Ghadban, würden die Mhallamiye-Kurden seit Jahrzehnten bei der Job-Suche diskriminiert.

Schon nach ihrer Flucht nach Deutschland in den 1970er- und 1980er-Jahren habe der Staat zu wenig für ihre Integration getan. Man ging davon aus, dass sie das Land nach Ende des Libanesischen Bürgerkriegs wieder verlassen würden und hielt allzu große Bemühungen für unnötig.

Ein Trugschluss mit Folgen – in der Hauptstadt und anderen deutschen Städten. Der Berliner SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber stellt in der "B.Z." fest: "Der Staat ist mehr und mehr auf dem Rückzug."

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